Bundestagswahl 2025:So wirkt sich das neue Wahlrecht auf Bayern aus

Lesezeit: 3 Min.

Auch mit dem neuen Wahlrecht hat man bei der Bundestagswahl zwei Stimmen. Die Erststimme stärkt den regionalen Wahlkreiskandidaten, die Zweitstimme eine Partei. (Foto: Leonhard Simon)

Die Zweitstimme wird wichtiger, Wahlkreissieger sind nicht mehr automatisch im Bundestag. Was die Wahlrechtsreform für den Freistaat bedeutet – und warum sich vor allem die CSU darüber ärgert.

Von Thomas Balbierer

Volker Ullrich ist mächtig genervt von Fragen nach dem neuen Wahlrecht. „Das ist ein unfaires Wahlrecht, ein Wahlrecht der Täuschung und Enttäuschung“, sagt der CSU-Politiker bei einem Telefonat. Ullrich sitzt seit 2013 für die CSU im Bundestag. Er hat seinen Wahlkreis Augsburg-Stadt dreimal direkt gewonnen, damit war ihm der Sitz im Berliner Parlament stets sicher. Doch nun besteht die Möglichkeit, dass Ullrich seinen Wahlkreis bei der Bundestagswahl am 23. Februar erneut gewinnt – und trotzdem seinen Sitz im Parlament verliert. Der Grund dafür und somit für Ullrichs Frust ist das neue Wahlrecht auf Bundesebene.

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl im kommenden Jahr gilt erstmals das von der Ampelkoalition reformierte Wahlrecht. Dieses hat die Größe des Parlaments bei 630 Abgeordneten fixiert, nachdem der Bundestag in den vergangenen Jahren durch ausufernde Ausgleichs- und Überhangmandate immer größer geworden war. 2021 schwoll er auf 736 Sitze an. Vom „Bläh-Bundestag“ war die Rede.

Um die Zahl der Abgeordneten zu reduzieren, hat die Bundesregierung eine grundlegende Änderung des Wahlsystems vorgenommen und die sogenannte Zweitstimmendeckung eingeführt. Demnach soll eine Partei nur noch so viele Politiker und Politikerinnen ins Parlament entsenden, wie ihr laut dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Im alten Wahlrecht erhielten darüber hinaus auch alle Kandidaten einen Sitz, die wie der Augsburger CSU-Mann Ullrich ihren Wahlkreis per Erststimme direkt gewonnen hatten. Damit keine Verzerrung der Sitzverteilung entstand, erhielten die anderen Parteien sogenannte Ausgleichsmandate, so wurde der Bundestag immer größer.

Diese Regelung fällt nun weg. Das bedeutet, dass nicht mehr jeder Wahlkreissieger automatisch einen Platz im Bundestag sicher hat. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Teil der Reform gebilligt – „ein Fehlurteil“, ärgert sich Ullrich. Doch das Gesetz gilt.

Die schwächsten Wahlkreissieger ziehen nicht mehr automatisch in den Bundestag ein

Hätte das neue Wahlrecht bereits bei der vergangenen Bundestagswahl gegolten, hätte die CSU statt ihrer 45 Mandate nur 36 erhalten, wie eine Beispielrechnung der Bundeswahlleiterin zeigt. Alle 45 CSU-Abgeordneten sind als Direktkandidaten ins Parlament eingezogen. Weil das Zweitstimmenergebnis aber nur bei 5,2 Prozent lag, wären 2021 insgesamt neun Wahlkreissieger gescheitert – und zwar jene mit dem niedrigsten Ergebnis.

Betroffen gewesen wären demnach Kandidatinnen und Kandidaten in den eng umkämpften Großstädten München und Nürnberg sowie in den Wahlkreisen Fürth, Passau und Oberallgäu. Und Volker Ullrich, der CSU-Abgeordnete aus Augsburg. Er erzielte damals ein Erststimmenergebnis von 28,1 Prozent.

