Vor einigen Tagen bat der fränkische Autozulieferer Brose zu einem Wohlfühltermin: die Eröffnung des „Kids Club Bamberg“. Einer Krippe und Kindertagesstätte für den Nachwuchs der Angestellten. Üblicherweise nehmen Manager derlei Termine zum Anlass, um das Engagement der Firma für die eigene Belegschaft zu preisen und Dankesreden zu halten. Bernhard Blauth hingegen nutzte die Gelegenheit, der eigene Führung und damit indirekt auch sich selbst die Leviten zu lesen. Und Brose veröffentlichte seinen Redetext.
Natürlich lobte Blauth die Sozialeinrichtung, „die in dieser Qualität und Ausstattung in der Region Bamberg einmalig ist“. Dann aber war es mit den Freundlichkeiten vorbei. Als die Entscheidung für den Kita-Bau 2021 getroffen worden sei, „waren die massiven Auswirkungen der weltweiten Krise in der Automobilindustrie in der aktuellen Dimension noch nicht absehbar“, so Blauth. Heute, ließ er durchblicken, würde man wohl nicht mehr bauen. Den Bau zu stoppen wäre aber nicht sinnvoll gewesen, weil alle Aufträge an die ausführenden Firmen bereits vergeben gewesen seien. „Leider“, sagte Blauth, „hat unsere Geschäftsführung die wirtschaftliche Entwicklung schon seit vielen Jahren, und auch aktuell, falsch eingeschätzt.“ So hart, so nachvollziehbar die Kritik eingedenk der Lage des Unternehmens. Und doch waren die Worte von bemerkenswerter Deutlichkeit. Denn Blauth gehört als Personalchef seit 2023 selbst der von ihm gegeißelten Geschäftsführung an.
Kaum vorstellbar, dass Blauth seine Worte ohne Rückendeckung von oben wählte, womöglich sogar von der Eigentümerseite. Alles andere wäre beruflicher Selbstmord. Tatsache ist: Brose steckt seit geraumer Zeit in der Krise. Am Stammsitz in Coburg haben sie als Ursache für die schlechten Zahlen „indirekte Personalkosten“ ausgemacht, also Ausgaben für Verwaltungsangestellte. Diese hätten sich in den vergangenen zehn Jahren „massiv erhöht“ und lägen mehr als doppelt so hoch wie die Lohnkosten der Mitarbeiter in der Fertigung, wie einer Pressemitteilung im Dezember zu entnehmen war. Unter der leicht euphemistischen Überschrift „Brose stellt sich neu auf“ kündigte der Konzern damals die Streichung Hunderter Stellen an: allein 700 in Deutschland, die meisten an den drei fränkischen Standorten Coburg, Bamberg/Hallstadt und Würzburg.
Zwei Monate sind seither vergangen, und statt einer Entschärfung ist eher eine Verschärfung der Krise festzustellen. Es brennt bei Brose, dem Weltkonzern mit rund 32 000 Beschäftigten an 68 Standorten in 24 Ländern. Es verdichten sich Hinweise, dass in Würzburg nicht mehr nur – wie im Dezember kundgetan – etwa 120 Angestellte entlassen werden sollen, sondern gleich das ganze Werk schließen muss. Davon wären fast 1400 Beschäftigte betroffen. Und es war genau diese Gemengelage, die Blauth zu seinen harschen Worten veranlasste. Es sei „natürlich schwer nachzuvollziehen, dass wir innerhalb einer Woche eine Sozialeinrichtung eröffnen“, sagte er, „gleichzeitig aber die mögliche Schließung unseres Standorts Würzburg bekanntgeben“.
Öffentlich geworden waren diese Überlegungen Anfang Februar, nachdem Michael Stoschek, Gesellschafter, Verwaltungsratsvorsitzender und Firmenpatriarch, die Betriebsratsvorsitzenden der fränkischen Standorte darüber in Kenntnis gesetzt und die IG Metall dies publik gemacht hatte. Brose teilte anschließend mit, anhand verschiedener Kriterien würden die Vorteile einer Konzentration auf die Werke in Coburg und Bamberg/Hallstadt untersucht und Synergiepotenziale ermittelt. „Sollten diese wirtschaftlich notwendig sein, muss der zunehmend defizitäre Standort Würzburg aufgegeben werden“, teilte ein Sprecher mit. Wie groß besagtes Defizit ist, sagt er nicht.
Bei der IG Metall sind sie empört über das Vorgehen. „Das muss eine völlig irrationale Entscheidung des Verwaltungsratsvorsitzenden gewesen sein“, sagt Norbert Zirnsak, Erster Bevollmächtigter der Gewerkschaft in Würzburg, der SZ. Er wisse nicht, welche Bücher bei Brose gelesen würden. Der Standort laufe „sehr gut“, erwirtschafte positive Ergebnisse. Zirnsak verweist auf den geltenden Tarifvertrag, der betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2026 ausschließe. Falls sich das Unternehmen daran nicht halte, werde man rechtliche Schritte einleiten. „Wir fordern eine Rückkehr zur Vernunft bei Brose“, sagt Zirnsak.
Hinter vorgehaltener Hand sagt mancher Firmenkenner, diese habe bei Brose Schaden genommen, seit Stoschek, 77, im vergangenen Jahr seinen Rückzug vom Rückzug erklärt hatte und als Vorsitzender eines neu geschaffenen Verwaltungsrates wiedergekehrt war. Das neue Gremium ersetzte den Aufsichtsrat und verschafft Stoschek und seiner Familie, die alle Anteil an der Gesellschaft hält, jenen Einfluss, der ihm in den wenigen Monaten seines – jedenfalls formellen – Abschieds offenkundig zu gering geworden war.
Mit seiner Überlegung, den Standort Würzburg zu schließen, habe Stoschek die Menschen „in große Verunsicherung versetzt“, sagt Gewerkschafter Zirnsak. Die Stimmung sei „geprägt von einem Höchstmaß an Unsicherheit“, die Kolleginnen und Kollegen machten sich „große Sorgen um ihre Zukunft“.
Auch im Würzburger Rathaus blickt man besorgt auf die jüngsten Entwicklungen. „Die Schließung des Standortes Würzburg würde unsere Stadt hart treffen“, sagt Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) der SZ. Brose ist in der Stadt einer der größten Industriearbeitgeber, Schuchardt appellierte deshalb schon Anfang Februar an Stoschek, die angekündigte Kürzung der indirekten Personalkosten könne nicht das komplette Aus des Standortes zur Folge haben.
Ob es im Fall der Würzburger Schließung trotzdem bei den im Dezember angekündigten Entlassungen in Coburg und Bamberg/Hallstadt bleibt, ist unklar. Der Brose-Sprecher sagt dazu nichts. Auch einen genauen Zeitplan für das weitere Vorgehen nennt er nicht, nur so viel: Sobald alle Ergebnisse vorlägen, würden Verwaltungsrat und Geschäftsführung eine Entscheidung treffen.
Ihrem Schicksal ergeben wollen sich die Beschäftigten in Würzburg jedenfalls nicht, aktuell läuft eine Unterschriftenaktion der IG Metall, bereits Mitte Februar demonstrierten laut Gewerkschaft 2500 Menschen für einen Erhalt der Arbeitsplätze in der Stadt, darunter laut Zirnsak auch Delegationen der Standorte Coburg und Bamberg/Hallstadt. „Wir ziehen an einem Strang und lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.“