Brauchtum in Bayern:Viel Lärm ums Böllern

Böllerschützen in Bayern feuern eine Salve ab.

Auch wenn der Ursprung des Böllerschießens nicht exakt verortet werden kann, belegt ist es seit Jahrhunderten.

(Foto: Johannes Simon)

Was für die einen Tradition ist, ist für andere Lärmbelästigung. Im Salzburger Land landen solche Kontroversen auch mal vor Gericht. Wie sieht es in Bayern aus?

Von Johann Osel, München/Salzburg

Der Mann, der in Panik auf die Straße rannte um 6 Uhr morgens, sagte der Lokalzeitung: "Ich dachte, da ist ein Haus explodiert." Diese Sorge war unbegründet, den Knall aber bildete er sich keineswegs ein. Es waren Böllerschützen, die nebenan einem Hochzeitspaar mit Pulverdampf und Radau gratulierten, das traditionelle "Aufwecken" am schönsten Tag des Lebens. Unschön fand das freilich mancher Nachbar, am Montag, als das Rathaus wieder besetzt war, trudelten da die Beschwerden ein.

Kritikpunkt vor allem: Man habe von dem Spektakel nichts gewusst. Der Fall, vor einigen Jahren in einer niederbayerischen Kleinstadt passiert, steht mustergültig für den Ärger, der zuweilen rund um den Brauch des Böllerschießens aufkeimt. Nicht allgegenwärtig, doch immer wieder mal finden sich quer durch Bayern Zeitungsnotizen, Leserbriefe oder Facebook-Posts.

Horcht man sich unter Böllerschützen um, sind sich viele bewusst, dass andere in ihrem Tun unsinnige Ballerei oder sogar Lärmbelästigung sehen. Auf der anderen Seite steht da eben die Tradition: Salut aus Hand- sowie Standböllern oder Kanonen zu Hochzeiten, Festen, Feiertagen, Jubiläen und Priesterweihen.

Der Blick von Böllerfreunden im Grenzgebiet zu Österreich hat sich jüngst ins Salzburger Land gerichtet, eine juristische Causa dort widmete sich dem Brauchtumsschießen. Berichte von Salzburger Nachrichten und Kronen Zeitung wurden auch diesseits der Grenze verfolgt. "Ein Urteil hätte à la longue ein Ende des Brauchtums bedeutet", zitierte das Boulevardblatt den Anwalt der Prangerstutzenschützen. Der Ursprung des Böllerns ist übrigens nicht exakt zu verorten, belegt ist es seit Jahrhunderten. Die Abwehr von bösen Geistern dürfte ebenso zu den Wurzeln gehören wie schlichtweg die Freude. Im Alpenraum galt das Böllern auch als Warnsystem für Bauern auf abgelegenen Höfen.

Im Land Salzburg fand die Tradition zum Leid einer Nachbarin statt. Sie verklagte die Schützen, fürchtete um ihre Gesundheit und die ihres herzkranken Gatten. Die Schützen führten "kulturelle Ortsüblichkeit" auf. Vor Gericht kam es zum Vergleich: Der Verein kündigt nun jedes Schießen an. Die Kronen Zeitung sieht einen "Präzedenzfall" abgewehrt, der Folgen für alle Schützen gehabt hätte. Wie sieht es in Bayern aus? Das war im grenznahen Raum prompt Gesprächsthema.

Entwarnung gibt es beim Landesportschützenbund (BSSB). Dieser zählt in der Sparte gut 700 Vereine mit knapp 10 000 böllerberechtigten Personen, die meisten in Oberbayern mit mehr als 4000. Doch auch Trachtler und andere Vereine sind aktiv, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen - unter anderem einen Lehrgang und die sprengstoffrechtliche Erlaubnis. Das Schießen muss nicht genehmigt, sondern nur der Gemeinde gemeldet werden.

BSSB-Geschäftsführer Alexander Heidel sind keine Böllerfälle vor Gericht bekannt, zumindest nicht im vergangenen Jahrzehnt; im Archiv findet sich für 2003 ein Tinnitus-Streit in Oberbayern. Auch Beschwerden schlagen laut Heidel kaum in der Geschäftsstelle auf, zuletzt nur ein Versicherungsfall bei einem angeblichen landwirtschaftlichen Schaden. Heidel verweist auf das sensible Vorgehen seiner Leute und eine eigene Böllerschützenordnung. Sie gibt Regeln zur Sicherheit, zum Auftritt (traditionell, keine Aldi-Tüten oder Tupperschüsseln) und zu den Anlässen. "Wir wollen nicht, dass zu jedem 37. Geburtstag oder zu Möbelhauseröffnungen geböllert wird", sagt Heidel. Wichtig sei außerdem der Dialog, die "Sensibilisierung von Nicht-Schützen-Publikum".

Bestes Beispiel: Eine Frau im Landkreis München startete 2019 recht martialisch eine Online-Petition gegen örtliche Böllerschützen. Dafür erntete sie durchaus Kritik: Leider gebe es Leute, "die zuziehen und meinen, das gemeindliche Leben müsse sich nach ihren Wünschen richten". Frieden brachte ein Gespräch mit den Schützen - und auf deren Seite "die uralte Tradition des Bescheidsagens", mit Zetteln im Briefkasten.

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