Buch:In einem Bayern vor unserer Zeit

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Blick auf die Ortschaft Regenstauf vor 200 Jahren. Heute zählt die stark gewachsene Marktgemeinde im Landkreis Regensburg gut 16000 Einwohner. (Foto: Historisches Museum Regensburg)
  • Johann Georg Hämmerl war ein Zeitgenosse Goethes. Um 1800 fertigte er Zeichnungen von mehr als 40 Orten auf dem Gebiet der heutigen Oberpfalz an.
  • Möglicherweise wollte Hämmerl das damals bestehende Herzogtum Neuburg bildlich einfangen.
  • Die Zeichnungen Hämmerls führen die damalige Wirklichkeite deutlicher vor Augen als eine detaillierte Beschreibung.

Von Hans Kratzer, München

Wenn all die Clouds und Festplatten auf dieser Erde demnächst nicht komplett abstürzen, dann werden sich unsere Nachfahren ein ausgezeichnetes Bild unseres Zeitalters machen können. Heute wird ja nicht nur jedes Haus und jede Seitenstraße, sondern flächendeckend sogar jedes Katzenklo und jeder Hühnerstall tausendmal abgelichtet und ins Internet gestellt. Wenn es so etwas doch schon vor 200 Jahren gegeben hätte. Es wäre ein kulturhistorischer Traum, auf alten Fotografien zu bestaunen, wie unsere Ortschaften damals ausgesehen haben.

Für Teile der Oberpfalz gibt es so einen Schatz. Es sind zwar keine scharfgestochenen Fotografien, sondern "nur" gezeichnete Ortsansichten, aber auch sie lassen das Herz des Betrachters sofort höher schlagen. Die Bilder vermitteln einen authentischen Eindruck von Ortsstrukturen aus jenen Jahren, als Bayern Königreich wurde und Annehmlichkeiten wie Fernseher, Autos und Strom noch eine Utopie waren.

Kratzers Wortschatz
:Was hat das Kaffeehaus denn getan?

Oder warum verbinden es manche im Ausruf mit einem kräftigen "Varreck"? Des Weiteren: Gruamzinsler, Huisnblasi oder duddade Dirn - eine Auswahl aus der bairischen Sprache.

Von Hans Kratzer

Der Mann, dem diese Bilder zu verdanken sind, heißt Johann Georg Hämmerl, er lebte als Zeitgenosse Goethes und Beethovens von 1770 bis 1838. Mit seinen Ansichten von überwiegend im Gebiet der heutigen Oberpfalz gelegenen Ortschaften hat Hämmerl ein Vermächtnis von herausragender Bedeutung hinterlassen. Das Werk entstand in der kurzen Zeitspanne von fünf Jahren. Zwischen 1798 und 1803 hielt er mehr als 40 Städte, Märkte, Klöster und Adelssitze auf Bildern fest - einen Teil fertigte er sogar in doppelter Ausführung an.

Dieser Bilderschatz markiert die Endzeit des selbständigen Herzogtums Pfalz-Neuburg, das 1505 als Folge des Landshuter Erbfolgekriegs entstand. König Max I. Joseph und sein Minister Montgelas hoben die Fürstentümer Neuburg und Sulzbach 1808 wieder auf und ordneten die zugehörigen Gebiete den späteren Regierungsbezirken Schwaben und Oberpfalz zu.

Manches Interessante aus dieser Region war schon aus einer schriftlichen Quelle bekannt. Im Jahr 1780 hatte der Regierungsrat Johann Nepomuk Freiherr von Reisach nämlich eine "Historisch-Topographische Beschreibung des Herzogthums Neuburg" vorgelegt. Möglicherweise hat Hämmerl mit seinen Ortsansichten eine Bilddokumentation dieses Territoriums angestrebt.

Für das übrige Bayern war dies bereits lange zuvor erfolgt. Im Auftrag des Kurfürsten Max Emanuel hatte Michael Wening (1645-1718) etwa tausend Kupferstiche gefertigt, die von 1701 bis 1726 in vier Bänden publiziert wurden, und zwar für die Rentämter München, Landshut, Burghausen und Straubing. Wenings Panoramen enthalten fulminante Ansichten von Ortschaften, Schlössern, Landsitzen und Klöstern. Auf manchen Stichen sind sogar Alltagsszenen zu erkennen, die Einblicke in den damaligen Alltag ermöglichen.

Vermutlich orientierte sich Hämmerl an Wening, dessen Stiche übrigens auf der digitalen App "Bayern in historischen Karten" zur Ansicht bereitstehen - wenngleich ein Wening-Stich auf einem Original-Folianten weitaus majestätischer wirkt als auf einem vergleichsweise windigen Smartphone. Hämmerl hat seine Ansichten wohl nicht vor Ort gemalt. Darauf lassen hin und wieder Unstimmigkeiten hinsichtlich der Lage von Häusern und sonstigen Bauwerken schließen. Trotzdem überliefern die Bilder die wesentlichen topografischen Elemente und die architektonischen Veränderungen ziemlich gut.

In der Regel haben sich die Ortsbilder in diesen 200 Jahren deutlich gewandelt, vor allem durch Neubausiedlungen, Straßenbauten und Flurbereinigung. Viele prominente Gebäude sind verloren gegangen, etwa in Parsberg, wo 1841 ein verheerender Brand wütete. Der kulturelle und bauliche Wandel durchweht aber bereits Hämmerls Zeichnungen. Weil er manche Orte im Abstand von wenigen Jahren zweimal gezeichnet hat, stechen die Veränderungen, die es schon damals gegeben hat, umso deutlicher ins Auge.

Ein packender Einblick in bilderlose Zeiten

Das Historische Museum der Stadt Regensburg hat Hämmerls Grafiken 2010 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dass die Ausstellung eine große Resonanz erfuhr, verwundert nicht, handelt es sich doch in den meisten Fällen um die frühesten bekannten Ortsbilder überhaupt.

Sie vermitteln einen packenden Eindruck in frühere, bilderlose Zeiten und Lebensverhältnisse, überdies führen sie die enormen Veränderungen der Lebensverhältnisse in den vergangenen Jahrhunderten vor Augen. Sie schärfen damit die Wahrnehmung der Vergangenheit, da sie die Wirklichkeit von damals unmittelbar vor Augen führen, und zwar deutlicher als jede noch so detailreiche Beschreibung.

Karin Geiger, Sabine Tausch (Hrsg.), Historische Ortsansichten des Oberpfälzers Johann Georg Hämmerl (1770-1838), 120 Seiten, 14,95 Euro.

© SZ vom 08.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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