Zur Gründung der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Bayern hat die Bundesvorsitzende Amira Mohamed Ali die Mitglieder auf den anstehenden Wahlkampf eingeschworen. Man müsse mit aller Kraft verhindern, dass Deutschland durch Ukraine-Politik und Raketen-Stationierung „zum Kriegsschauplatz wird“, sagte die Co-Vorsitzende von Sahra Wagenknecht am Samstag beim Gründungstreffen in Ingolstadt.
Den Ampelparteien warf sie eine „ideologiegetriebene Zerstörung des Wohlstands und der Arbeitsplätze“ vor, eine „unfassbar schlechte Politik“. Eine Alternative seien weder der „marktradikale“ Friedrich Merz mit der Union noch die AfD mit „Faschisten wie Björn Höcke“. Es sei „Zeit für das BSW“, sagte Mohamed Ali.

Was erstaunlicherweise mit keinem Wort in der Gründungsrede des bayerischen BSW erwähnt wurde: Bayern oder nur irgendwelche Aspekte der Landespolitik. Nicht die CSU, nicht Markus Söder, auch nicht Hubert Aiwanger. Der Fokus auf Krieg und Frieden sowie auf der überregionalen Sozialpolitik, etwa der Rente, war auch in den anderen öffentlichen Wortmeldungen als Schwerpunkt erkennbar.
Die Wagenknecht-Partei gibt es damit nun auch in Bayern, als dreizehnten Landesverband. Vorarbeiten hat als Wagenknechts Landesbeauftragter der frühere Linken-Bundeschef Klaus Ernst geleistet. Auch er sprach von Frieden als „DNA unserer Partei“, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wolle „uns in diesen Krieg hineinziehen“. Ernst sagte: „Jede Mark, die nicht in die Rüstung geht, sondern ins Bildungssystem, ist besser angelegt als in der Ukraine“. Das gilt mutmaßlich auch für den Euro. Es sei „unerträglich“, so Ernst, dass er „als Putin-Versteher bezeichnet“ werde, wenn er so etwas sage.
Klaus Ernst, 70, hat Erfahrung mit Neugründungen, war vor gut zwei Jahrzehnten unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Mit-Initiator der SPD-Absplitterung WASG, die dann mit der PDS zur Linkspartei fusionierte. Das BSW hat im Freistaat erst knapp 100 Mitglieder. Die vorerst niedrige Zahl folgt einer bewussten Taktik.
Bereits im Frühjahr hatte Ernst im SZ-Interview einen strengen Zutritt verkündet: „Wenn einer Militarist ist oder mit unserem Grundsatzprogramm nichts anfangen kann, muss er woanders hingehen. Wir wollen eine Geschlossenheit in der Partei erreichen.“ Es gehe um Positionen zu Rüstung, Wirtschaft und Sozialem. Daher führe man erst Gespräche und prüfe, „wer zu uns passt“. Ernst sagte auch, man könne kaum glauben, wie viele „Glücksritter“ unterwegs seien, die ein sozusagen beliebiges, aber aussichtsreiches Vehikel für eine Politikkarriere suchten. Man habe, sagte Ernst am Samstag, aber „eine Menge Leute in der Pipeline“ und wolle weiterhin „kontrolliert wachsen“.
Die Zeit für das BSW drängt, eben wegen der Bundestagswahl. Aus dem überschaubaren Mitgliederstand gilt es nicht nur eine Funktionärsriege zu bestücken, sondern bei einem weiteren Treffen auch eine bayerische Liste zu erstellen. Der Ingolstädter Termin war aber schon vor dem Aus der Ampel geplant gewesen.
Die Mitglieder mussten auf einen Besuch der Namensgeberin Sahra Wagenknecht verzichten. Aus terminlichen Gründen, hieß es, nicht aus Geringschätzung der bayerischen Parteifreunde. Wagenknecht interessiere sich sehr für die regionale Organisation, betonte Ernst – sie sei „nicht die freischwebende Königin, die über den Dingen steht“. Dafür kam eben Co-Chefin Amira Mohamed Ali nach Ingolstadt. Sie rügte eine Einengung der Debattenkultur im Land durch die „herrschenden“ Politiker. Jeder, der anderer Meinung sei, werde prompt in eine rechte Ecke gestellt, alles sei „moralisch aufgeladen, Gut gegen Böse“. Wer sich nicht impfen ließ, galt gleich „als rücksichtsloser Pandemietreiber oder rechter Schwurbler“, wer gegen das Verbrenner-Aus argumentiere, sei ein Klimaleugner. Dies seien ja bayerische Themen, sagte Mohamed Ali am Rande des Treffens auf dezidierte Nachfrage, gerade im „Autoland Bayern“.
