Süddeutsche Zeitung

Bürger sollen über Olympia entscheiden:Doppelt gefragt hält besser

Für die Grünen ist Olympia ein heikles Thema, parteiintern und im Verhältnis zu ihren politischen Partnern. Jetzt sollen die Bürger es richten: Will die Stadt München die Winterspiele 2022 haben, sollen sie entscheiden - und zwar gleich zwei Mal.

Von Heiner Effern und Silke Lode

Was die Grünen in den eigenen Reihen nie geschafft haben, sollen jetzt die Bürger richten: Sie sollen eine Linie in die Debatte über eine Bewerbung für die Winterspiele 2022 bringen. Deshalb haben die Olympia-Gegner eine neue Strategie ersonnen: Sie wollen eine Art doppelten Bürgerentscheid, bei dem die Münchner sowie ihre Partner in Garmisch-Partenkirchen, Ruhpolding und Schönau zweimal abstimmen dürfen. Das erste Mal wie angekündigt am 10. November - falls denn der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) die Bewerbung befürwortet. Und das zweite Mal vor Abgabe der endgültigen Bewerbungsunterlagen, des sogenannten Bidbooks.

"Wir haben beim letzten Mal gesehen, dass zwischen dem ersten Konzept und der endgültigen Planung Welten liegen", sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Ludwig Hartmann, der auch Sprecher des Gegner-Bündnisses NOlympia ist. Eine einmalige Abstimmung knapp neun Jahre vor der Austragung sei ein "Blankoscheck", den die Gegner nicht ausstellen wollen. "Und wenn es um ein Ereignis mit Kosten von mehreren Milliarden Euro geht, dann kann man schon zweimal in drei Jahren die Bürger abstimmen lassen", sagt Hartmann.

Der Steuerzahler soll nicht aufkommen müssen

Der erste Bürgerentscheid müsste sich mit der Zustimmung zur Bewerbung beschäftigen und schon Auskünfte über deren Kosten beinhalten, fordert er. Auch müsste den Bürgern in den Kommunen deutlich gemacht werden, dass eventuelle Verluste bei der Durchführung der Spiele von ihnen selbst zu tragen seien. "Die sollen nicht die Steuerzahler in Coburg oder Hof bezahlen", sagt Hartmann. Er werde sich dafür einsetzen, dass nicht das Land Bayern dafür hafte.

Für die Grünen ist Olympia ein heikles Thema - parteiintern und im Verhältnis zu ihren politischen Partnern. Schon bei der ersten Bewerbungsrunde für die Winterspiele 2018 hat das Großprojekt heftige Spannungen zwischen der Münchner Rathausfraktion und den Parteimitgliedern ausgelöst; nach einem Nein der Basis zu Olympia hatten führende Mandatsträger sogar befürchtet, man sei gezwungen, das seit mehr als 20 Jahren regierende rot-grüne Bündnis in München zu brechen.

So weit ist es nicht gekommen, doch die Grünen-Stadtchefin Katharina Schulze hat angekündigt, analog zur Landesebene das grüne Nein zu einer neuerlichen Olympiabewerbung auch im Kommunalwahlprogramm festzuschreiben. Denn zur Profilierung ist das Thema für die Grünen allemal gut: Keine andere Partei engagiert sich so vehement gegen Olympia. Bei einem Bürgerentscheid in München rechnet selbst Oberbürgermeister Christian Ude mit mindestens 30 Prozent für die Gegner - ein Potenzial, das die Grünen gerne auch bei Wahlen an sich binden würden.

Zugleich stehen die Grünen aber vor dem Problem, dass die Bürger in München und den anderen möglichen Austragungsorten sehr wahrscheinlich für eine Bewerbung stimmen würden, wenn es tatsächlich zur Abstimmung kommt. Eine Partei, die sich bei jeder Gelegenheit mehr Bürgerbeteiligung auf die Fahnen schreibt, kann schlecht Opposition gegen den erklärten Willen der Mehrheit machen.

