Bundestagswahl 2002:Wie war das beim Frühstück mit Frau Merkel, Herr Stoiber?

Bundestagswahl 2002: Vor 15 Jahren frühstückte Edmund Stoiber an diesem Tisch mit Angela Merkel. Seine Frau Karin erfuhr erst am Ende, was auf ihre Familie zukommen würde.

Vor 15 Jahren frühstückte Edmund Stoiber an diesem Tisch mit Angela Merkel. Seine Frau Karin erfuhr erst am Ende, was auf ihre Familie zukommen würde.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ministerpräsident, Parteichef, Kanzlerkandidat: Edmund Stoiber hat über vieles zu berichten. Doch die Leute interessiert vor allem eines: das Frühstück, bei dem ihm Merkel 2002 die Kanzlerkandidatur anbot.

Von Wolfgang Wittl, Wolfratshausen

Die Frage aller Fragen zu Edmund Stoiber liegt auf dem Präsentierteller wie eine frische Butterbreze. Wobei, da geht's ja schon los. Butter steht jede Menge auf dem Stoiberschen Esstisch, aber nicht eine Breze. Die Frage dreht sich darum, was die Leute am liebsten erfahren würden über den Mann, der als "blondes Fallbeil" die halbe Republik gegen sich aufbrachte. Der für ein paar Stunden Bundeskanzler war und es doch nicht wurde wegen 6027 Stimmen. Der trotzdem als einer der Großen in die CSU-Geschichte eingehen wird. Genau das wollte Stoiber von einigen Menschen wissen, bevor er sein politisches Leben in Buchform goss: Was sie besonders an ihm interessiert.

Die häufigste Frage, Stoiber räumt das in seinem Buch freimütig ein, "lautete etwas zu meiner Verblüffung: Was gab es beim Wolfratshauser Frühstück?"

Ein Frühstück als letztes Geheimnis der bayerischen Politik? Wer im Archiv zu jener Stunde forscht, in der Angela Merkel Stoiber die Kanzlerkandidatur der Union antrug, stößt auf höchst widersprüchliche Angaben. Kaffee, Semmeln, Honig, Marmelade, Käse - das ist allgemeiner Konsens. Bei Eiern, Orangensaft, Tee, Brot gehen die Meinungen bereits auseinander. Erst recht bei den Brezen. Obst? Keine Rede davon.

Nur drei Personen können zu diesem Mysterium fundiert Auskunft geben. Eine ist derzeit verhindert, sie steckt im Wahlkampf für ihre vierte Kanzlerschaft, die beiden anderen öffnen die Tür. Wolfratshausen, Doppelhaushälfte an der Loisach, Karin Stoiber empfängt, Edmund Stoiber kommt aus dem Gang angeflitzt, sofort in seinem Element. Nein, nicht allein Merkel, viele andere waren hier zu Gast. Der soeben verstorbene Heiner Geißler etwa an dem Tag, als Helmut Schmidt gestürzt wurde. Auch Altkanzler Gerhard Schröder. Und der erste, wer war das noch? Ah ja, Ernst Albrecht, niedersächsischer Ministerpräsident und interner Rivale von Franz Josef Strauß vor der Kanzlerwahl 1980.

Grüner Teppich, üppig gedeckter Tisch aus Nussbaumholz

Warum war der Albrecht gleich noch mal da, Karin? Wahrscheinlich wieder ein Vermittlungsgespräch, Stoiber gibt die Antwort selbst. Er könnte wohl stundenlang auf einer Eingangstreppe über Politik reden. "Aber jetzt gehen wir doch erst mal hinein", sagt seine Frau. "So, da ist es. So hat es damals ausgesehen. Genau so."

Das Esszimmer, grüner Teppich, üppig gedeckter Tisch aus Nussbaumholz. Normal sitzt Edmund Stoiber am Kopf des Tisches, bei Merkels Besuch saß er an der Seite, Aug' in Aug' mit der CDU-Vorsitzenden. Um 8 Uhr stand sie vor der Tür. Eigentlich wollte sie bereits am Abend vorher in München mit ihm sprechen. Aber Stoiber hat einen großen Empfang in der Residenz, kann nicht weg, empfindet ein Treffen spät in der Nacht dem Anlass nicht als angemessen. Seiner Frau sagt er auf dem Heimweg: "Übrigens, morgen kommt die Merkel zu uns zum Frühstück." Antwort: "Das hättest du mir auch früher sagen können."

Gleich in der Früh holt Karin Stoiber frische Semmeln. Sie deckt auf, Porzellan mit Blümchen, Marke Eschenbach, Made in Bavaria. Die Kanzlerkandidatur serviert der Gast. Es war der 11. Januar 2002, ein Freitag mit Vorlauf. Stoiber, stets ein Mann des Hier und Jetzt geblieben, springt ins Büro, haben wir gleich, blättert einen Kalender auf. Mit feinem Bleistiftstrich sind vier Jahrzehnte Politik nachgezeichnet. 7./8. Januar 2002: CSU-Klausur in Kreuth. 9. Januar: Trauerfeier für Franz Heubl, den einstigen Landtagspräsidenten, Kabinett, dann Verabredung mit FDP-Chef Guido Westerwelle. 10. Januar: Gespräch mit Kardinal Friedrich Wetter. 11. Januar: Termin mit Merkel, später erste Interviews als Kanzlerkandidat. 12. Januar: CDU-Klausur in Magdeburg, Grüß Gott an die Schwesterpartei.