Ullrich will von solchen Beispielrechnungen nichts hören. „Sie dürfen im Wahlrecht niemals eine Rückschau halten“, sagt er. Die Bedingungen seien bei der Wahl im nächsten Jahr anders als 2021, ein Vergleich problematisch. Dass Wahlkreissieger demnächst leer ausgehen könnten, findet er trotzdem „undemokratisch“. Vielen Wählerinnen und Wählern sei das noch gar nicht bewusst. Umso mehr müsse er in Augsburg um Erst- und Zweitstimmen kämpfen, um nicht in die Gefahrenzone zu geraten. Bei welcher Prozentzahl diese Zone beginnt, kann Ullrich nicht sagen. „Die CSU muss so stark werden, dass sich diese Frage erst gar nicht stellt“, sagt er.

Volker Ullrich sitzt seit 2013 als direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter im Bundestag. Er ärgert sich massiv über die Wahlrechtsreform. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 hätte die Verkleinerung des Bundestags die CSU in Bayern am stärksten getroffen. Als bayerische Regionalpartei hat sie traditionell mehr Direktkandidaten im Bundestag, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würde. 2021 war der Unterschied besonders groß, da die Partei mit Ausnahme von München-Süd alle 46 bayerischen Wahlkreise gewonnen, aber mit einem Zweitstimmenanteil von 5,2 Prozent relativ schwach abgeschnitten hat. Diesmal sehen die Umfragen besser aus, womit weniger Direktkandidaten zittern müssten.

Auch alle anderen Parteien hätten laut der Berechnung der Bundeswahlleiterin am Ende weniger Abgeordnete aus Bayern nach Berlin schicken können, da nun mal mehr als 100 Sitze wegfallen. Das gilt für alle Bundesländer.

Wenn es schlecht läuft, könnte ein Wahlkreis ohne Abgeordneten dastehen

Neu bei dieser Wahl ist auch die Möglichkeit, dass – bei unglücklichen Konstellationen von Wahlergebnis und Platzierung auf der Landesliste – einzelne Wahlkreise gar nicht mehr durch Abgeordnete im neuen Bundestag repräsentiert sind.

Anders als von der jüngst zerbrochenen Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorgesehen, bleibt die sogenannte Grundmandatsklausel auch im neuen Wahlrecht bestehen. Sie besagt, dass eine Partei, die mindestens drei Direktmandate gewinnt, auch dann gemäß ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag kommt, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. So schaffte die Linke 2021 den Sprung ins Parlament, obwohl sie nur 4,9 Prozent erreichte. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Abschaffung der Regelung durch die Ampel als verfassungswidrig eingestuft, woraufhin sie wieder ins Wahlrecht aufgenommen wurde.

Die Grundmandatsklausel hat auch für die Freien Wähler eine besondere Bedeutung. Weil die Partei von Hubert Aiwanger nach dem Stand aller Umfragen nicht an die fünf Prozent heranreicht, will sie ihre Anstrengungen auf die drei Direktmandate konzentrieren. Dafür tritt der Parteichef und bayerische Wirtschaftsminister selbst als prominenter Kandidat im Wahlkreis Rottal-Inn an.

Ein Gedankenspiel, das kurzzeitig durch das politische München geisterte, ist nach Auskunft von Wahlrechtsexperten nicht möglich: Dass Aiwanger als einziger FW-Kandidat ein Direktmandat gewinnt und am Ende als verlorener Einzelkämpfer nach Berlin gehen muss. Solche Ausnahmen gibt es im Wahlrecht nur für parteiunabhängige Bewerber oder Parteien nationaler Minderheiten. Und als so eine gelten die Freien Wähler, trotz ihres niederbayerischen Parteichefs, nicht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusVorgezogene Bundestagswahl 2025
:Wie sich das neue Wahlrecht auf die Bundestagswahl auswirkt

Im Februar wird nach einem neuen Wahlrecht abgestimmt. Die Erststimme verliert an Bedeutung, der Bundestag wird kleiner – und für taktische Wähler wird die Rechnung komplizierter.

Von Wolfgang Janisch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: