Bürgermeister von Wunsiedel:Das Denkmal Beck wackelt

Ohne Investitionen, sagt Bürgermeister Karl-Willi Beck, geht es in einer Stadt wie Wunsiedel halt nicht. Das sehen die Prüfer etwas anders.

Ohne Investitionen, sagt Bürgermeister Karl-Willi Beck, geht es in einer Stadt wie Wunsiedel halt nicht. Das sehen die Prüfer etwas anders.

(Foto: dpa)

Wegen seines Einsatzes gegen Neonazis in Wunsiedel galt Karl-Willi Beck lange als Vorzeige-Bürgermeister. Doch er und sein Stadtrat gaben immer weiter Geld aus, obwohl die Stadt längst pleite war. Nun hat sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Von Katja Auer und Olaf Przybilla, Wunsiedel

Am Tag danach war Karl-Willi Beck auf der Titelseite der taz. Er, der Bürgermeister aus Wunsiedel, bekam im August 2004 eine Eloge in einem Hauptstadtblatt, das nicht verdächtig ist, CSU-Kommunalpolitikern besonders um den Mund zu gehen. Spätestens seitdem war Beck nicht mehr nur der Bürgermeister einer 9000-Einwohner-Kommune im Nordosten Oberfrankens. Sondern immer auch der Mann, der sich spontan mit anderen Demonstranten auf die Straße gesetzt hatte vor mehreren tausend Neonazis, die durch die Stadt marschieren wollten. Widerrechtlich, aber aus dem Bauch raus, das war Beck. Und dafür wurde er gefeiert.

Seither ist das Mannsbild Karl-Willi Beck, 59, Nebenerwerbs-Landwirt, 1,99 Meter groß, zu einem Begriff geworden. Einer, der weiß, wann er gegen eine Anordnung, ein Gesetz gar, verstoßen muss. Der dafür notfalls in Kauf nimmt, vom Innenminister nach München zitiert zu werden. Einer, der es im Kreuz hat, ein Macher. Zwar nahm die Skepsis zu an seiner Amtsführung in Wunsiedel. Der Vorwurf: Dass der Bürgermeister sich nicht schere um Anordnungen aller Art. Aber richtig durch kamen Becks Gegner nicht damit. Wohl auch, weil es eben um einen Mann ging, der in die Geschichte des Freistaats eingegangen ist. Der sechs Stunden dem Bundestag berichten durfte, wie das so ist in einer Stadt, wenn sie von Nazis aus halb Europa überrollt wird. Und der damit maßgeblichen Anteil daran hatte, dass das Versammlungsrecht verschärft wurde und die Nazis nicht mehr so leicht marschieren können. In Wunsiedel nicht, anderswo auch nicht.

Verdacht der Untreue

Jetzt aber dürfte sich die Lage in Wunsiedel schlagartig ändern. Denn inzwischen waren die Kontrolleure des Kommunalen Prüfungsverbandes in der Stadt. Und wer deren "Gutachten zur Haushaltskonsolidierung" liest, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wird kaum noch behaupten können, dass da nur ein paar Neider am Denkmal Beck sägen wollen. Auch die Staatsanwaltschaft Hof interessiert sich für den Fall Wunsiedel. Nach einer Anzeige hat sie "mehrere Ermittlungsverfahren" eingeleitet, bestätigt ein Sprecher. Unter anderem gehe es um den Verdacht der Untreue.

Das Grundproblem in Wunsiedel: Die Stadt ist pleite. Und zwar so pleite, dass die Rechtsaufsicht den Doppelhaushalt für 2013 und 2014 nicht genehmigt hat. Rücklagen gibt es nicht, die Schulden belaufen sich auf 48 Millionen Euro, was dem Sechsfachen des Landesdurchschnitts vergleichbarer Gemeinden entspricht. "Die bereits jetzt bestehende Verschuldung ist für die Stadt nicht mehr tragbar", schreiben die Prüfer. Indes, das hat offenbar weder Beck noch den Stadtrat besonders gestört. So waren bis 2016 Investitionen von 56 Millionen Euro geplant und dafür neue Kredite über fast 30 Millionen Euro. Pläne, die im Gutachten in einer milden Formulierung als "nicht realistisch" bezeichnet werden.

