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Bürgerentscheid in Nürnberg:Der echte Dürer soll es sein

Das Verhältnis der Nürnberger zu Albrecht Dürer ist seit jeher ein sehr emotionales. Am Sonntag stimmen sie darüber ab, ob ein im Krieg zerstörtes Kunstwerk des Malers im Rathaussaal rekonstruiert werden soll. Dabei sagen Experten, dass die überlieferten Fotos nichts mit dem Original gemein hätten.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Es konnte doch gar nichts schiefgehen für Ulrich Maly bei der Kommunalwahl. So wirkt es im Nachhinein, aber im Januar hatte das für einen Moment lang ganz anders ausgesehen für den Nürnberger Oberbürgermeister. Da war plötzlich jemand auf den Plan getreten, von dem viele sagen, er bediene wie kaum ein anderer die Vox populi in Nürnberg, das Irrationale, etwas, was, einmal in der Welt, schwer zu kalkulieren ist. Der Mann heißt Karl-Heinz Enderle, er steht einem der einflussreichsten Vereine der Halbmillionenstadt vor, den "Altstadtfreunden". Seine Gegner sagen, Enderle fühle sich nicht nur als Chef eines historischen Verschönerungsvereins. In Wahrheit fühle er sich als Stellvertreter Dürers auf Erden.

Enderle habe noch Visionen, sagen die einen. Die anderen sagen, er leide eher unter denselben. Enderle will Dürer zurückbringen ins Nürnberger Rathaus, mit aller Macht. Es geht ihm um das - rein flächenmäßig - größte Werk Albrecht Dürers. 1521 war der Nürnberger Meister mit der Ausmalung jenes Saales beauftragt worden, in dem der Rat der Stadt tagte und Gericht hielt. Dürer nahm an, selbst Hand angelegt hat er jedoch nie. Umgesetzt wurden seine Entwürfe für eine repräsentative Saalausmalung von anderen, maßgeblich wohl von Malern seiner Werkstatt. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs, vor allem am 2. Januar 1945, wurde der Saal schwer getroffen und bis auf die Grundmauern zerstört. Und mit ihm Dürers größtes Werk.

Enderle will das jetzt ändern. Am Sonntag werden die Nürnberger auf seine Initiative hin darüber abstimmen, ob die Stadt ihren Historischen Rathaussaal wieder ausmalen muss, unter anderem mit dem berühmten "Triumphzug Kaisers Maximilian I.". Oder ob gelegentliche Projektionen doch besser geeignet sind, die Gedankenwelt Dürers und seiner Zeit abzubilden. Für Enderle ist die Sache klar, für ihn zählt nur die harte Variante. Dürer zurück.

Mittelschwere Staatskrise in Bayern

Wer noch nicht wusste, was für ein emotionales Verhältnis die Nürnberger zu dem Maler-Genie pflegen, der ahnt es spätestens, seit vor zwei Jahren der Streit um Dürers "Selbstbildnis im Pelzrock" eine mittelschwere Staatskrise in Bayern auszulösen drohte. Seitdem weiß jeder Politiker, dass sich Debatten über Dürer zum Politikum ausweiten können, zum Thema, das sich mit dem guten kunsthistorischen Argument kaum noch einfangen lässt. Und so war der Vorschlag Enderles, er werde direkt vor den Wahllokalen bei der OB-Wahl Unterschriften sammeln für einen Bürgerentscheid "pro Dürer", viel mehr als die Wichtigtuerei eines kuriosen Anhängers altfränkischer Geschichte. Für Maly, der vehement gegen die Kopie einer Kopie einer Kopie argumentiert, drohte die Ankündigung zur kaum kalkulierbaren Bedrohung zu werden. Enderle wusste das.

Nürnbergs OB, dem ein Händchen für Regierungskunst nachgesagt wird, hat die Angelegenheit dann noch vor der Kommunalwahl umgebogen, indem er selbst ein Ratsbegehren vorgeschlagen hat. Und die Abstimmung für den Tag der Europawahl. Mit doppeltem Effekt: Enderle kann sich seither im Triumph sonnen, einen Entscheid erzwungen zu haben - den alle relevanten Parteien bis dahin abgelehnt hatten. Und Maly hatte vor der OB-Wahl seine Ruhe vor dem ungeliebten Thema.

Rekonstruktion könnte Ruf als seriöse Dürer-Stadt schädigen

Und seine Ruhe vor Markus Söder: Der hatte sich, wenig überraschend, auf die Seite der Dürer-Heimholer geschlagen. Und sich pikanterweise gegen Nürnbergs CSU-Kulturreferentin Julia Lehner, eine promovierte Kunsthistorikerin, positioniert. Sie fürchtet, mit einer Rekonstruktion könnte der Ruf Nürnbergs als seriöse Dürer-Stadt einen schweren Schlag erleiden.

Ausschließen, dass es so kommt, kann vor Sonntag niemand. Dafür ist der Einfluss der Altstadtfreunde in Nürnberg zu stark. Und dafür lässt der Text, über den abgestimmt wird, zu viele Fragen offen. Gefragt wird danach, ob die Bemalung des Saales anhand von Fotos rekonstruiert werden soll, die aus den Jahren 1943 und 1944 stammen und die den "Vorkriegszustand" aus dem Jahr 1904 dokumentieren.

Das klingt unproblematisch, so als müsste man sich nur ein paar Fotos anschauen und wüsste dann, wie Dürer sich einen repräsentativen Saal für seine Heimatstadt vorgestellt hat. Was in diese eine Frage, um die Maly und Enderle gerungen haben, nicht eingegangen ist: Dass der besagte "Vorkriegszustand" nicht der des 16. Jahrhunderts ist. Sondern dass Dürers Werk in den folgenden Jahrhunderten immer wieder verändert wurde, teils ergänzt, auch übermalt. Dürer war da noch nicht das Symbol des Renaissance-Meisters schlechthin, und so fanden es die Ratsherren 1613 sogar angemessen, eine Wand des Saales einzureißen und neu zu bauen. 1904 schließlich wurde das Werk restauriert und teils neu bemalt. Wie der Restaurator Hans Haggenmiller gearbeitet hat, lasse sich ungefähr von den überlieferten Fotos ablesen, sagen Experten. Aber Dürer?

Ob sich überhaupt ein halbwegs ernst zu nehmender Künstler findet, der auf so einer Basis Dürer "rekonstruieren" würde, ist fraglich. Dieser Punkt, vielleicht der wichtigste, wird vor dem Entscheid aber kaum diskutiert. Derzeit geht es eher darum, ob eine Ausmalung neun Millionen Euro kosten würde. Oder nicht mal die Hälfte, wie die Altstadtfreunde vermuten. Das aber dürfte eher nebensächlich sein. Im Erfolgsfall hoffen die Rekonstruktions-Freunde auf hohe Spenden, wohl zurecht.

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SZ vom 20.05.2014/ahem
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