Brand in Lebensmittelladen:Anschlag auf einen Lebensplan

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Rida Al Abed vor seinem ausgebrannten Lebensmittelladen in Marktredwitz. (Foto: Olaf Przybilla)

Rida Al Abed kommt aus Syrien ins bayerische Marktredwitz, er eröffnet einen Laden mitten in der Stadt. Kurz danach brennt das Geschäft.

Von Olaf Przybilla, Marktredwitz

Günter Weidner hat in der Nacht auf den 15. Januar einen lauten Schlag gehört. Etwa um drei Uhr in der Früh war das, und ein paar Monate zuvor hätte ihn so ein Krach auf der Straße nicht groß in Erstaunen versetzt. Weidner, 72, wohnt im zweiten Stock eines Hauses in der zentralen Einkaufsstraße im oberfränkischen Marktredwitz, gleich gegenüber ist ein Reformhaus. Früher wurden da drei Stunden nach Mitternacht immer Waren angeliefert. Inzwischen aber kommen die früher, um drei Uhr ist alles ruhig. Also ist Weidner unruhig geworden. Er bittet seinen Gast ins Schlafzimmer und öffnet das Fenster. Schräg gegenüber blickt man auf das ausgebrannte Geschäft von Rida Al Abed. Der 43 Jahre alte Syrer, Vater von sieben Kindern, hatte seinen Lebensmittelladen keine vier Wochen lang. Dann hat jemand die Scheiben eingeschlagen. Und ein Feuer im Laden gelegt.

Auf der Straße hat Weidner zunächst nur einen Mann gesehen, der hastete stadtauswärts. Kurz darauf einen zweiten, auch der war sehr rasch unterwegs. Beide trugen Kapuzenpullis, Weidner versuchte mehr zu erkennen, aber auf der Höhe seines Fensters blenden die Straßenlaternen, "da erkennen Sie wenig", sagt er. Dass beim Lebensmittelladen schräg gegenüber ein merkwürdiges Schimmern hinter den großen Scheiben zu sehen war, das aber erkannte Weidner deutlich. Und Rauch sah er aufsteigen, weißen Rauch.

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Er hat dann die Feuerwehr alarmiert, die drangen mit Atemschutzmasken in den brennenden Laden ein und holten gleichzeitig die Menschen aus dem Wohnhaus darüber. Über dem Ladengeschäft liegen fünf Wohnungen, um die Zeit schlafen natürlich alle. Einen der Bewohner kennt Weidner gut. In jener Nacht, als alle gemeinsam auf der Straße standen, hat man sich noch ausgetauscht. Spätestens da wurde Weidner klar, was hätte passieren können, wenn er in dem Moment gedacht hätte: Ist nur der Laster vor dem Reformhaus, die liefern heute mal wieder später. "Ein Wahnsinn", sagt Weidner.

Rida Al Abed stammt aus Homs, aus jenem Ort, den man sich scheut, eine Stadt zu nennen. Weil Homs das kaum noch ist, eine Stadt. Al Abed hatte dort ein kleines Geschäft, er ist Tischler und hatte sich selbständig gemacht. Dieses Geschäft, erzählt er, wurde von einer Bombe getroffen. Es ist völlig ausgebrannt. Danach entschloss sich Al Abed mit seiner Familie zu fliehen, zunächst in den Libanon. Vor vier Jahren kam er nach Deutschland. Marktredwitz im Fichtelgebirge ist mit seinen 17 000 Einwohnern so ganz anders als die Metropole Homs, Al Abed fühlt sich mit seiner Familie trotzdem "sehr, sehr wohl hier", sagt er und wiederholt es immer wieder. Der Morgen aber, als er vor seinem Laden stand und ins Innere blickte, "der war nicht schön", das müsse er zugeben.

