Das Telefon von Peter Hubert gibt keine Ruhe am Mittwochvormittag, reihenweise flattern E-Mails in sein Postfach, erzählt er. Es sind allesamt Gratulanten. Peter Hubert, der Wirt vom Herzoglichen Bräustüberl Tegernsee, wird nämlich im ganzen Land gefeiert. Als vermeintlich kleiner Unternehmer hat er sich mit dem übermächtigen Weltkonzern Google angelegt. Er warf ihm vor, im Internet falsche Informationen über Wartezeiten in seinem Lokal anzugeben. Und er klagte. Am Vorabend der Verhandlung am Landgericht München I knickte der Internetriese ein und gab dem Unterlassungsanspruch des Wirts statt. Die Verhandlung fiel aus. "Das Bräustüberl hat gewonnen", frohlockte Hubert in einer öffentlichen Stellungnahme.
Am Tag nach dem Triumph klingt der Gastronom am Telefon zwar erleichtert, aber keineswegs euphorisch. Er sei froh, dass der eineinhalbjährige Streit nun vorbei sei, erzählt er, die Auseinandersetzung habe ihn täglich Nerven und insgesamt einen fünfstelligen Betrag gekostet. Doch seine Skepsis ist nicht ganz gewichen: "Google könnte das jederzeit wieder anschalten", befürchtet er. Eine Entscheidung hätte Hubert lieber vor Gericht herbeigeführt. Denn mit der vorzeitigen Beilegung des Streits habe sich das Unternehmen weiteren Ärger vermutlich erspart.
Mitten in Bayern:Das Bräustüberl Tegernsee will Google bezwingen - und wird zum Suchtrend
Von Minuten oder gar Stunden Wartezeit ist in der Suchmaschine die Rede. Das will sich Wirt Peter Huber nicht gefallen lassen. Er klagt und muss plötzlich selbst sehr lange warten.
Huberts Geschichte zeigt exemplarisch, wie schwer es ist, dem US-amerikanischen Unternehmen beizukommen. Als ihn Gäste vor zwei Jahren erstmals auf die fragwürdigen Informationen von Google aufmerksam gemacht hatten, war der Wirt wenig amüsiert. Obwohl Tische bei ihm in Bräustüberl frei waren, meldete Google teils Wartezeiten von bis zu 90 Minuten. Hubert fürchtete, dass die falschen Angaben potenzielle Kunden abschrecken könnten. "Wir können uns das nicht leisten, so falsch in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden", sagt der Wirt. Nun darf Google nicht mehr behaupten, dass man im Bräustüberl länger als 15 Minuten auf einen Tisch warten müsse.
Wer bei Google nach Gaststätten und Restaurants sucht, der bekommt neben Bildern, Anschrift, Telefonnummer und Öffnungszeiten häufig noch Zusatzinformationen serviert. Unter der Überschrift "Stoßzeiten" etwa wird eine Aussage gemacht, wie viel in dem Lokal aktuell los sei. Oder unter der Rubrik "Besuch planen" steht, mit welchen Wartezeiten zu rechnen sei. Google berechnet die Zahlen nach eigenen Angaben so: "Die geschätzten Wartezeiten basieren auf anonymen Daten von Personen, die in der Vergangenheit das betreffende Restaurant besucht haben." Doch offensichtlich entsprechen die Angaben oftmals nicht der Realität - und sie stehen im krassen Widerspruch zu den Bewertungen, die User bei Google abgeben.
Im Fall des Bräustüberls ist in etlichen Kommentaren von einem "schnellen und freundlichen" Service in dem Lokal zu lesen. Gastronom Hubert sagt, dass sein Lokal mit fast 1600 Sitzplätzen an nur wenigen Tagen voll besetzt sei. Und selbst dann warte man höchstens zehn Minuten auf einen Platz. Erst im Juli, als die Geschichte groß in den Medien gespielt wurde, nahm Google die Funktion "Wartezeiten" für Huberts Gaststätte "wunschgemäß" aus dem Netz, wie ein Sprecher des Unternehmens sagt. "Ebenso haben wir die Forderung anerkannt, die Funktion gesperrt zu lassen." Dem Wirt stehe es aber frei, die Wartezeitenangaben wieder freischalten zu lassen.
"Die wollten einer Verhandlung unbedingt aus dem Weg gehen", sagt Hubert
Beim Bayerischen Hotel- und Gaststätten kennt man das Problem mit den Falschangaben. "Es sind ganz viele Themen, die mit der Digitalisierung auftreten, die man in den Griff kriegen muss", sagt Landesgeschäftsführer Thomas Geppert. Die Verbraucher fordert er auf, nicht alles zu glauben, was im Internet steht und sich eine eigene Meinung zu bilden. "Google muss qualitative Informationen garantieren. Sie müssen sicherstellen, dass die Informationen, die ihre Algorithmen erzeugen, auch korrekt sind." Diesen Anspruch hätten die Verbraucher und die Unternehmer sowieso. "Denn alles andere kann betriebsschädigend sein." Der Hotel- und Gaststättenverband Bayern will nun prüfen, ob er gegen den Internetkonzern vorgehen wird.
Doch das ist gar nicht so einfach, wie Bräustüberl-Wirt Hubert feststellen musste. Er suchte bereits im März 2018 erstmals Kontakt zu dem Unternehmen, um sich über die Fehlinformationen zu beschweren. Als Antwort habe er aber jedes Mal nur vorgefertigte Sätze erhalten. Im Oktober 2018 ging er dann einen Schritt weiter. Mit seinem Anwalt Thomas Glückstein verfasste er eine Klageschrift, im Anhang sammelten sie zahlreiche Fotografien und Zeugenaussagen, die den Angaben von Google widersprachen. Sie schickten die Klageschrift an die Google Germany GmbH in Hamburg, doch von dort kam sie postwendend zurück. Die richtigen Ansprechpartner, so hieß es, befänden sich in Mountain View, Kalifornien, dem Sitz der US-amerikanischen Mutterfirma Google LLC.
Der Vorgang ließ Hubert nicht los, er wollte nicht zulassen, dass das Unternehmen sich so aus der Affäre zieht. Eine Zustellung der Klageschrift in die USA und die erforderliche Übersetzung des Schreibens mit allen Anhängen hätte den Gastronomen nach Schätzung seines Anwalts mehrere Tausend Euro gekostet. Das Landgericht München I sollte am Mittwoch nun eigentlich darüber entscheiden, ob der Weg rechtens ist, die Anklageschrift über die Zweigstelle in Hamburg zuzustellen. Eine Entscheidung wäre wohl richtungsweisend gewesen. "Sie hätte jeglichen Fall betroffen, in dem jemand in Deutschland einen Konflikt mit Google hat und eine Klage erwägt", sagt Anwalt Glückstein. "Ich bin überzeugt, dass viele, die eigentlich klagen würden, sich von den Kosten einer Auslandszustellung abschrecken lassen. Damit hat Google einen Vorteil."
Mit der Unterlassungserklärung noch vor der Verhandlung aber konnte Google eine Entscheidung vermeiden. "Die wollten einer Verhandlung unbedingt aus dem Weg gehen", sagt Hubert. Seine Freude halte sich deshalb in Grenzen. "Google hat sich schön aus der Sache rausgemogelt."