Bergeübung:„Springen Sie auf keinen Fall von den Sesseln ab!“

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In Talnähe sind Feuerwehrleute aus Wackersberg bei der Übung im Einsatz. Sie bergen die Lift-Passagiere mithilfe einer Spezialleiter. (Foto: Manfred Neubauer)

Wenn ein Berglift stillsteht, sind alle Fahrgäste in zwei Stunden sicher zu evakuieren. An der Blombergbahn üben Bergwacht, Betreiber und Feuerwehr alle paar Jahre gemeinsam für den Ernstfall. Ein Erfahrungsbericht.

Von Benjamin Engel, Wackersberg

Der Ernstfall scheint weit weg zu sein, als es an diesem Julitag mit der Blombergbahn Höhenmeter um Höhenmeter Richtung Gipfel geht. Im Tal zeigt das Thermometer gegen 18.30 Uhr noch mehr als 25 Grad, ein laues Lüftchen weht. Der perfekte Ausklang eines Sommertags – mit Blick über den dunkelgrünen Stallauer Weiher bis zum silbrigen Band des Starnberger Sees im Nordwesten. 60 Fahrgäste sind im Doppelsessellift unterwegs, als die Bahn plötzlich still steht. Nichts geht mehr. Die Leute hängen nun bis zu zwölf Meter hoch über dem teils steil abfallenden Gelände der Lifttrasse.

„Achtung, Achtung“, tönt es aus der Lautsprecheranlage. „Wegen einer technischen Störung kann die Bergbahn nicht mehr in Betrieb gehen.“ Die Fahrgäste sollten Ruhe bewahren. „Springen Sie auf keinen Fall von den Sesseln ab!“ Ob womöglich manche genau das überlegen würden, wenn starker Wind ginge oder ein Wintersturm die Minustemperaturen noch einmal kälter wirken ließe?

Die Leiter lässt sich an Ösen an der Unterkante eines jeden Sessels befestigen. Allerdings lässt sie sich auf maximal acht Meter ausziehen. (Foto: Manfred Neubauer)

Unter solchen Bedingungen muss an diesem Tag glücklicherweise niemand die Probe aufs Exempel machen. Die Aktion ist nur ein Trainingsfall. Warten auf die Einsatzkräfte der Bergwacht, des Liftbetreibers sowie der Feuerwehr heißt es allerdings genauso. Ihnen bleiben zwei Stunden Zeit, um alle Fahrgäste wieder sicher auf den Boden zu bringen. So lauten jedenfalls die Vorschriften. Und die gilt es an der Blombergbahn jetzt genauso einzuhalten wie im Ernstfall.

„Heute üben wir den Maximalfall“, erklärt Betriebsleiter Hannes Zintel. Nämlich dann, wenn überall auf der 1,8 Kilometer langen Lifttrasse Leute in den 115 Doppelsesseln sitzen. Bis zu 230 Fahrgäste könnten das maximal sein. Laut Zintel üben daher die beiden aus jeweils vier Mitarbeitern bestehenden Trupps seines Unternehmens halbjährlich den Bergefall. Alle fünf, sechs Jahre gebe es so wie heute eine gemeinsame Großübung mit der Wackersberger Feuerwehr sowie den Einsatzkräften von Tölzer und Lenggrieser Bergwacht. Im Notfall müssten alle Abläufe funktionieren, alle drei Organisationen möglichst reibungslos Hand in Hand zusammenarbeiten.

Die Leitern lassen sich auf maximal acht Meter ausziehen

Dafür haben sich die verschiedenen Einsatzkräfte zur Bergung auf drei Abschnitte entlang der 1,8 Kilometer langen Lifttrasse mit ihren 24 Stützen verteilt. Ganz unten in Talnähe sind 16 Feuerwehrkräfte aus Wackersberg aktiv. Sie hantieren mit einer Spezialleiter, die sich an Ösen an der Unterkante eines jeden Sessels befestigen lässt. So kommen die Mitglieder der Feuerwehr zu den Fahrgästen hinauf und können diese gesichert zum Boden bringen.