"Für ihre weitere Laufbahn war dieses Frühstück außerordentlich förderlich"

Nicht notiert sind all die Telefonate, die Merkel nicht freiwillig nach Wolfratshausen führten. Auch sie wollte Kanzlerkandidatin werden. Die Ministerpräsidenten der CDU wollten Stoiber, damals 60, den erfahrenen Kollegen aus dem Musterland Bayern. Erwin Teufel gehörte dazu, Roland Koch, Peter Müller, Bernhard Vogel.

Etwa eine Stunde sprechen Stoiber und Merkel, sie siezen sich zu dieser Zeit noch, das Du bietet er ihr erst später an. "Sehr harmonisch" sei das Frühstück gewesen, erfreulich für den Gastgeber war es bestimmt. "Sie hat mir ihre Entscheidung erläutert", sagt Stoiber, seine Augen blicken jetzt in die Ferne. "Sie sagte, sie hätte sich das durchaus für sich vorstellen können. Aber für die Einheit der Union sei es besser, wenn ich das mache." Hinter Stoibers Stuhl steht ein Eckschrank mit Geschirr, auf ihm ein Kreuz im Herrgottswinkel, neben dem Fenster hängen drei Fotos seiner Kinder, als sie noch klein waren: Constanze, Veronica und Dominic - alle mit einem C im Namen. C wie CSU. C wie Chef.

CDU Stoiber Merkel

Einen Tag nach Wolfratshausen präsentierte Merkel den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber als Kanzlerkandidaten der Union.

(Foto: Bernd Settnik/dpa)

Karin Stoiber hatte sich während des Gesprächs mit Merkel zurückgezogen. Erst am Ende setzt sie sich dazu und erfährt nun endgültig, was auf sie und ihre Familie zukommt. Sie könnte wahrscheinlich sogar mehrere Bücher schreiben. Auch jetzt, beim nachempfundenen Frühstück an diesem Septembermorgen gut 15 Jahre später, hält sich Karin Stoiber im Hintergrund. Die Eier, sagt sie, seien noch roh. "Aber ich koche sie gerne." Dann geht sie, erst nach eineinhalb Stunden kommt sie wieder: "Passt alles?" Stoibers Teller bleibt unberührt, er ist Frühaufsteher, 6.15 Uhr, gegessen hat er schon. Außerdem gibt es zur Politik immer so viel zu bereden.

Stoiber sagt, er wolle kein Besserwisser sein

Edmund Stoiber legt jetzt Sakko und Brille ab, er gestikuliert und philosophiert wie in besten Zeiten. Seine Antworten starten beim Frühstück, ein, zwei Sätze später wandern sie in die weite Welt. Ja, der Wahlkampf damals, lange lag die Union vorne. Wolfgang Schäuble hätte Außenminister werden sollen, Lothar Späth Minister für Wirtschaft, Friedrich Merz für Finanzen. Nach der verlorenen Wahl war Merz ("ein Supertalent, herausragend") allerdings sogar seinen Fraktionsvorsitz los, Merkel hatte ihn abgelöst. "Für ihre weitere Laufbahn war dieses Frühstück außerordentlich förderlich", sagt Stoiber. Als Partei- und Fraktionschefin baute Merkel ihre Macht in der Union aus. Widerstand aus Wolfratshausen hatte sie dank ihrer Loyalität im Wahlkampf nicht mehr zu befürchten.

Machtbewusst, nüchtern, keine Allüren, außergewöhnliche Konstitution, so sieht Stoiber Angela Merkel heute. Dass er während der Flüchtlingskrise ihre Ablösung betrieben haben soll, weist er energisch zurück. Stoiber nippt am Kaffee, sagt, er wolle kein Besserwisser sein, die aktive Generation mit Belehrungen verschonen. Dennoch warf er Merkel Anfang 2016 in einem SZ-Interview vor: "Du machst Europa kaputt." Er beugt sich nach vorne: "Ja gut, da ging es für mich um die Substanz der CSU und deshalb volle Unterstützung für Horst Seehofer. Um eine grundsätzliche Frage, nicht um eine taktische."

Der Esstisch ist nun abgeräumt, auf ihm standen originalgetreu: verschiedene Semmeln, zweierlei Brot, Nektarinen und Ananas, rote und weiße Trauben, drei Käsesorten, gekochter und geräucherter Schinken, Eier, Butter, Honig, Ribisel-Marmelade (Johannisbeere), frisch gepresster Orangensaft, Kaffee - angerichtet auf weißen Stoffdeckchen. Was Stoiber damals gegessen hat? "Mei, eine Semmel halt." Und Merkel? "Vielleicht eine halbe." Auch der Kanzlerin ist das Wolfratshauser Frühstück in lebendiger Erinnerung geblieben. "Lieber Edmund", soll sie bei Stoibers 70. Geburtstag gesagt haben, "ich glaube, wir haben dem deutschen Frühstück mit unserem Frühstück in Wolfratshausen wieder zu mehr Achtung und Anerkennung verholfen - nicht dass das irgendwie in Vergessenheit gerät. Es war übrigens super, liebe Karin."

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