Deshalb haben die Grünen inzwischen klar gemacht, ein Ja der Bevölkerung zu Olympia zu respektieren - auch wenn diese Zusage sowohl der Stadtchefin Schulze als auch dem Landtagsabgeordneten Hartmann nur schwer über die Lippen geht. "Wenn sich die Bürger überall für eine Bewerbung aussprechen, werden wir uns danach richten", verspricht Landeschef Dieter Janecek.

Zunächst aber wollen die Grünen alles daran setzen, eine neue Bewerbung zu verhindern. Sie argumentieren, ein Großereignis in dieser Form sei nicht zeitgemäß; zudem sei das Internationale Olympische Komitee (IOC) als Veranstalter völlig unseriös. Die Münchner OB-Kandidatin der Grünen, Sabine Nallinger, gehört zu denjenigen in der Partei, die keine Fundamentalopposition gegen Olympia machen. Sie besorgt aber der ohnehin schon große Wachstumsdruck in München, der weiter erhöht werden würde.

Und sie sagt: "Wenn wir uns bewerben, dann muss es andere Verträge mit dem IOC geben." Es könne nicht sein, dass dieses die Planungshoheit der Städte umgehen und alleine entscheiden dürfe, welche Sportstätten oder Verkehrsanbindungen nötig seien. Auch an den vom IOC geforderten Steuerbefreiungen und Vorschriften für das Sponsoring stößt sich Nallinger. "Die Juristen müssen Wege finden, dass wir Herr des Verfahrens bleiben", fordert sie. Auch Ude hat das IOC schon für seine "Knebelverträge" scharf kritisiert - einen Weg daran vorbei hat er aber im ersten Bewerbungsanlauf nicht gefunden. Nallinger ist trotzdem zuversichtlich: "Es gibt immer mehr Städte, die Nein zu diesen unlauteren Verträgen sagen. Niemand reißt sich mehr um die Austragung Olympischer Spiele - das trifft das IOC."

Unterstützung bekommt sie dabei sogar von den Freien Wählern, die eigentlich in Winterspielen eine große Chance sehen. Doch der Vize-Fraktionschef im Landtag, Michael Piazolo, stellt für eine Bewerbung zwei Bedingungen: dass die Bürger darüber abstimmen dürfen und dass die Verträge vom IOC "nicht diktiert werden". Man müsse ausloten, wie weit es Verhandlungsmöglichkeiten gebe, und in den Gesprächen mit dem IOC "selbstbewusst auftreten".

Die Differenzen bleiben

Wenigstens in diesem Punkt also könnte sich das Oppositionsbündnis im Landtag beim Thema Olympia wieder annähern. Scharfe Differenzen gibt es trotzdem - auch wenn Ude betont, der ablehnende Kurs der Grünen sei "kein Problem" für eine mögliche Koalition auf Landesebene. Mit dieser Einschätzung hat Ude wohl Recht: Wie beim Streit über die dritte Startbahn für den Münchner Flughafen könnten es nun wieder die Bürger sein, die mit ihrem Votum den politischen Ausputzer machen.

Deshalb wollen nicht nur die Olympia-Gegner vor einer Abstimmung möglichst viele Fakten präsentieren. Auch Jörg Weber, der bei der Stadt die Olympia-2022-Arbeitsgruppe leitet, betont, dass über Konzept, Kosten und Belastungen einer Bewerbung vor dem Bürgerentscheid genau informiert werden müsse. "Sonst wird das eine Abstimmung ohne Aussagekraft", sagt Weber. Der Zeitdruck, die Planung für das überarbeitete Konzept voranzubringen, ist daher groß - dabei ist noch nicht einmal klar, welches Büro diese Aufgabe übernimmt und wer die Kosten trägt. "Das prüfen wir gerade mit den anderen Kommunen", sagt Weber. Sicher ist nur, dass die öffentliche Hand zahlt - denn Sponsoren gibt es bisher nicht.

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SZ vom 27.04.2013/wolf
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