Subkultur:Keine Zukunft für das "Bogaloo"

Subkultur: "Das Bogaloo, das kann man nicht einfach so umziehen", sagt Reinhard Wimmer.

"Das Bogaloo, das kann man nicht einfach so umziehen", sagt Reinhard Wimmer.

(Foto: Tobias Köhler)

Dass man jungen Leuten auf dem Land etwas bieten soll, darüber sind sich alle einig. Dennoch muss der Musikclub "Bogaloo" in Pfarrkirchen weichen. Ein großer Verlust für die bayerische Popszene.

Von Christiane Lutz

Wer im Rottal Musik hören und tanzen gehen will, der hat folgende Möglichkeiten: Er geht auf die Achtzigerjahre-Party ins "Platinum" oder ins "Fun" nach Eggenfelden, eine Großraumdisko, in der in einem Raum Schlager laufen und man in einem anderen in Käfigen tanzen kann. Viele sind froh, dass es überhaupt was zum Weggehen gibt, zu kritisch darf man da nicht sein.

An einem Samstagabend im Dezember stehen etwa 450 Menschen im Nieselregen auf dem Marienplatz in Pfarrkirchen, denen das nicht reicht, die Großraumdiskos. Sie demonstrieren für das "Bogaloo", einen Club in Pfarrkirchen. Dort treten seit 20 Jahren Bands auf, für deren Konzerte sie normalerweise nach Regensburg fahren müssten, oder gleich nach München. Bands wie Wanda, Whiskey Foundation oder Schmieds Puls waren da, und Sänger wie Jesper Munk. Zum Ende des Jahres wird das "Bogaloo" schließen. Die Besitzer des Areals wollen die alten Gebäude abreißen und Wohnungen bauen. Dass das "Bogaloo" gerade mit dem Bayerischen Popkulturpreis als bester Club Bayerns ausgezeichnet wurde, das ändert daran wohl nichts mehr.

"Ich brauch mit 16 auch noch einen coolen Schuppen", hat eine Mutter ihrem schlafenden Säugling an die Mütze geheftet. "Kultur statt Kapitalismus" steht auf gemalten Plakaten, es ist lang her, dass in Pfarrkirchen gegen etwas anderes demonstriert wurde als die AfD. Ein junger Mann steht auf einem Podest und ruft ins Mikrofon: "Der Reini ist Spielball zwischen allen Fronten." Die Menge applaudiert.

"Der Reini", das ist Reinhard Wimmer oder auch "Wimmer Reini", der Betreiber des Clubs. Wimmer steht etwas am Rand und sagt: "Ich bin einfach sehr müde." Er wollte erst gar nicht zur Demo kommen, weil er es seltsam fand, für sich selbst zu demonstrieren. Aber als dann ein paar Tage zuvor der Brandschutz vor der Tür stand, hat er sich viel zu sehr darüber geärgert, um nicht hier zu sein. In den vergangenen Wochen ist Wimmer so etwas wie das unfreiwillige Symbol des kleinen Protests geworden, der durchs Rottal zieht.

Als Ende November bekannt wird, dass der Reini nicht weiter macht im neuen Jahr und dass der Club an seiner jetzigen Stelle schließen wird, gründen ein paar Pfarrkirchener den Verein "Bogaloo Action-Crew". Sie organisieren die Demo und starten eine Petition zum Erhalt des Clubs. Musiker wie die Band Jamaram, Dicht& Ergreifend und der Moderator Markus Kavka veröffentlichen Videos und klagen über den Verlust, den die Schließung des "Bogaloo" bedeuten würde, für Pfarrkirchen, aber auch für die Musikszene in Bayern.

Den Menschen auf der Demo geht es um mehr als den Fortbestand dieses einen Clubs. Es geht auch darum, wie sie leben wollen. Darum, dass Menschen wie Wimmer Unterstützung brauchen, weil sie etwas wagen, das genauso wichtig ist, wie die Pflege der Kastanienallee, auf die man in Pfarrkirchen so stolz ist. Oft herrscht bei diesen Menschen der Eindruck, dass ihr Wunsch nach alternativen Kulturangeboten zu kurz kommt, irgendwo hinter denen von jungen Familien, Kindern und Senioren.