"Verstehen Sie: Erst unser zerstörtes Geschäft in Homs"

Al Abed hat noch Verwandte in Syrien, er steht ständig im Kontakt mit ihnen. Er hat es noch nicht übers Herz gebracht, ihnen von dem brennenden Lebensmittelgeschäft zu berichten. Sie denken so gut über seine neue Heimat, er hat ihnen so viel Gutes darüber erzählt, was soll er ihnen da jetzt sagen? Jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem man noch überhaupt nichts weiß. Am Schlimmsten aber, sagt Al Abed, sei das alles für seine Frau. Die Familie wohnt in einem Dorf, drei Kilometer entfernt von Marktredwitz. Seit in dem Laden ein Feuer gelegt wurde, hat sie mal kurz von außen einen Blick auf das Geschäft geworfen. Betreten aber hat sie es nicht. "Sie schafft das nicht", sagt Al Abed und schaut einen mit traurigen Augen an. "Verstehen Sie: Erst unser zerstörtes Geschäft in Homs." Er redet nicht weiter.

Die Feuerwehr drang mit Atmenschutzmasken in den brennenden Laden ein und löschte das Feuer - die Schadenshöhe wird auf 3000 Euro geschätzt. (Foto: Privat)

Die Kinder? Al Abed hebt die Arme, er möchte nicht zu viel darüber sprechen. Aber doch, das könne er erzählen: Die Älteste geht in die neunte Klasse, sie ist so gut in Deutsch inzwischen, die Eltern können so viel lernen von ihr. Und die Kleinste, als einzige in Deutschland geboren, hat neuerdings einen Platz im Kindergarten. "Deutschland, das ist ihr Land", sagt Al Abed. Das mache ihn glücklich.

Überhaupt die Deutschen. Man kann sich lange mit Al Abed unterhalten und wird am Ende keine Einschränkung im Block stehen haben. Alle so hilfsbereit, freundlich und bemüht. Die Nachbarn, die Geschäftsinhaber in der Straße, hätten ihm so viel Hilfe angeboten, erzählt Al Abed. Viele sogar Geld. Einfach so, weil alle so verzweifelt sind, wenn sie in das verrauchte Objekt schauen, das ein Lebensmittelladen war für ein paar Tage. Al Abed aber hat das abgelehnt. "Ich will Geld verdienen", sagt er, "nicht geschenkt haben."

Wer macht so etwas? Die Polizei hat eine Ermittlungskommission eingerichtet, eine zweistellige Anzahl von Beamten. Zwölf Tage nach der Tat aber muss Jürgen Stadter, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken, noch immer das sagen, was Ermittler immer sagen, wenn es wenig mitzuteilen gibt: "Wir ermitteln mit Hochdruck und in alle Richtungen." Es gebe ebenso wenig einen "konkreten Hinweis auf eine fremdenfeindliche Tat" wie einen Hinweis auf irgendein anderes denkbares Motiv. Konkurrenz unter Geschäftsleuten, Streitigkeiten in der Community, lebensgefährlicher Vandalismus? "Keine konkreten Hinweise", wiederholt Stadter.

Klar ist nur, dass die Scheiben von außen eingeschlagen wurden; dass das Feuer im Laden gelegt wurde und die Flüchtenden vermummt waren. Beide etwa 1,70 Meter groß, schlank, athletisch, mit dunklen Klamotten bekleidet. "Für mich war das ein Mordanschlag", sagt die Geschäftsführerin eines Ladens in der Nähe. Es lebten da ja auch Menschen in dem Haus.

Am Morgen danach haben Hunde versucht, die Spur der Männer aufzunehmen, aus seinem Fenster hat Günter Weidner das beobachtet. Wer den Polizeibericht liest, der ahnt, dass der Erfolg übersichtlich war: In Richtung Egerstraße sind sie geflüchtet, steht da. Stadtauswärts also. Das hatte Weidner so beobachtet. Das alles gehe ihm gar nicht mehr aus dem Kopf, sagt er. Im Laden war er selbst nie, der war ja auch erst ein paar Tage offen.

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Zwei Stunden später steht Weidner vor dem großen Fenster des Ladens ohne Ware, er winkt Al Abed vorsichtig zu. Der winkt zurück. Nein, diesen Mann kenne er nicht, sagt er. Aber dass ihm da einfach einer zuwinke, das wundere ihn auch nicht. "Alle sind freundlich hier", sagt Al Abed. Seinen Laden will er so früh wie möglich wieder aufmachen: "Ein Geschäft für Araber, Russen, Deutsche und alle, die hier wohnen. Das war immer mein Ziel."

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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