Brauchtum:Zum Dank ein Wachsstöckl

Wachsstöckl-Markt in Massing (Niederbayern) zu Mariä Lichtmess

Eine Tradition aus dem alten bäuerlichen Brauchtum: Wachsstöckl sind kleine Kunstwerke und Dankesgaben mit religiösen Motiven. Aber auch Liebende haben sie gerne verschenkt - und manche pflegen das heute noch.

(Foto: Hans Kratzer)

In Massing leidet der traditionelle Wachsmarkt vor Lichtmess an Besucherschwund. Im Nachbarort Tann hingegen sind die Wirtshäuser immer noch voll.

Von Hans Kratzer, Massing

Der Wurstverkäufer weiß aus Erfahrung, dass er seine Kunden auf dem Massinger Wachsmarkt verbal durchaus härter anfassen darf, ja sogar muss. Andernfalls würden sie ihm vielleicht nichts abkaufen. Die Kommunikation verläuft deshalb sehr direkt: "Di hab i aa scho lang nimmer gseng, du bist fei ganz schee alt worn", sagt er zu einem in Ehren ergrauten Mann. Dessen Frau kontert: "Ja fällt denn dir nix anders ein, als blöd daherzureden." Dann fragt sie ihn, was denn diesmal das Lüngerl kostet und der Presssack. "Chefin", sagt er, "für des Geld nimmst es jetzt, Aus, Äpfe, Amen!" Noch bevor beide Seiten zufrieden voneinander scheiden, hat der Wurstmann schon sein nächstes Opfer im Visier: "Griasdi Chef, die Regensburger da, die hab i extra für dich aufghoben, des is was für an Feinschmecker, die nimmst ..."

Am Stand daneben wird etwas dezenter debattiert. Hier gibt's ja auch keine Wurst, Anneliese Hutterer verkauft traditionelle Wachsstöckl. Vor hundert Jahren wäre ihr diese Ware vermutlich aus den Händen gerissen worden. An diesem Dienstag ist die Zahl der Käufer überschaubar. "Wachsstöckl", murmelt ein Mann beim Vorübergehen vor sich hin. Vermutlich wundert er sich, dass diese Relikte immer noch feilgeboten werden. Er geht weiter, ohne stehen zu bleiben. Mit Wachsstöckl kann er erkennbar nichts mehr anfangen.

Anneliese Hutterer zählt zu den letzten, die diese kleinen Kunstwerke noch in Handarbeit anfertigen. "Früher durften sie in keinem Haushalt fehlen", sagt sie. In Zeiten ohne elektrisches Licht war der Bedarf an Wachs und Kerzen groß. Deshalb gab es Wachsmärkte, auf denen man sich mit der begehrten Ware eindecken konnte. Die Märkte wurden um Mariä Lichtmess (2. Februar) herum abgehalten, weil das Wachs in der Kälte nicht gleich zerfloss. Einige Wachsmärkte haben überlebt, etwa jener in Massing (Kreis Rottal-Inn), der stets am Dienstag vor Lichtmess stattfindet. Aber auch in Massing sind die Zeiten vorbei, in denen am Wachsmarkt in den Wirtshäusern das Leben tobte, als Vieh gehandelt wurde und Pferde- und Schlittenrennen für Nervenkitzel sorgten. Die Attraktivität wird auch nicht mehr dadurch angeheizt, dass auf dem Markt nach wie vor Wundermittel aller Art angeboten werden, Rosswürste, Schmalznudeln und Schlagerkassetten, Bauerngeräuchertes, Zwetschgenbavesen und zwilchene Unterhosen.

Kaum ein fremder Gast verirrt sich hierher, die Besucher kommen alle aus dem näheren Umland. Dafür verbreiten die Fieranten internationales Flair. Shaminder Singh zum Beispiel, der aus Indien stammt und Kleidung verkauft. Früher führte er ein Restaurant, dann hat er sich auf den Handel verlegt. "Leider lassen die Märkte alle nach", klagt er, "alle kaufen im Internet."

Dass immer weniger Standlleute kommen, wundert ihn nicht. Anneliese Hutterer aber gibt nicht auf, unbeirrt setzt sie die Tradition des Wachsstöckls fort. "Viele junge Menschen kennen diesen Brauch nicht mehr", sagt sie, deshalb verschenkt sie manchmal welche an Schulkinder. Früher schenkten die Knechte auf den Bauernhöfen jenen Mägden, die ihnen das Bett machten und ihre Wäsche wuschen, zum Dank ein Wachsstöckl. "Manche versteckten es so im Bett, dass ein Mädchen, das beim Bettenmachen schlampig vorging, es auch nicht fand", erzählt Frau Hutterer.

Brauchtum: Die Kunden werden weniger: Shaminder Singh, Fierant auf dem Wachsmarkt.

Die Kunden werden weniger: Shaminder Singh, Fierant auf dem Wachsmarkt.

(Foto: Hans Kratzer)

Religiöse Motive wie die schwarze Madonna von Altötting zieren die Wachsstöckl. "Was mich wundert", sagt Hutterer: "Heuer ist das Bruder-Konrad-Jahr, aber der Bruder Konrad ist bislang nicht gefragt." Auf dem Land werden Wachsstöckl zur Taufe, zur Kommunion und zur Firmung verschenkt. Noch nicht ganz vergessen ist überdies, dass es in amourösen Angelegenheiten nie schadet, der herzliebsten Dame ein Wachsstöckl zu schenken.

Wie stark politische Kundgebungen eine solche Tradition beleben, zeigt der an diesem Donnerstag stattfindende Wachsmarkt im benachbarten Tann. Dort sind die Volkstribunen immer noch imstande, die Wirtshäuser und den Markt massenhaft zu füllen. In Massing schafft das auch das Berta-Hummel-Museum nicht mehr, das am Wachsmarkt stets einen Abstecher wert wäre. "Leider kommen nur noch wenige Besucher", klagt die Frau an der Kasse. "Aber online sind es mehr geworden."

Dieser Text ist am 1. Februar 2018 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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