Boom:Angst ist selten rational

Nicht nur die Ausgabe von Waffenscheinen, auch der Absatz von Sprays und Pistolen geht in die Höhe - in ganz Deutschland. Der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) stellt eine steigende Nachfrage fest. "Die Verkäufe gehen in diesem Jahr deutlich nach oben", sagt VDB-Geschäftsführer Ingo Meinhard.

Die Zahl der großen Waffenscheine (Erlaubnis für Schusswaffen) steigt in Bayern dagegen nicht an. Ende Oktober besaßen nach Angaben des Innenministeriums etwa 220 000 Menschen die Erlaubnis für insgesamt knapp 1,14 Millionen Schusswaffen. Nach dem Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009 und der folgenden Verschärfung der Gesetze waren beide Zahlen nach Ministeriumsangaben stark zurückgegangen. Inzwischen sinken sie in Bayern im zweiten Jahr in Folge nur noch leicht.

Keine Erklärung notwendig

Wer nach den Gründen für die Aufrüstung fragt, trifft auf Schweigen. Offiziell antworten die Ordnungsämter, dass man einen Antrag auf einen kleinen Waffenschein nicht begründen muss und die Ämter darum keine Erklärung haben. "Es ist aber so, dass wir von manchen ganz klar die Aussage bekommen, dass sie wegen der Flüchtlinge Angst haben", sagt einer unter der Bedingung, dass Name und Amt nicht in der Zeitung stehen werden. "Bei mir standen schon Leute, die sagten: 'Ich will meine Familie schützen'. Wir haben das auch so dem Ministerium gemeldet."

Auch die Händler schweigen offiziell zu den Gründen. Anruf in einem kleinen Waffenladen. Viele Flüchtlinge kamen von Ende August an, seit September gehen die Zahlen nach oben, ob es da nicht doch einen Zusammenhang gibt? "Wenn Sie meinen Namen raushalten: Klar, was denn sonst?", sagt der Mann am Telefon. Die Leute, die in den Laden kämen, hätten Angst. Sie glaubten, unter den Flüchtlingen seien "schwarze Schafe". Einige Kunden gäben das offen zu. "Ich kann das nicht so ganz verstehen", sagt der Mann, "in Deutschland gibt's ja auch die ganze Zeit schon schwarze Schafe."

Polizeigewerkschaft sorgt sich

Rechtsradikale Gruppen verbreiten im Internet gerne Meldungen über Straftaten von Flüchtlingen. Demgegenüber stellte das Bundeskriminalamt kürzlich klar, dass Flüchtlinge genauso häufig straffällig werden wie Deutsche. Was in den letzten Monaten rapide anstieg, ist aber die Zahl der Delikte gegen Flüchtlingsheime. Angst ist selten rational.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft beobachtet die steigende Nachfrage "mit großer Sorge", wie ihr Vorsitzender Rainer Wendt sagt. Dass der private Waffenbesitz die Sicherheit erhöhe, sei "ein Trugschluss", betont er. Denn oft verhielten sich Menschen unvorsichtiger, wenn sie Waffen mitführten.

Zudem könne der Besitz von "Anscheinswaffen", die wie echte Pistolen aussehen, zu "schrecklichen Verwechslungen" führen - etwa wenn die Polizei einen Geschädigten für den Täter halte. Als einen möglichen Grund für den Waffenkauf nennt Wendt die allgemeine Angst, "in diesen unsicheren Zeiten nicht genug geschützt zu sein".

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