Beck zeigt sich einsichtig. Ein bisschen jedenfalls. "Da gibt es eine Reihe von Ansätzen, das will ich gar nicht bestreiten", sagt er. Ein paar Dinge will er gleich abstellen, er habe schon eine Haushaltssperre über 400 000 Euro erlassen. Andererseits weist er aber darauf hin, dass es ohne Investitionen eben nicht gehe in so einer Gegend.

Zu wenig Einnahmen, zu viele Ausgaben

Die Stadt hat Geld vom Freistaat bekommen, eine Million Euro im vergangenen Jahr. Stabilisierungshilfe nennt sich diese Art von Zuschuss, der an die Bedingung geknüpft ist, den Haushalt zu konsolidieren. Danach sieht es aber nicht aus. Auch an die gesetzlichen Vorgaben, dass während der haushaltslosen Zeit keine neuen Verpflichtungen eingangen werden dürfen, hat man sich in Wunsiedel offenbar nicht gehalten. Obwohl die Prüfer "nachdrücklich" darauf hingewiesen hätten. Die Stadt habe 2013 "eine Vielzahl von Ausgaben" geleistet, die nicht "mit den gesetzlichen Vorgaben der haushaltslosen Zeit in Einklang zu bringen sind", heißt es.

Dabei, und das geht aus dem Bericht deutlich hervor, liegt das finanzielle Debakel nicht vor allem daran, dass Wunsiedel zu wenig Einnahmen hat. Sondern daran, dass einfach zu viel Geld ausgegeben wird.

Geld lässt sich an vielen Stellen sparen

Einsparpotenzial gäbe es genug. Im Büro des Bürgermeisters ließen sich allein 20 000 Euro pro Jahr sparen, wenn er weniger Empfänge veranstalten, Preise verleihen, Geschenke verteilen würde. "Wir haben atypisch viele Empfänge", erklärt Beck. Auch weil Minister gerne in strukturschwachen Gegenden die Kümmerer geben. Für Weihnachtsmarkt, Gebäudereinigung, Heizung könnte erheblich weniger Geld ausgegeben werden, sagen die Prüfer, für Straßenbeleuchtung, Vereinsmitgliedschaften, Feste auch. Die Liste will gar nicht enden. 10 000 Euro kosten die Grundgebühren für die Mobilfunkverträge von Führungskräften, mehr als 4000 Euro die Biermarken fürs Wiesenfest. Allein 25 000 Euro pro Jahr ließen sich einsparen, wenn die Stadträte einfach nur soviel Geld bekämen wie in anderen Städten dieser Größenordnung. In Wunsiedel, der Stadt ohne Haushalt, werden Stadträte deutlich besser bezahlt. "Das hat mich auch überrascht", sagt Beck. Und fünf Stadträten war es vergönnt, das Stadtfest einer Partnerstadt in Frankreich zu besuchen. Vier nutzten ihren privaten Wagen dafür, Kosten: insgesamt etwa 3600 Euro.

Mit alledem soll es nach Ansicht der Gutachter nun vorbei sein. Nur mit erheblichen Einschnitten und dem Verzicht auf nicht unabdingbar notwendige Maßnahmen könne es - irgendwann - gelingen, "die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt wiederherzustellen". Der politische Spielraum des Stadtrats wäre damit gleich Null. Und es würde auch das Ende von Becks Sonderprogramm "Familienfreundliches Wunsiedel" bedeuten, mit dem er junge Familien in die vom demografischen Wandel gebeutelte Stadt holen will. 5000 Euro zahlt die Stadt pro Kind an Familien, die ein Haus bauen oder sanieren. Sie zahlte auch noch, als die Stadt schon haushaltslos und die Auszahlung "grundsätzlich nicht zulässig" war, heißt es im Bericht.

Ist das aber schon Untreue? Schwer zu sagen, selbst verweisen die kommunalen Prüfer nicht auf die Staatsanwaltschaft, sondern auf die Rechtsaufsicht. Und das auch wegen diverser Grundstücksankäufe der Stadt, für die keine gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen. Zumal den Prüfern noch nicht mal ein Bedarf für diese Grundstücke ersichtlich ist. Am diesem Dienstag muss sich Beck dem Stadtrat erklären. Gefeiert werden dürfte er nicht.

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