Bruno Merk zum 90. Geburtstag:Kantig, grantig, unverwechselbar

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Bayerns früherer CSU-Innenminister Bruno Merk wird 90 Jahre alt. Er hat dem Freistaat sein modernes Gesicht gegeben. Und wenn er heute denkt, die Staatsregierung baue Mist, schickt er ihr einen blauen Brief.

Andreas Roß

Die böse Post aus Günzburg ist schon legendär: Wenn der Schreiber den Eindruck gewonnen hat, dass die Staatsregierung Mist baut, dann stellt er ihr blaue Briefe zu. Weder Stoiber noch Seehofer hat er in der Vergangenheit verschont, und sein vorerst letztes Werk galt dem Atomausstieg. Ein Auszug: "Ich will da auch raus, aber doch nicht als Entscheidung aus dem Bauch heraus und mit Jahreszahlen, die kein Mensch seriös kalkulieren kann."

Der frühere CSU-Innenminister Bruno Merk wird 90 Jahre alt - doch von großen Feierlichkeiten hält er nichts. (Foto: Robert Haas)

Bruno Merk ist auch mit 90 Jahren noch streitbar, scharfzüngig und immer um klare Aussagen bemüht. Aber auch ohne Abmahnschreiben wäre er seinen politischen Nachfahren in München noch ein Begriff. Denn Minister kommen und gehen, von den meisten bleibt kaum mehr als das Porträtfoto in der Ahnengalerie. Ihre Namen sind rasch vergessen. Bei Bruno Merk aber ist das anders: In seinen elf Jahren von 1966 bis 1977 als bayerischer Innenminister hat der Schwabe bleibende Spuren hinterlassen. Die von ihm in den 70er Jahren ins Werk gesetzte Gebietsreform gilt auch heute noch als Jahrhundertwerk. Merk hat mit seiner Staats- und Verwaltungsreform Bayern ein modernes Gesicht gegeben. Der CSU-Mann aus Günzburg zählt damit zu den herausragenden Landesministern nach dem Krieg.

An diesem Sonntag wird Bruno Merk 90 Jahre alt. Doch eine große Feier wird es mit dem Jubilar nicht geben. Schon bei seinem 85. Geburtstag mussten sich die lokalen CSU-Größen den Wünschen des kantigen Merk beugen. "Wenn schon eine Ehrung sein muss, dann zwischen sonntäglichem Kirchgang und anschließendem privaten Mittagessen", ließ der Jubilar damals wissen. Und so geschah es dann auch. Am Sonntag wird Bruno Merk nur mit Ehefrau Martha und Tochter Maria den Ehrentag begehen.

"Ich bin zufrieden, ich glaube, meinem Land und den Bürgern gut gedient zu haben. Und ich bin allen dankbar, die mir dabei geholfen haben", lautet sein Fazit. Es wäre jedoch falsch, Merks Lebensleistung nur auf die Gebietsreform, die Verstaatlichung der kommunalen Polizei oder die Neuordnung des Rettungsdienstes einzuengen. Schließlich wurde ihm sein Aufstieg zu einem führenden Landespolitiker nicht in die Wiege gelegt. Die Aussichten damals waren düster.

Bruno war das jüngste von sechs Kindern, das der Familie Merk 1922 in Großkötz südlich von Günzburg geboren wurde. Der Vater, ein Fabrikarbeiter, starb nur sieben Jahre später, und die Mutter hatte alle Hände voll zu tun, um die Familie als Tagelöhnerin und Heimarbeiterin durchzubringen. "Wir waren verarmt", schrieb Merk dazu in seinem Buch "Klarstellungen". Da war es ein Glücksfall, dass in einem Internat des Pallotiner-Ordens in Bruchsal ein Platz für den überaus begabten und intelligenten Schüler Bruno frei wurde. In dieser Zeit reifte in ihm der Entschluss, Pater zu werden und in die Mission zu gehen. Merk absolvierte nach dem Abitur sogar ein einjähriges Noviziat. Doch dann begann der Krieg, und er wurde eingezogen.

Das war die wohl bitterste Zeit in seinem Leben. Merk war in Russland und in Polen im Einsatz. Fünfmal wurde er verwundet, noch heute hat er Granatsplitter in seiner Schulter. Schlimmer noch war jedoch der Verlust des linken Arms, ein Schuss hatte den Ellenbogen zerfetzt. Wegen seiner Kriegsverletzung musste Merk hinterher von seinem Berufswunsch Priester abrücken. "Nur mit einem Arm habe ich mir das Leben als Pater und in der Mission nicht mehr zugetraut", sagt Merk. Er arbeitete zunächst als Hilfslehrer, dann im Verwaltungsdienst der Stadt Günzburg, ehe er 1952 ein Jurastudium in München aufnahm, promovierte und die große juristische Staatsprüfung ablegte.

