Brauchtum:Hochzeit mit Rollentausch

Faschingshochzeit Tengling

Rollen getauscht: Zwei "Eheleute" bei einer Faschingshochzeit.

(Foto: Florian Peljak)
  • Bei den Faschingshochzeiten, mancherorts auf Bettelhochzeiten genannt, werden die Geschlechterrollen getauscht.
  • Als Faschingsbrauch heben sie sich ab von den zunehmend kommerzialisierten Umzügen und Bällen.
  • Details sowie der Brauch an sich sind wenig erforscht.

Von Johann Osel und Hans Kratzer

Der Bräutigam will nicht, wehrt sich mit Händen und Füßen, ein paar Burschen schleifen ihn zum Standesamt. Das ist nichts anderes als ein Strohhaufen auf dem Dorfplatz, eigentlich sollte es ein Misthaufen sein, das aber haben sie sich aus Geruchsgründen noch anders überlegt. Dort jedenfalls wartet die Braut, zwei Zentner wiegt sie wohl, auf das Männlein, das widerwillig ein Gatte werden soll.

"Bartl, die Uhr ist abgelaufen", ruft der Hochzeitslader, schwingt die Zeremonienklobürste. Der Bürgermeister bringt die Sache dann über die Bühne: Die Braut schwört, ihren Mann nie mehr ins Wirtshaus gehen zu lassen und ihn stets schlecht zu behandeln. Dann wird der Bartl gefragt: "Bist du bereit, zu essen, was sie kocht, egal, wie's schmeckt, und nicht zu widersprechen, auch wenn es draußen sauberer ist als drinnen." Der arme Tropf sagt gequält: "Joaaa." Ein Kuss, die Böllerschützen knallen los, in der Umarmung der frisch Angetrauten wird der Kerl verschluckt. Eine der Bierflaschen, die überall verfügbar sind, mag ihn trösten. Gemäß dem Motto des Tages, das ein Schild über dem Strohhaufen vorgibt: "Lieber voll als liebevoll".

Sie ist ja, Gott sei Dank, kein Ernst, diese Scheinvermählung, wie sie unlängst in der Gemeinde Taching im Kreis Traunstein stattfand. Geheiratet hat die Annamirl Ganzscheebroad (breit ist sie wahrlich) den Bartl Steggalzoaga, was im Hochdeutschen quasi exhibitionistische Umtriebe meint. Es ist nur ein Schauspiel, ein derbes Vergnügen: eine Faschingshochzeit. Die Braut im weißen Kleid heißt im echten Leben Stefan, das Männlein in Anzug mit Fliege Lisa.

Es ist ein "Ball verkehrt", Bürgermeister und Hochzeitslader sind Frauen, auch die meisten der gut 300 Gäste sind in die Rolle des anderen Geschlechts geschlüpft. Man sieht auf dem Dorfplatz in Tengling, Ortsteil von Taching: Frauen mit aufgemalten Bärten und knolligen Aufstecknasen, in weiten Lederhosen schwimmend; Männer mit rosa Fellstiefeln und Blümchenkleidern, haarige Haxen unter Kittelschürzen, es gibt Schickes und Lumpiges. Viel Rouge bei Männern, viel Bartstoppelschminke bei Frauen. Die Szenerie lässt sich optisch ansiedeln irgendwo zwischen Bordell, Heimatabend und Altkleidersammlung. Bei anderen Faschingshochzeiten in diesen Wochen - etwa in Übersee oder in Leobendorf im Berchtesgadener Land - dürfte der Eindruck kaum anders sein.

Die Tradition der Faschingshochzeiten, mancherorts Bettelhochzeit genannt, gibt es hauptsächlich in Altbayern. In der Nachkriegszeit waren sie nahezu ausgestorben, heute erfreuen sie sich wieder großer Beliebtheit. Als Faschingsbrauch heben sie sich ab von den zunehmend kommerzialisierten Umzügen und Bällen. Schon deshalb, weil sie in großen zeitlichen Abständen stattfinden; oft hört man, dass es in einem Ort nur alle sieben Jahre eine geben darf.

Details sowie der Brauch an sich sind wenig erforscht, historische Belege rar gesät. Wo er herkommt, sei schwer zu sagen, sagt der Brauchtumsexperte Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege. Es gebe einen Hinweis, wonach im 17. Jahrhundert in Mühldorf eine solche Hochzeit dokumentiert sein soll. Diesbezüglich müsste man aber die Originalquelle nochmals prüfen, ob es sich tatsächlich um eine Faschingshochzeit oder doch nur um ein normales Faschingstreiben gehandelt habe.

Faschingshochzeit Tengling

Die Trauungszeremonie wird immer wieder lautstark gestört von einer Mutter mit einem Kind vom Bräutigam.

