Süddeutsche Zeitung

Blutspendeanbieter in Bayern:Bis aufs Blut

Auf dem Blutmarkt ist alltäglich, was bei Organspenden eine Straftat wäre: Aus Angebot und Nachfrage bestimmen sich Preis und Verfügbarkeit. In Bayern wird es dabei künftig turbulenter zugehen.

Von Theo Müller

Für Blutspendezentren gibt es keine schwierigere Jahreszeit als den Sommer. Allzu häufig liegen Freiwillige, die sonst regelmäßig zur Blutspende kommen, lieber im Liegestuhl als im Spendestuhl. Doch an diesem Juli-Nachmittag ist das Wartezimmer des Münchner Synlab-Instituts trotzdem gut gefüllt.

Sechs Männer und Frauen bearbeiten ihre Smartphones. Neben ihnen surren ein Kühlschrank voller Softdrinks und ein Kaffeeautomat. Die meisten hier sind längst Profis, einer von ihnen tritt heute zu seiner 96. Plasmaspende an. "Ich will anderen Menschen etwas Gutes tun", sagt der Mann. In wenigen Minuten nimmt er auf einer Liege Platz. Eine Dreiviertelstunde lang wird er dann an einem Plüschherz herumkneten, während eine Apparatur ein Fläschchen gelbbraunes Plasma aus seinem Blutkreislauf befördert.

Auf dem Blutmarkt Alltag, bei Organspenden Straftat

Fast alle Spender eint das philanthropische Motiv, doch was genau mit ihrem Blut passiert, wollen nur die wenigsten wissen. Vielleicht, weil es kein angenehmer Gedanke ist, dass sich mit Sammeln, Aufbereiten und Verteilen des eigenen Blutes gutes Geld verdienen lässt. Auf dem Blutmarkt ist alltäglich, was bei Organspenden eine Straftat wäre: Aus dem Angebot und der Nachfrage von Ärzten und Pharmaunternehmen bestimmen sich Preis und Verfügbarkeit fertiger Blutprodukte.

In Bayern wird es dabei zukünftig turbulenter zugehen. Die Leipziger Haema AG, der größte unabhängige Blutspendedienst Deutschlands, expandiert nach München und Regensburg. Der Konzern übernimmt zum 1. August zwei Spendezentren, die bislang der TIS Transfusionsinstitut Synlab GmbH gehörten. Konnte dort bislang nur Plasma gespendet werden, so entnimmt Haema zukünftig auch Konzentrate aus Blutkörperchen und Blutplättchen sowie Vollblutspenden. Für Bayern wird es das erste Mal überhaupt sein, dass ein privater Anbieter Fertigkonserven zur direkten Verwendung am Patienten herstellt.

Haema AG

Die Ursprünge der Haema AG liegen im Ostdeutschland der frühen Nachwendezeit, deswegen haben dort bis heute die meisten Blutspendezentren des Unternehmens ihren Sitz. Ursprünglich war Haema ein rein staatliches Unternehmen: Der Freistaat Sachsen und zwei seiner Landkreise betrieben es von 1993 an als "Labor Diagnostika GmbH". Drei Jahre später ging der Betrieb in den vollständigen Besitz der Münchner Beteiligungsgesellschaft Aton GmbH, 2002 wurde er mit der Berliner Haema Holding AG vereint, die dem neuen Konzern ihren Namen lieh. Alle Aton-Anteile hält wiederum Lutz Mario Helmig, 67, Arzt und Multimilliardär aus dem hessischen Grebenhain, mit Frau und Töchtern. Zu Geld kam er als Gründer und langjähriger Inhaber der Helios-Kliniken-Gruppe. Die Haema AG beschäftigte im vergangenen Jahr rund 1100 Mitarbeiter, die einen Umsatz von 99 Millionen Euro und einen Gewinn von fünf Millionen Euro erwirtschafteten. In 33 Spendenzentren in allen ostdeutschen Bundesländern sowie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wird jährlich rund eine Million Mal Blut gespendet. muet

Die bundesweite Expansion der Haema AG erinnert ein wenig an das Märchen von Hase und Igel. Wo auch immer das Unternehmen neue Dependancen eröffnet, ein Landesverband des Deutschen Roten Kreuz (DRK) unterhält dort als Grundversorger schon einen Blutspendedienst. Beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) schätzt man den regionalen Marktanteil der eigenen Zentren und mobilen Teams auf rund 70 Prozent, 400 Kliniken und niedergelassene Ärzte zählen zum Kundenstamm. Die restlichen 30 Prozent verteilen sich auf kommunale Dienste wie den des Städtischen Klinikums München und die Universitätskliniken, die hauptsächlich für den Eigenbedarf produzieren. Außerdem gibt es private Anbieter, die Blutplasma für die Pharmaindustrie gewinnen.