„Das hat alles einwandfrei geklappt“, wird Tobi Hartmann, der Zweite Kommandant der Wackersberger Feuerwehr, nach Übungsende sagen. Einziger limitierender Faktor: Die Leiter lässt sich nur maximal acht Meter ausziehen. Menschen in Sesseln, die höher über dem Untergrund hängen, lassen sich so nicht retten. Daher sei die Feuerwehr an eine Person im Bereich der Mittelstation nicht herangekommen, berichtet Hartmann. Die Trupps des Liftunternehmens mussten übernehmen.

Jeweils zwei Retter arbeiten an den Liftstützen, wenn es darum geht, Fahrgäste abzuseilen. (Foto: Benjamin Engel/oh)

Diese arbeiten mit Sicherungsgeschirr und Seilen so wie die Einsatzkräfte der Bergwacht ganz oben am Berg. Jeweils zwei der Retter klettern auf eine der Liftstützen. Einer von beiden hängt sich mit Sicherungsgeschirr und Karabiner an das Tragseil und arbeitet sich zum Sessel vor. Die Passagiere bekommen ein Rettungsdreieck aus Stoff um den Hüftbereich gelegt und werden abgeseilt.

Die Passagiere werden mit einem Rettungsdreieck abgeseilt. (Foto: Benjamin Engel/oh)

Ein wenig unsicher fühlt sich dies an, wenn es über die Kante des Sessels in die freie Luft geht und nur noch das Rettungsdreieck das eigene Körpergewicht hält. Trotzdem sagt der 13-jährige Maxi Erk, als alles geschafft ist, dass er so etwas jederzeit wieder machen würde. „Das war spannend und ist super-professionell abgelaufen.“ Zur Übung am Blomberglift ist er mit seiner Mutter aus Poing angereist. Dass er so cool reagiert, könnte daran liegen, dass er selbst seit fünf Jahren klettert – in der Alpenvereinssektion Markt Schwaben.

Zwei Bergefälle in 53 Jahren

Auch die 28 Einsatzkräfte der Bergwacht zwischen den Liftstützen 18 und 24 agieren ruhig und sicher. Laut Toni Hammerl von der Tölzer Bergwacht, der heute auch für die Lenggrieser Kollegen der Einsatzleiter ist, trainieren sie solche Bergefälle permanent, sowohl im Freien als auch in der Halle des Zentrums für Sicherheit und Ausbildung der Bergwacht in Bad Tölz. „Unseren Bereich haben wir in einer Stunde und 32 Minuten geräumt“, schildert er den Ablauf an der Blombergbahn.

Für Liftanlagen wie die am Blomberg gelten strenge Sicherheitsanforderungen nach dem Bayerischen Eisenbahn- und Seilbahngesetz. Laut Betriebsleiter Zintel fallen darunter auch die jährlichen TÜV-Prüfungen, um nachzuweisen, dass die Lifte verkehrssicher seien. Aufgrund der umfangreichen Vorschriften und Sicherheitsvorkehrungen seien Bergungen sehr selten. Der Sessellift am Blomberg könne etwa mithilfe eines Notstromaggregats autark betrieben werden, wenn das Netz ausfalle. Zusätzlich gebe es einen batteriegepufferten Notantrieb. Wenn der Lift stillstehe, lasse sich die Anlage in fast allen Fällen wieder in Betrieb nehmen, um alle Fahrgäste sicher ins Tal zu bringen, sagt er. „In 53 Jahren hatten wir nur zwei wirkliche Bergefälle“, so Zintel. Jeweils mit nur vier Fahrgästen wegen Unwettern.

Das ist den freiwilligen Teilnehmern der Bergeübung wie Simone Böttcher glücklicherweise erspart geblieben. „Ich hatte immer Angst, damit zu fahren“, berichtet die Frau aus Bairawies, die sich zusammen mit ihrer Tochter Josephine aus einem der Sessel hat retten lassen. Sie habe sich immer gefragt, was passiere, wenn der Lift auf einmal stehen bleibe. „Jetzt weißt du, du kommst runter“, sagt Böttcher. Die Angst sei wie weggeblasen. Auch Peggy Münch von der Tölzer Tourist-Information hatte vor Übungsbeginn „Herzklopfen“, wie sie sagt. Als sie wohlbehalten wieder in der Talstation ankommt, gibt es für sie und alle anderen Teilnehmenden als Dankeschön Freikarten, einen Kühlschrankmagneten mit dem Logo der Blombergbahn, eine Tasse für Kinder sowie einen Essens- und Getränkegutschein.

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