Nürnberg: Brutaler Polizeieinsatz:Das Ende vom Lied

Ein USK-Beamter hat dem Nürnberger Liedermacher Tobias Hacker ein Loch in seine Gitarre geschlagen - ersetzt wird dem Musiker der Schaden nicht.

Olaf Przybilla

Die Nacht des 5. Juli 2009 wird Tobias Hacker nicht mehr vergessen. Hacker ist Liedermacher, in Nürnberg hat er sich als "Gymmick" einen Namen gemacht, man könnte ihn einen Barden der alten Wecker- und Wader-Schule nennen. Hacker hat kein Konzert gegeben in dieser Nacht.

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Bei einer brutalen Polizeiaktion in Nürnberg zertrümmerte ein USK-Beamter die Gitarre des Liedermachers Tobias Hacker. Ersetzt wird sie ihm nicht.

(Foto: ag.dpa)

Eher war es so, dass er spontan zur Gitarre griff und etwas zur Stimmung in einer Sommernacht beitragen wollte, im Jamnitzerpark in Nürnbergs Stadtteil Gostenhof. Alte Rio-Reiser-Songs hat Hacker gesungen. "Es ist vorbei, bye bye Junimond", und weil einer es verlangte sogar "We are the world" von Michael Jackson. Das war einer der letzten Songs auf seiner alten Taylor-Gitarre, denn in diese hat ihm kurz danach ein Beamter eines Unterstützungskommandos (USK) ein großes Loch geschlagen.

Wer das verstehen will, muss sich mit Sabine Lindsiepe unterhalten. Sie ist Psychologin und unterhält ihre Praxis am Rande des Jamnitzerparks, den man sich als großen sandigen Spielplatz in einem etwas eng geratenen Nürnberger Stadtteil vorstellen muss. Frau Lindsiepe hatte in dieser Nacht ein paar Biertische in den Hof gestellt, immer im Juli feiert sie mit Freuden ein kleines Fest, demnächst wird es wieder soweit sein.

Lagerfeueratmosphäre von nebenan

Dass "Gymmick" nebenan im Park auf seiner Gitarre spielte, hatte nichts mit dem Hoffest zu tun. Aber man hörte sich natürlich, und wenn der Ausdruck nicht so abgedroschen wäre, sagt Frau Lindsiepe, dann würde sie die Situation mit "Lagerfeueratmosphäre" umschreiben. Bis dann die Männer vom USK um die Ecke kamen.

Vom Hof aus hat die Psychologin beobachten können, wie die Beamten vorgegangen sind in dieser Nacht. "Regelrecht enthemmt" seien sie gewesen, sagt Frau Lindsiepe. Sie hat gesehen, wie die Beamten einen Jugendlichen fast überrannten und wie sie anderen hinterherhetzten als gelte es, eine Horde von Verbrechern zu stellen. Frau Lindsiepe hat sich das alles sehr genau angeschaut, als Anwohnerin fand sie das Verhalten der Beamten empörend.

Als Psychologin aber fällt sie ein sehr präzises Urteil: "Diese jungen Männer in ihren Uniformen waren bis an ihre Grenze überfordert." Ein Bekannter hat den Auftritt der USK-Beamten als "testosterongesteuert" beschrieben, ein anderer fühlte sich "nach Teheran versetzt". In der Praxis von Sabine Lindsiepe lassen sich auch Polizisten psychologisch beraten. Sie sagt, diese Beamten hätten viel zu erleiden, "die sind nicht zu beneiden". Denn vor allem den jungen Beamten fehle es oft schlicht an der "richtigen Schulung für extreme Situationen".

Nach allem, was man mittlerweile weiß, erlebten die Leute vom USK eine extreme Situation in dieser Nacht. Jenseits des Jamnitzerplatz hatten Autonome ein harmloses Kneipenfestival umfunktioniert, plötzlich brannten Mülltonnen. Die USK-Beamten wurden von umliegenden Volksfesten abgezogen, in den Straßen von Nürnberg-Gostenhof erwartete sie nach Mitternacht ein Flaschenhagel, wie sie ihn selbst am 1. Mai "noch nicht erleben mussten", berichtet ein Beamter. Auch in der Nähe des Jamnitzerparks brannte auf einer Straße ein Feuer, zwei Meter hoch schlugen die Flammen.

Tobias Hacker, der Mann mit der Taylor-Gitarre, hat von den brennenden Tonnen gehört, allerdings erst im Nachhinein. Hacker sagt, er verabscheue Gewalt, sein Vater war selbst Polizist, "ich weiß ungefähr, was das bedeutet". Hacker hatte den Abend in einer Kneipe verbracht, von den Eskalationen auf der Straße hatte er nichts mitbekommen, später setzte er sich in den Park und spielte ein paar Lieder, wohl an die 40 Leute hörten ihm dort zu.

Der Beamte war vermummt

Als die Männer vom USK um die Ecke kamen, offenbar auf der Suche nach Brandstiftern und Flaschenwerfern, zog sich Hacker mit einem Kumpel an eine andere Stelle des Parks zurück, "wir wollten nichts mit irgendwelchen Chaoten zu tun haben", sagt er. Dort ging dann alles ganz schnell: Mehrere USK-Beamte kamen aus einer Straße, stürmten auf Hacker zu, der rief noch "neeiiin" und versuchte seinen Kopf mit der Gitarre vor einem Schlagstock zu schützen. Sein Kopf blieb heil dadurch.

Es gibt Augenzeugen für die Tat. Und weil Hacker seine Gitarre ersetzt haben wollte, hat er Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Körperverletzung im Amt. Mit dem Ergebnis, es gebe wohl einen Täter in Uniform - dieser aber sei nicht identifizierbar, schließlich habe der "Geschädigte den handelnden Beamten nicht näher beschreiben" können. Mit Verweis darauf bekam Hacker kürzlich einen rührenden Brief vom Polizeipräsidium Mittelfranken. Er endet: "Wir bedauern die Beschädigung Ihrer Gitarre, können eine Haftung jedoch nicht übernehmen."

In der Tat hat Hacker den Beamten nicht beschreiben können. Denn der trug Helm und war vermummt. Eine Kennzeichnung von USK-Beamten mit Nummern wurde zuletzt immer wieder gefordert, das bayerische Innenministerium aber lehnt eine solche ab. Hacker findet das grotesk. Dass einem Beamten "in bestimmten Situationen der Gaul" durchgehe, das könne er sogar verstehen. Dass er nun aber auf dem Schaden sitzen bleibe, "das verstört mich regelrecht", sagt er.

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