Süddeutsche Zeitung

Volksmusikarchiv in Bruckmühl:Misstöne aus einer ach so heilen Welt

Lesezeit: 3 min

Der Bezirk Oberbayern will sein Volksmusikarchiv in ein modernes Zentrum unter anderem für Literatur und Popularmusik umwandeln. Das stößt auf harsche Reaktionen unter Musikanten.

Von Matthias Köpf und Sabine Reithmaier, Bruckmühl

Was Volksmusik eigentlich ist und sein soll, ist vielen Musikanten von Herzen egal. Etliche andere aber wissen es umso genauer, nur einig werden sie sich darüber nicht. Irgendwie ans Herz gehen wird sie wohl, und wenn dann noch der Faktor Tradition dazukommt, dann kann der Ton schon mal rauer werden in einer Welt, die manche so gerne für eine heile halten. Material für Zweifler bietet da gerade das Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern in Bruckmühl im Landkreis Rosenheim.

Dieses Archiv, so will es ein auswärtiger Volksmusikpfleger neulich beschieden bekommen haben, stehe erst Ende 2022 wieder zur Verfügung - und das, obwohl dort erst vor Kurzem viel neues Personal installiert wurde. Bis vor einem Jahr bestand das Archiv vor allem aus Oberbayerns mehr als langjährigem Volksmusikpfleger Ernst Schusser, der sogar ein Jahr später in Rente gehen durfte, als er gedurft hätte. Schusser war ganz Praktiker, zog mit der Ziehharmonika durchs Land und sang mit den Leuten Lieder. Das gefiel vielen Musikanten, denen es auch eher egal war, was Schusser da für sie aus seinem Sammelsurium zog, solange es ihnen halt weiterhalf. Und immerhin Schusser selbst fand ja stets, was er suchte. Suchen darf aber auch er gerade nicht mehr, was die einen als eine Art Hausverbot ansehen, während es von den anderen heißt, wenn gerade niemand Externer hineinkönne ins Archiv, dann eben auch Schusser nicht. Außenstehenden bleibt vorerst die Sammlung des Landesvereins für Heimatpflege.

Denn der Bezirk will sein Volksmusikarchiv nun in ein modernes Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik umwandeln. "Eine Neuausrichtung mit allem Drum und Dran, mit neuen Menschen, neuen Ideen und Räumlichkeiten", sagt Elisabeth Tworek, Leiterin der Abteilung Kultur, Bildung, Museen, Heimat im Bezirk. Ein so sinnvoller wie ehrgeiziger Plan, zumal Oberbayern, von München abgesehen, bisher kein literarisches Gedächtnis besitzt. Trotzdem gefällt die Idee nicht allen, vor allem in der konservativen Volksmusikszene rumort es. "Eine Weiterentwicklung macht eben manchen Menschen Angst", sagt Tworek kühl.

Wirklich harmonisch läuft die Umwandlung nicht. Im September hat der junge Volksmusikpfleger Bernhard Achhorner nach nur neun Monaten hingeworfen. "Aus persönlichen Gründen", heißt es offiziell, aber es wäre kein Wunder, wenn der eisige Gegenwind aus der Volksmusik-Szene seine Entscheidung beeinflusst hätte. Einen Nachfolger hat der Bezirk schnell gefunden: Leo Meixner, ehemaliger Sänger der CubaBoarischen, der mit CubaBoarisch 2.0 inzwischen eine eigene Gruppe gegründet hat. Der 33-jährige Musikpädagoge, der in Bruckmühl lebt und seine Wurzeln in der traditionellen Volksmusik hat, arbeitet seit Langem im Archiv mit und war auch mit Schusser viel unterwegs.

Anders als der Tiroler Achhorner ist er in Oberbayerns Volksmusikszene gut vernetzt. "Das erleichtert mir den Einstieg jetzt sehr", sagt er, versichert, sich um die überlieferte Volksmusik kümmern zu wollen, und schwärmt, wie sehr die zu seinem Leben gehöre. Das klingt zwar so, als wolle er bestimmte Kreise beschwichtigen, wird aber nichts daran ändern, dass der Volksmusikbegriff im Zentrum künftig internationaler wird und auch Menschen ansprechen will, die die Musik ihrer Heimat mitbringen. "Dahoam is überoi" heißt ein Lied von CubaBoarisch 2.0.

Meixner wird der zweite aktive Musiker im neuen Zentrum neben Matthias Fischer, dem Mann für die Popularmusik. Die Leiterin des Zentrums, die Literaturwissenschaftlerin und Musikantin Katharina Baur, kehre zum 1. Dezember aus ihrer Elternzeit zurück, sagt Tworek, die auch Verena Wittmann bald zurückerwartet. Die Leiterin des Archivs für Volksmusik und regionale Literatur hatte vor vier Monaten einen schweren Autounfall. Ihr obliegt es den enormen Sammlungsbestand zu "professionalisieren" (Tworek).

Das junge Team müsse sich jede Menge böser Bemerkungen anhören, sagt Tworek. Manche Musikanten dürften sich aber auch aus ganz konkreten Gründen ärgern. Der Bezirk verlängert viele Projektverträge nicht, die Schusser abgeschlossen hatte. "Wir wollen die Werkverträge zurückfahren und lieber ordentliche Arbeitsverhältnisse schaffen", sagt Tworek - auch um das Entstehen einer "Pressure Group" zu verhindern, die versuche, Einfluss zu nehmen. Doch das ist wohl längst passiert. Bezirkstagspräsident Josef Mederer informierte jedenfalls am Freitag die "lieben Freunde der Volksmusik" in einem langen Brief über die Neuausrichtung und versicherte, dass das Archiv wie bisher "eine zuverlässige Anlaufstelle bei Fragen zu Notenmaterial, Volksmusikpflege oder Feldforschung" bleiben wird.

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