Ernst sprach auch über die Migration. Man wende sich nicht gegen Bürger mit Migrationshintergrund, anders als die AfD, „wir können froh sein, dass die hier sind.“ Aber es gehe um Kontrolle von Zuwanderung und um soziale Versorgung – Deutschland sei „ein Magnet“ für Migranten. Auch „Zuwanderung in die Kriminalität“ sei ein Problem.
Die Wahl in Bayern? „Da geht noch richtig was.“
Das BSW führen künftig Klaus Ernst und die Regensburger Stadträtin Irmgard Freihoffer – auch ehemals Linke – in einer Doppelspitze an. Der Landesvorstand besteht aus den zwei Chefs, zwei Vizes, Schatzmeister und sieben Beisitzern aus den Regierungsbezirken – sie sollen den regionalen Aufbau weiter vorantreiben. Jüngst hatte eine digitale Mitgliederversammlung bereits die Personalien erarbeitet, darüber hatte die Süddeutsche Zeitung exklusiv berichtet. Die Wahl in Ingolstadt fand unter Ausschluss der Presse statt. Dies sei bei Gründungsversammlungen des BSW üblich, hieß es, das solle das Kennenlernen erleichtern und dem Schutz der teils parteipolitisch unerfahrenen Basis dienen. Das löste bei den anwesenden Journalisten aber auch Irritationen aus.
Bei der Europawahl im Frühjahr holte das BSW 3,8 Prozent in Bayern – zur Bundestagswahl soll es im Freistaat schon deutlich mehr sein, hieß es in BSW-Kreisen. Auch wenn man weiß, dass zweistellige Werte wie bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland eher überraschend wären. Mohamed Ali sagte dazu, und zumindest da ging es konkret um Bayern: „Da geht noch richtig was.“
Wer sind die Leute im BSW-Landesvorstand? Dass der frühere Mitgliederbestand der Linken angezapft wird, ist unverkennbar. Allen voran Klaus Ernst und Irmgard Freihoffer, die mit 84,5 beziehungsweise 88,7 Prozent gewählt wurden. Freihoffer, 62, ist schon seit 2008 Stadträtin in Regensburg. Zu den lokalpolitischen Themen der Lehrerin gehören Wohnraum, Bildung und Verkehr. Sie sagte, sie habe die BSW-Neugründung „sehnsüchtig erwartet“, nach längerer Entfremdung von der Linken, die oft „ein unwürdiger Kindergarten“ sei. Im Gesamtvorstand sind durchaus auch einige Quereinsteiger in die Parteipolitik zu finden. Andere im Tableau waren bereits als Linke Kommunalpolitiker, etwa Josef Ilsanker, Stadtrat in Passau und einer der neuen Vizes des Bayern-BSW.
Bei den Mitgliedern zeigt sich das Bild ebenso gemischt. Wer herumfragt in Ingolstadt, trifft auf abtrünnige Linke, denen ihre alte Partei zu verkopft war oder „zu weit weg von den Problemen der einfachen Leute“. Es soll aber auch BSW-Mitglieder geben, die zuvor bei der SPD, der ÖDP oder sogar der CSU waren. Und es gibt andere, die ganz neu dabei sind in der Politik. Eine Frau aus Ostbayern sagte, dass sie vorher nirgends Mitglied war, nicht mal im Sportverein. Jetzt sehe sie aber eine Partei, für deren Positionen sie sich auch „als kleines Licht“ einbringen wolle. Ihre Motivation? „Frieden“. Ein Redner sagte auf der Bühne in Ingolstadt: Die örtliche Donau sei der einzige Fluss, der von Westen nach Osten fließe. Diese „klare Friedensbotschaft“ wolle man heute senden. „Wir schicken Diplomaten und keine Raketen und Granaten.“