In spätestens einem halben Jahr soll der Bundestag über die Pläne der Bahn für zwei zusätzliche Zulaufgleise zum längst in Bau befindlichen Brennerbasistunnel entscheiden. So lautet der Zeitplan der Bundesregierung für das Milliardenprojekt im Südosten Bayerns, das Teil eines europäischen Bahnkorridors zwischen Skandinavien und dem Mittelmeerraum werden soll. Im besten Fall könnte dieser Brenner-Nordzulauf in den frühen 2040er-Jahren fertig werden, rund zehn Jahre nach der absehbaren Eröffnung des Basistunnels. Doch aus der Region um Rosenheim kommen Forderungen nach gravierenden Änderungen an der Planung. An diesem Mittwoch hat sich der Verkehrsausschuss des Parlaments die Wünsche angehört, die das Projekt noch weiter verteuern und verzögern könnten.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat die Unionsparteien schon vor der von ihnen beantragten Anhörung bezichtigt, das Projekt zu hintertreiben. Er finde es „hochgradig unseriös, dass die CSU nun die Planungen torpediert, die sie über die Jahre selbst vorangetrieben hat“, sagte Wissing der Augsburger Allgemeinen. Internationale Vereinbarungen, den Zulauf zum Brenner viergleisig zu gestalten, gibt es schon seit 30 Jahren, doch vor allem Deutschland hat sich mit der Umsetzung viel Zeit gelassen. Erst vor drei Jahren haben sich die Bahn und der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf eine Planung festgelegt, die demnächst in feiner ausgearbeiteter Form den Bundestag erreichen soll.
Demnach sollen die beiden zusätzlichen Gleise auf ihrer knapp 60 Kilometer langen Trasse durch den Landkreis Rosenheim zu fast zwei Dritteln unter der Erde verschwinden. Das Ziel, möglichst wenige Menschen mit den neuen Gleisen zu behelligen und so den Widerstand in Grenzen zu halten, würde sich der Bund schon nach der Schätzung von 2021 mindestens sieben Milliarden Euro kosten lassen. Doch sofort wurden Forderungen laut, die Trasse nördlich von Rosenheim nicht über hohe Dämme und eine Brücke über den Inn zu führen, sondern den Fluss im Tunnel zu unterqueren. Dies würde nach DB-Angaben weitere drei Milliarden Euro kosten.
Noch aufwendiger wäre die zweite Kernforderung aus der Region, nämlich die neuen und die bestehenden Gleise nicht im äußerst engen Inntal bei Niederaudorf miteinander zu verknüpfen, sondern als Tunnellösung im Gebirgsstock Wildbarren. Bahn und Bund haben ein Gutachten bestellt, wonach eine solche bisher beispiellose Lösung nicht nur einen riesigen planerischen, technischen und finanziellen Aufwand erfordern, sondern wohl auch den Sicherheitsbestimmungen nicht genügen würde. Ein Gegengutachten im Auftrag der Inntal-Gemeinden bezeichnet die Wildbarren-Lösung hingegen als mutmaßlich machbar.
Bürgerinitiativen zweifeln an der Notwendigkeit des Projekts
Beide Positionen kamen am Mittwoch ebenso zur Sprache wie die anderen, teils seit vielen Jahren erörterten Argumente. Vertreter der bayerischen Wirtschaft und des Fahrgastverbands pro Bahn sowie der Tiroler Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ) verlangten eine möglichst schnelle Realisierung der jetzigen Pläne, wovon sie sich einen ungehinderten Handel, viel kürzere Fahrzeiten nach Italien, mehr Schienenkapazitäten für den Nahverkehr und eine Entlastung der Anwohner vom Lkw-Verkehr versprechen.
Zumtobels grüne Vorgängerin Ingrid Felipe, die inzwischen bei der Deutschen Bahn für Infrastruktur-Großprojekte zuständig ist, sprach von einer Planung, die viele Wünsche aus der Region aufgenommen habe, und von einem ohnehin hohen Tunnelanteil – der freilich immer noch weit unter jenen 80 Prozent bei der längst fertigen Tiroler Zulaufstrecke liegt. Der Rosenheimer Landrat Otto Lederer (CSU) betonte dagegen den Wert der Landschaft und die Auswirkungen auf den Tourismus und vor allem auf die Landwirtschaft, die große Teile des knappen Bodens verliere.
Dass der neue Brenner-Nordzulauf grundsätzlich gebraucht wird, bezweifelte am Mittwoch nur der von der Linken als Experte eingeladene pensionierte DB-Planer Gerhard Müller. Er vertritt die Auffassung der versammelten Bürgerinitiativen der Region, wonach zusätzlicher Güterverkehr durch den Ausbau der bestehenden Gleise und anderer Bahnstrecken aufgefangen werden könnte. Das Ob des Ausbaus stand am Mittwoch aber gar nicht zur Debatte. Diese Frage könnte sich dann im Frühjahr anhand einer neuen Kostenschätzung stellen.