Boom der Piratenpartei:Freibeuterstaat Bayern

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Für die einen ist sie die Rettung, für die anderen eine politische Gefahr: Nirgendwo ist die Piratenpartei so stark wie im Freistaat. Sie könnte sogar die Landtagswahl 2013 entscheiden - und ausgerechnet der CSU die absolute Mehrheit sichern.

Frank Müller

Für die einen ist er die Rettung, für die anderen eine politische Gefahr, doch an diesem Freitagmittag sitzt Stefan Körner einfach nur entspannt in einem Café am Münchner Stachus. Der Chef der bayerischen Piraten trägt ein grünes Shirt, die schon angegrauten Haare sind kurz geschnitten. Körner hat ein Lächeln auf den Lippen, sein Smartphone liegt vor ihm auf dem Tisch: Bürgerschrecks und Revolutionäre sehen anders aus.

"Wir sind politische Amateure": Sefan Körner, Chef der bayerischen Piraten, bei einer Podiumsdiskussion mit Althippie Rainer Langhans (rechts). (Foto: Robert Haas)

Und doch gibt es in Bayern derzeit wohl keinen Politiker, auf den so viele in der Konkurrenz vergleichbar gespannt blicken. Sofern das Wort "Politiker" überhaupt passt. "Wir sind politische Amateure", sagt Körner. Dabei schwingt Koketterie mit, doch im Grundsatz meint es Körner ernst.

Der Aufbau eines Landesverbandes aus dem Nichts, Parteimanagement, Presse, Veranstaltungen aller Art, und das unter größtmöglicher öffentlicher Beobachtung - für den 43-Jährigen aus Amberg kommt es gerade dick. In den kommenden eineinhalb Jahren könnte aus dem Stress noch echter Kampf werden. Wenn die Kräfteverhältnisse in Bayern annähernd so bleiben, wie sie jetzt sind, dann werden Körner und seine Piraten die Landtagswahl entscheiden.

Laut Umfragen sind sie so stark, dass sie die drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Freie Wähler zusammen weit unter das Niveau der CSU drücken. Am Ende könnte der politische Witz herauskommen, dass ausgerechnet die Piraten Horst Seehofers CSU die absolute Mehrheit der Mandate sichern. Und dass SPD-Spitzenkandidat Christian Ude wegen ihnen seine Regierungsträume begraben muss.

"Ich kann dafür nichts"

Stefan Körner ist die Ironie dieses Szenarios bewusst. "Ich kann dafür nichts", sagt er unschuldig. Denn die Stärke der Piraten zeige ja nur die Schwäche der jeweils anderen Parteien. Dabei stehen die Piraten in vielen Punkten der SPD und den Grünen nahe. Eine Zusammenarbeit mit der CSU sei undenkbar, sagt er. Mit der Opposition dagegen gebe es viel Gemeinsames. Daraus entstand jüngst die Idee, die Piraten könnten eine Ude-Regierung tolerieren.

Für die Freien Wähler von Hubert Aiwanger ist das undenkbar, und die Grünen reizt eine solche Perspektive bis zur Weißglut. Abhängig sein von dem, der einen gerade in der Rolle der unangepassten Nachwuchsalternative ablöst? Nein, danke, denken viele Grüne. Schon seit Wochen liefert sich Bayerns Grünen-Chef Dieter Janecek mit Stefan Körner einen fast zickenhaften Streit im Lieblingsmedium von beiden, dem Internet-Service Twitter.

Kaum hatte Körner dort verkündet, dass er am Dienstag zu Seehofers "Facebook-Party" ins Münchner P1 gehen will, wurde Janecek via Twitter patzig: "Wenn #Piraten mit der #CSU im Schickimicki-Palast P1 das Tanzbein schwingen, zeigt das doch nur, wie sehr sie schon Establishment sind", postete Janecek. Körner stöhnte auf: "Ach @DJanecek, verzweifelt aus jedem Thema einen Angriff gegen die #Piraten zu machen, ist nicht unter Deiner Würde?"

In Wahrheit dagegen kann sich Körner für jeden Angriff auf die Piraten nur bedanken. "Welpenschutz" genieße man eigentlich wegen der politischen Unerfahrenheit, sagt er. Das soll heißen: Wer einem Welpen auf die Pfoten tritt, der macht sich angreifbar und bringt dem Attackierten Sympathiepunkte. Janecek dagegen hat die Piraten jetzt schon satt: "Ihre Meinungslosigkeit und Beliebigkeit bei politischen Inhalten wird mittlerweile leider erkennbar zur Masche. Zu viel Inszenierung, zu wenig Greifbares."

So oder ähnlich sehen das viele Etablierte. Noch gibt es keinen einzigen landespolitischen Vorschlag, mit dem die Piraten für Aufsehen gesorgt hätten. Die Arbeit am Wahlprogramm für 2013 läuft, auf Piratenweise. Über Internetkanäle wird ausgetauscht, diskutiert, am Ende in Form gebracht und im Herbst auf einem Parteitag beschlossen.

Große Offenbarungen wird das finale Programm wohl nicht enthalten, darauf komme es auch nicht an, meint Körner. Vor allem gehe es um den veränderten Politikstil, um Mitmachen und Transparenz. Außerdem solle man sich nicht täuschen lassen: Bei der künftigen Arbeit würden sich die Piraten im Maximilianeum ein Beispiel an den schon im Landesparlament sitzenden Berliner Kollegen nehmen. "Die arbeiten wirklich hart und sind in den Ausschüssen voll präsent", sagt Körner.

Der Zustrom zu den Piraten ist auch oder gerade deswegen ungebrochen. 6400 Mitglieder haben sie schon bayernweit, man sitzt bereits am Entwurf der Pressemitteilung für das Überschreiten der Marke von 7000. Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werde es soweit sein, sagt Körner nüchtern. Noch liegen die Grünen mit knapp über 8000 vorne. Doch der Aufstieg ging so schnell, dass sogar die Verwaltungssoftware streikte - ausgerechnet bei den Piraten. Seitdem haben sie Mühe, Mitgliedsbeiträge zu verbuchen, weswegen derzeit nur knapp 40 Prozent der eingeschriebenen Piraten überhaupt bezahlen. Bei Bezirksparteitagen wurde schon in bar abkassiert.

Überhaupt ist Bayern derzeit das Piratenland Nummer eins in Deutschland. In keinem anderen Flächenstaat ist der Anteil an der Bevölkerung höher. Körner führt das auch auf die CSU zurück und auf den alten Spruch von "Laptop und Lederhosen". In Bayern sei die Informationstechnologie stark entwickelt, das habe für viel Piratenpublikum gesorgt.

Vielleicht passt auch der schon berühmte ruppige Umgangston in der Partei ganz gut zum bayerischen Grant. Bei den ersten Tweets am Freitagmorgen musste sich Körner erst einmal mit Beschimpfungen eines Parteifreunds auseinandersetzen. Körner tat es mit Ironie: "Ist schon cool, wenn man morgens aufwacht und man als erstes in der TL (Timeline, Nachrichtenliste) als Vollidiot bezeichnet wird."

© SZ vom 05.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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