(Foto: Florian Peljak)

Die Faschingshochzeit von Bergen im Chiemgau, an diesem Samstag, findet ohne Geschlechtertausch statt, in historischer Tracht. Sie existiert nachweislich seit 1886 und orientiert sich streng an den Bräuchen der damaligen Bauernhochzeiten. Die Rollen der Brautleute sind natürlich erdacht: Hieronymus und Scholastika sagen Ja, ein "lediger Bauernbursch" und eine "tugendbedürftige Jungfrau". Auf jeden Fall ist die Tradition ein Paradebeispiel für jene verkehrte Welt, wie sie im Fasching allgemein zelebriert wird. "Und sie lebt davon, dass sie aus der Mitte einer Dorfgemeinschaft kommt", sagt Ritter.

So auch in Taching-Tengling. 1998 fand letztmals eine Faschingshochzeit statt, "es sind halt jetzt drei mal sieben Jahre Abstand", sagt Renate Frisch. Sie spielt den Bürgermeister, "kraft des mir erschlichenen Amtes"; und sie leitet die Theatergruppe, die mit dem Verein für Heimatpflege und der Burschen- und Dirndlschaft Veranstalter ist, beteiligt sind weitere Vereine. Als die Idee aufkam, schnappte sich Braut Stefan die Rolle. "Es muss sich einer finden, der den Schmarrn mitmacht", meint Frisch. Als Gatten hatten sie Lisa im Auge, "zu der sind wir mit Schnaps als Verstärkung gefahren". War aber nicht nötig, die junge Frau wollte gleich - wusste sie ja von den Eltern, dass das 1998 eine Gaudi war.

Der alte Ablaufplan lag noch vor: unter anderem zum Hochzeitszug mit Aussteuerwagen, an dem Schlüpfer und Tand hängen, oder zum Abend im Gasthaus. Nach der Trauung in Tengling geht es rüber nach Taching. Der Bergwirt dort, einst bekannt für üppige Schnitzel, hat keinen Pächter mehr, wird aber von Vereinen genutzt. Die Fantasienamen haben sie sich bei einer Weinprobe ausgedacht. Bürgermeister Frisch heißt Ursus Dipfelscheißer, was für einen Pedanten steht. Eine Anspielung auf die echte Bürgermeisterin, mit Vornamen Ursula? Nein, beteuert die Bühnenchefin, es sei eine Selbstkritik, weil sie im Theater als Perfektionistin gelte.

Perfekt läuft die Trauung auch, "Kikiriki" singt ein Chor, der Traktor für den Zug rattert, die Blaskapelle spielt lauter. Die Gäste lachen viel, ein Tourist aus Australien staunt. Er versteht kein Wort, schon bei der Begrüßung der "Freibierlätschn und Ratschweiber". Im Mittelpunkt steht klar: der Rollentausch. Vor allem Männer foppen sich, wie "fesch" sie als Frau aussehen, Renate Frisch sieht "einige heiße Feger".

Und wo liegt nun der Ursprung des Treibens? Schon die Römer kannten den Reiz des Rollentauschs, so nahmen bei den Saturnalien die Sklaven die Rolle der Herren ein und umgekehrt. Mindestens seit dem Jahr 1536 fand in der Münchner Residenz regelmäßig "ain fasnachtspil ainer baurenhochzeit" statt. Dass die Tradition auf den bayerischen Hof zurückgehen könnte, legt das Geschehen im Januar 1718 nahe. Laut Überlieferung hatte Kurfürst Max Emanuel, verkleidet als Wirt, zu einer fingierten Vermählung geladen: Der Adel schlüpfte in die Rolle der Landbevölkerung, um deren Leben zu imitieren. Natürlich wollte das einfache Volk nicht zurückstehen. "Allein es fehlten ihnen Mittel und Möglichkeiten, um etwa in die Rolle eines Adligen zu schlüpfen", sagt Experte Ritter. So wählten die Leute mit der Zeit andere Formen der verkehrten Welt: wie den Geschlechtertausch. Im Fasching - es gibt aktuell Debatten - wittern Dipfelscheißer schnell politische Unkorrektheit, oft eine vermeintliche Frauenfeindlichkeit. Bei den gespielten Hochzeiten, so grob es zugehen mag, lässt sich das nicht erkennen; die Lust an der Maskerade genießen alle. Und tendenziell ist es das männliche Geschlecht, das Spott erfährt. Wie bei Bartl. Der war, so die Erzählung auf der Bühne, als "ostandiger Weiberer" verschrien, als triebgesteuerter Frauenheld. Die Umarmung der Annamirl Ganzscheebroad treibt ihm das aus.

Dieser Text ist am 2. März 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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