Der bundesweite Marktanteil von Haema liegt dagegen bei nur vier Prozent, allerdings mit stark steigender Tendenz. Haema und das DRK verbindet eine Art Hassliebe: Es gibt eine Kooperationsvereinbarung aus dem Jahr 2008, die private und kommunale Anbieter sowie den Platzhirschen DRK auf ein Mindestmaß an Zusammenarbeit verpflichtet. Notfallpatienten müssen deshalb keine gesundheitlichen Nachteile befürchten, wenn der Lieferant des Krankenhauses Blut der passenden Blutgruppe nicht auf Lager hat - in diesem Fall springt man gegenseitig ein. Andererseits scheint die Philosophie beider Dienste doch zu unterschiedlich, als dass sie ihren Streit nicht öffentlich ausgetragen würden.

Darf man Blutspendern eine Aufwandsentschädigung zahlen?

Die Gretchenfrage lautet seit Jahren: Darf man Blutspendern guten Gewissens eine Aufwandsentschädigung zahlen? Haema, private und kommunale Dienste sagen ja. DRK und BRK setzen dagegen zumindest vordergründig auf pure Nächstenliebe. Höchstens eine belegte Semmel und ein kleines Geschenk darf ein Spender erwarten. "Wenn man Geld gibt, zieht man eine andere Klientel an, vor allem in den Großstadtregionen, auf die es Haema abgesehen hat", sagt Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des BRK . Er spielt auf die alte Befürchtung an, Spender könnten die vorgeschriebenen Fragebögen zu ihrem Gesundheitszustand manipulieren. Dabei müssen sich die Dienste auf Ehrlichkeit verlassen, denn es gibt Krankheiten, die sich mit gängigen Testverfahren im Blut selbst nur schwer entdecken lassen. "Die Befürchtung des BRK ist insofern verwunderlich, weil der BRK-Blutspendedienst doch selbst Aufwandsentschädigungen bezahlt", sagt ein Sprecher. Tatsächlich bestätigt das BRK, bei langwierigen Thrombozytenspenden Geld zu zahlen - allerdings trete man von sich aus an potenzielle Spender heran, sodass kein Anreiz entstehe.

Unterschiedliche Konzepte werden auch in den Unternehmensformen deutlich. Haema muss als Aktiengesellschaft Gewinne erwirtschaften (siehe Infokasten). Die erzielt auch der Spendedienst des BRK, er darf sie als gemeinnützige GmbH aber nur für eigene Zwecke einsetzen. Laut Bilanz belief sich der Überschuss im Geschäftsjahr 2012 auf 2,6 Millionen Euro. Finanziert wurden damit nach BRK-Angaben beispielsweise die aufwendige Logistik oder die Entwicklung neuer Erregertests. Ein Sprecher verwies außerdem auf "stark zunehmende Kosten für Spender-Werbung und Organisation der Blutspendetermine". Genauere Zahlen, etwa zur Höhe der Werbeausgaben, wollte man jedoch nicht herausgeben.

Überhaupt, die Werbung: Sie ist gerade in der Urlaubszeit wichtig, um ausreichend junge und gesunde Spender anzuziehen. "Wer Blut spendet, hilft bei der Rettung von Menschenleben", ließ Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) noch Mitte Juni verlautbaren. Und kann mitunter billiger einkaufen, ließe sich hinzufügen. Denn Dienste wie Haema gehen das Problem der sommerlichen Spenderflaute durchaus rustikal an. Im sozialen Netzwerk Facebook lockte Haema während der Fußball-WM: "Entscheide selbst, ob du dir deine Aufwandsentschädigung wie gewohnt auszahlen lassen oder ob du einen universellen Einkaufsgutschein mit höherem Wert nehmen willst." In einem Bild daneben wurden konkrete Eurobeträge angegeben - eine heikle Gratwanderung, denn das Heilmittelwerbegesetz verbietet die Werbung mit Aufwandsentschädigungen. Es habe sich um eine "interne Aktion zur Spenderbindung" gehandelt, lässt Haema wissen. Außerdem habe man "unzählige Belege der DRK-Blutspendedienste im Haus, bei denen man sich genau diese Frage ebenfalls stellen müsste".

Zumindest die Abnehmer des Blutes wären über den neu entfachten Wettbewerb nicht traurig, bestätigen Insider. Verliert ein Patient im OP zu viel Blut, geben Anästhesisten häufig ein Konzentrat aus roten Blutkörperchen. Für die ersten fünf Beutel erhalten die Krankenhäuser von den gesetzlichen Krankenkassen keinen Cent extra erstattet. Erst ab Beutel Nummer sechs gibt es 619,27 Euro zusätzlich, danach sind die Zuschläge gestaffelt. Für Häuser im Sparzwang lohnt es sich demnach, Rahmenverträge mit einem billigeren Blutlieferanten zu schließen.

Die beschaulichen Zeiten auf dem bayerischen Blutmarkt sind vorbei. Der Süddeutschen Zeitung bestätigte die Haema AG ihr Interesse an "mehreren Standorten in Bayern". Blutspendern im Freistaat dürfte sich in Zukunft häufiger die Frage stellen, ob Gutes zu tun einfach nur eine Frage der Definition ist.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2014/ahem
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