Ein paar Tage vor der Demonstration sitzt Reinhard Wimmer im grauen Tweed-Mantel im schlecht geheizten Büro des Clubs zwischen leeren Getränkekisten und Bandplakaten, die schon eins mit der Wand geworden sind, an der sie hängen. Wimmer ist 46, raspelkurzes graues Haar, Vater von drei Kindern. Einer jener Niederbayern, die kein Wort zu viel verlieren. Sein Gesicht kennt vor allem zwei Ausdrücke: Skepsis und große Vergnügtheit. Die Ausbildung zum Industriemechaniker hat er damals eher pro forma gemacht, er wollte eigentlich immer nur Musik hören. Erst hatte er einen Plattenladen in Pfarrkirchen, dann, 1998, eröffnete er mit einem Freund das "Bogaloo".

Der Club ist in einem heruntergekommenen Gebäude, jeder, der in die Altstadt will, fährt daran vorbei. Draußen hängt ein Plakat "Pfarrkirchen gratuliert zum besten Club Bayerns", angebracht von der "Action-Crew". Das Gebäude war früher mal ein Schweinestall, in den Siebzigerjahren dann ein Kino, in dem nach 22 Uhr Erotikfilme gezeigt wurden. Diesem Kino verdankt der Club auch seinen ansteigenden Boden und seine recht gute Akustik. Wenn eine Band will, kann sie statt im Hotel in den Stockbetten übernachten, die direkt hinter der Bühne stehen. Wimmer kocht ihnen Spaghetti Bolognese, das ist Tradition.

"Hier ist lang nichts gemacht worden", sagt Wimmer entschuldigend. Müsste er gar nicht, man sieht das ohnehin. Seit sechs Jahren weiß er, dass die Eigentümer bauen wollen, lang ist aber nichts passiert. Umso erstaunter war er, als plötzlich der Brandschutz vor der Tür stand, zwei Tage vor der Demo. Der beanstandete zwei Türen und regulierte die Besucherzahl auf 150, Wimmer hatte auch mal 300 Leute reingelassen. Hat ja nie jemanden gekümmert. Vom Landratsamt heißt es, man habe sich in der Pflicht gesehen, aufgrund des großen Interesses an der Demonstration zu überprüfen, ob das "Bogaloo" überhaupt brandschutzsicher sei.

Wimmer weiß natürlich, dass das Landratsamt recht hat. Also lässt er für die letzten Tage des Clubs noch schnell die Türen umbauen und sucht für die bereits gut verkauften letzten Konzerte alternative Locations. All das macht ihn noch müder. So gesehen ist er auch erleichtert, dass jetzt klar ist, es gibt keine Zukunft für das "Bogaloo", zumindest nicht an dieser Stelle.

Auf dem Land braucht es viel Eigenwillen, um Kultur anzubieten

Nun ist Katharina Schiedermair-Bauer, die Eigentümerin des Areals, keine, die auf das "Bogaloo" eine gesichtslose Wohnanlage mit maximalem Profit hinstellen will. Sie war selbst oft dort, sie nennt Wimmer "den Reini", er sie "die Katha", ihr Verhältnis beschreiben beide als gut. Wann genau gebaut wird auf dem Gelände, zu dem außer dem "Bogaloo" ein leer stehender Gasthof, ein leer stehendes Brauereigebäude und ein Kiesparkplatz gehören, das verhandelt sie noch. Wohnungen werden es sein, das sieht der städtebauliche Vertrag vor, den sie vor sechs Jahren mit der Stadt geschlossen hat.

Auf dem Land braucht es viel Eigenwillen, um Kultur anzubieten. Kultur, die eine Ergänzung ist zu Trachtenvereinen und Mehrzweckhallen, die sich auch problemlos mit Monika Grubers und AC/DC-Coverbands ausverkaufen lassen. Es gibt kaum Fördermittel für Live-Clubs wie das "Bogaloo", nicht auf städtischer, nicht auf Landesebene. Wenn der Club leer ist, weil die Band nicht genug Leute anlockt oder ein Montag ist, dann sitzt Wimmer auf den Kosten für Band, Gema, Barpersonal. Die 2000 Euro für den "Besten Club Bayerns" sind ein hübsches Trinkgeld, mehr nicht.