Von da an hatte Merk, der 1946 in die CSU eingetreten war, einen neuen Traumberuf: Er wollte Landrat in seiner Heimatstadt Günzburg werden. "Die Nähe zu den Bürgern, für die man zu sorgen hat, das hat mich fasziniert", betont der Jubilar. Von 1960 bis 1966 wurde dieser Traum auch wahr, danach holte ihn Alfons Goppel als Innenminister in sein Kabinett. Mit seinem scharfen juristischen Sachverstand und seiner glänzenden Rhetorik war Merk ein Leistungsträger im Kabinett und für seine Diskussionspartner ein unbequemer Kontrahent.

Vor allem sein Widersacher Franz Josef Strauß bekam das häufig zu spüren. Mit ihm trug Merk harte Wortgefechte aus, bei der Gebietsreform zumal. Strauß verlangte damals von Merk, als Innenminister mehr auf die Belange der CSU zu achten. Strauß fürchtete, dass viele Mandatsträger bei der Reform auf der Strecke blieben und die Partei dafür in den Wahlen abgestraft würde.

Doch Bruno Merk ließ sich auch von Strauß nicht beirren und kämpfte seine Reform durch - hart an der Sache orientiert und mit einem geradezu beängstigenden körperlichen Einsatz. "Ich habe mich damals überall im Land der Diskussion gestellt, auch samstags und sonntags." Merk hat dafür einen hohen Preis bezahlt. Der Körper reagierte auf den Stress mit einem Hörsturz, den Merk nicht auskurierte. Heute ist er auf dem rechten Ohr fast taub.

Ende 1976 hätte er ganz groß Karriere machen können - als erster bayerischer Landeschef der CDU. Nach dem Trennungsbeschluss von Kreuth organisierte Merk - damals Bezirkschef der CSU in Schwaben - den Widerstand gegen die von Strauß propagierte Ausdehnung der CSU im Bund. Der CDU-Bundesvorsitzende Helmut Kohl stand in regelmäßigem Telefonkontakt zu Merk. Er wollte den Landespolitiker dafür gewinnen, in Bayern einen CDU-Landesverband zu gründen und ihn anzuführen. Dazu aber kam es nicht.

Ein Datum überschattet bis heute seine Karriere: Es ist der 5. September 1972, der Tag des Palästinenser-Attentats auf israelische Sportler in München. Merk leitete als Innenminister den Krisenstab. Der stümperhafte Versuch, die israelischen Geiseln auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck zu befreien, endete mit einer blutigen Schießerei. Insgesamt 17 Menschen starben beim Olympia-Attentat. Merk durfte als Innenminister trotzdem weitermachen - heute wäre das undenkbar. "Das war sehr, sehr tragisch", sagt er im Rückblick. "Wir waren auf solchen Terrorismus nicht vorbereitet, hatten keine Erfahrung, nicht die richtige Bewaffnung und auch nicht entsprechend ausgebildete Kräfte."

Dennoch scheint Merk mit sich im Reinen zu sein. Elektrisiert hat ihn allerdings ein Fernsehfilm, der vor wenigen Wochen im ZDF lief. Ein ehemaliger BND-Mitarbeiter ließ in dem Film anklingen, dass es bei den Nachrichtendiensten eine Eingreiftruppe gegeben habe, so eine Art Vorläufer der späteren GSG 9. "Wenn es die gab, dann hätte der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher das doch wissen müssen. Er hat aber im Krisenstab keinen Schnaufer getan." Merk hat deshalb im Nachgang zu dem Film Genscher und die Bundesregierung angeschrieben und um Aufklärung gebeten.

Im Vergleich der smarten Generation Söder wirkt Merk fast wie aus der Zeit gefallen: ein kantiger, penibler Mensch - auch jetzt noch mit 90 Jahren. Gelegentlich trifft er sich mit politischen Weggefährten aus der CSU wie Theo Waigel, Hans Maier, Karl Kling, Otto Meyer und Hans Berkmüller. "Schattenkabinett" oder "Lästerrunde" nennen sie das. Wie auch immer - Protokolle werden dabei aber keine mehr verfasst. Nur die eine oder andere Idee für einen blauen Brief dürfte von dort stammen.

© SZ vom 14.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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