Subkultur: Das Bogaloo wurde kürzlich mit dem Bayerischen Popkulturpreis ausgezeichnet.

Das Bogaloo wurde kürzlich mit dem Bayerischen Popkulturpreis ausgezeichnet.

(Foto: Tobias Köhler)

Etwa 100 Kilometer nördlich, im niederbayerischen Viechtach hat der Konzertveranstalter Olli Zilk etwas mehr Glück. Er hat gerade den mit 40 000 Euro dotierten "Applaus" gewonnen, einen vom Bund mitfinanzierten Preis. Seit eineinhalb Jahren holt er Bands in das Alte Spital, eine kleine ehemalige Kapelle, von der zypriotschen Coverband bis zum Hipster-Trio aus Brooklyn. Zilk hat den Vorteil, dass das Spital der Stadt gehört, er muss keine Miete zahlen. Die Bands übernachten meist bei ihm zuhause, die Bar im Spital schmeißt seine Mutter, das spart Personal. In Viechtach ist man stolz auf das Spital. Trotzdem lebt auch dieser Club vom Engagement Einzelner. Noch immer steht Zilk vor jedem Konzert vor der Tür und bibbert, wie viele Leute kommen. Ob überhaupt jemand kommt. All seine Konzerte laufen auf Spendenbasis; Zilk glaubt, so ist die Hürde niedriger, sich auch mal eine Band anzuhören, die man nicht kennt.

Wimmer und Zilk sind von den selben Dingen getrieben: der Liebe zu guter Musik und der Liebe zu ihrer Heimat. Klar könnten sie in die Großstadt gehen und dort ihre Konzerte veranstalten. Wollen sie nicht. Das Land braucht sie mehr. Die Politiker wollten doch immer, dass das Land attraktiver würde, auch für junge Leute, sagen sie, warum also sei es auf dem Land oft nahezu unmöglich, in einem leer stehenden Gebäude ein Konzert zu organisieren?

"Was sollen wir machen?", fragt Pfarrkirchens Bürgermeister Wolfgang Beißmann von der CSU, "die Stadt ist im Falle ,Bogaloo' nicht Grundstückseigentümer." Beißmann, 42, ist viel zu sehr Pfarrkirchner, als dass ihm die Bedeutung des Clubs nicht bewusst wäre. Er war selbst sehr oft dort, natürlich. "Das Bogaloo ist nicht nur ein Club", sagt er, "es ist ein Projekt". Er wirkt etwas zerrissen zwischen dem Wunsch, den Bürgern seiner florierenden Stadt Wohnraum zu geben und dem Wunsch, das Bogaloo zu retten. Mehrfach spricht er mit der Eigentümerin, um einen Weg zu finden, wie vielleicht beides gehen könnte, Club und Wohnungen. Geht natürlich kaum. Wer wohnt, will keinen Club-Lärm haben. Aber er arbeite daran, bald "einen Topf mit Mitteln" auf den Weg zu bringen, um Kulturveranstalter wie Reinhard Wimmer in Zukunft unkompliziert zu unterstützen, sagt Beißmann. Das "Projekt Bogaloo", das soll weitergehen.

Auf dem Marienplatz löst sich die Demo auf, es herrscht Einigkeit darüber, dass es weiterhin Konzerte und Subkultur geben muss im Rottal, auch, wenn das "Bogaloo" im alten Kino nicht mehr da sein wird.

Mit den 2000 Euro für den "Besten Club" chartert Reinhard Wimmer ein paar Tage später einen Bus und fährt mit der "Action-Crew" Ende Dezember zur Preisverleihung nach München. Ist jetzt ja eh schon egal. Wimmer wird als Veranstalter in der Region weiter arbeiten, das steht fest. Das "Projekt Bogaloo" aber muss künftig ohne ihn stattfinden. Sich jetzt auf neue Kompromisse einzulassen, dafür fehlen ihm die Energie und auch der Wille. Die Eigentümerin Schiedermair-Bauer hat ihm zwar angeboten, mit dem "Bogaloo" in das Brauereigebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite umzuziehen, es sich wenigstens einmal anzuschauen, aber Wimmer lehnt ab. Auch, weil er sagt: "Das Bogaloo, das kann man nicht einfach so umziehen."

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