Süddeutsche Zeitung

Regensburg: Bischof Müller:Herrgott, was soll das?"

Völlig unvermittelt erklärt Ökumene-Bischof Müller der evangelischen Kirche, sie müsse sich von Luther distanzieren. Das irritiert sogar die eigenen Leute.

M. Maier-Albang, O. Przybilla, P. Woldin und A. Ramelsberger

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller ist qua Amt für die Zusammenarbeit von Katholiken und Protestanten zuständig - er ist der oberste Beauftragte der katholischen Kirche in Deutschland für die Ökumene. Ein wichtiger Posten, denn im September steht der Papstbesuch an im Land des Reformators Martin Luther. Der Papst will sich hier auch mit protestantischen Christen treffen. Die dürfen sich jetzt schon mal eingestimmt fühlen - denn Bischof Müller hat ihnen erklärt, dass sie abschwören müssen, zumindest von einem Wort Luthers.

Völlig unvermittelt forderte Müller, die evangelische Kirche müsse sich ganz offiziell von der Behauptung Luthers distanzieren, dass der Papst der Antichrist sei - eine Äußerung, die vielen Protestanten gar nicht präsent ist. Müller griff die Protestanten an, sie stellten sich als modernere Kirche dar, der sich die Katholiken annähern sollten. Aber das sei mit der katholischen Kirche nicht zu machen. Der Weg zum gemeinsamen Abendmahl sei noch weit.

Damit hat Müller eine Diskussion eröffnet, die hohe Wellen schlägt. Zumal die Protestanten die Luther'sche Rede vom Papst als dem Antichristen, auf die Müller zu sprechen kommt, spätestens 2004 in den Gemeindeausgaben der Bekenntnisschriften überwunden hätten, wie der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber erklärt. Müllers Äußerung ist aus Sicht des Catholica-Beauftragten der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) in diesem Punkt also schlicht falsch.

Der Vorwurf der Reformatoren, der Papst sei der Antichrist, dürfe nach Auffassung der heutigen Kirchenleitung "auf das Papsttum in der Fülle seiner geschichtlichen Erscheinungen oder einzelne Inhaber dieses Amtes nicht mehr angewandt werden". Das alles steht zwar nur in einer Fußnote, aber die hat Bischof Müller offenbar nicht gelesen.

Auch die ständige Vertreterin des bayerischen Landesbischofs, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, zeigt sich "vollkommen überrascht" und "verwundert" über Müller. Breit-Keßler kann sich nicht erklären, warum er Distanzierungen für Luther-Worte verlangt, die vor 500 Jahren gesprochen wurden. "Luther hat provokante Äußerungen getan so wie auch heute manch anderer Theologe. Er hat damals die Missstände der Zeit angeprangert. Aber keiner würde heute Benedikt XVI. als Antichrist bezeichnen. Da käme kein Mensch drauf", sagt Breit-Keßler. Die Kirchen lebten am Herzen der Menschen vorbei, wenn sie nicht die Zusammenarbeit suchten. "Die Basis lebt die Ökumene, und die Basis liebt die Ökumene. Schon im Evangelium steht: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe."

Und das drückt sich oft ganz handfest aus. Der FDP-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Thomas Hacker, zum Beispiel ist evangelischer Christ in Bayreuth. Seit 30 Jahren arbeiten die katholische und die evangelische Gemeinde dort bei der Kirchenmusik zusammen, bei Adventskonzerten. Vor 15 Jahren hat man gemeinsam einen Verein für die Jugendhilfe gegründet. Und das Augenfälligste: Der Organist der katholischen Gemeinde ist mit der Organistin der evangelischen Gemeinde verheiratet. "Die Mitglieder sind viel weiter beim Gestalten des gemeinsamen Glaubens, als manche Kirchenfürsten glauben", sagt Hacker.

Jochen Keßler-Rosa, evangelischer Pfarrer und Chef der Diakonie in Schweinfurt, hat die Äußerungen Müllers morgens seiner Frau vorgelesen, mit Befremden. "Man fragt sich doch, was er damit bezwecken will, außer auf der anderen Seite für schlechte Stimmung zu sorgen", sagt er. Er habe den Eindruck, der Bischof von Regensburg habe ein Pro-blem und versuche nun - "nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung" -, auch den anderen Probleme zu bereiten. Hilfreich sei das für niemanden, "außer möglicherweise für Müller selbst".

Günter Gloser, einfaches Mitglied der evangelischen Synode, zeigt sich irritiert, welchen Tonfall Müller in die Debatte einführe. Gerade als Vorsitzender der Ökumenekommission seien Müllers Formulierungen befremdlich, "da würde man sich schon eine differenzierte Betrachtungsweise erwarten", sagte Gloser. Es sollte nicht Art der Christen sein, nach alttestamentarischer Manier zurückzuschlagen, wenn einer so austeile. Münchens Erzbischof Reinhard Marx wisse über die Ökumene in "einer ganz anderen Sprache und wesentlich besseren Performance" zu sprechen als sein Regensburger Kollege.

Die Präsidentin der evangelischen Landessynode, Dorothea Deneke-Stoll, ist nicht sehr weit weg von den einfachen Mitgliedern. Sie hält Müllers Aussagen für gestrig. "Dieses Luther-Zitat habe ich von keinem in der Kirche aktiven Protestanten in dieser Form gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das heute noch so vertritt", sagt sie. Die Protestanten wollten die Katholiken auch nicht bekehren. "Wir gehen nicht davon aus, dass die Katholiken evangelischer werden sollen. Beide Konfessionen profitieren doch voneinander. Wir Protestanten haben beispielsweise bei der Verwendung von symbolischen Zeichen wie Gebetskerzen von den Katholiken gelernt." Denecke-Stoll sagte, man hoffe, dass sich beim Thema gemeinsames Abendmahl etwas bewege. "Das Ziel, dass verschiedene Konfessionen in Zukunft zusammen feiern, bleibt bestehen."

Doch nicht nur die Protestanten sind irritiert. Auch im Zentralrat der deutschen Katholiken regt sich Unmut. "Herrgott, was soll das?", sagt ein Mitglied, "so eine unsinnige Scharfmacherei. Wo hat er den Antichrist denn ausgegraben?" Gerade Bischof Müller sei bei der Ökumene eigentlich viel gesprächsbereiter als manch anderer Bischof, und nun das. Möglicherweise habe Müller Angst vor einem Identitätsverlust der katholischen Kirche - gerade mit Blick auf das Luther-Jahr 2017. "Das ist allerdings ein sehr weltlicher Ansatz und nicht der Ansatz von Jesus Christus."

Franz Maget ist Vizepräsident des bayerischen Landtags, Vorsitzender des "Forums Kirche und SPD" und Katholik. Und er macht sich Gedanken über Müllers Beweggründe. "Offensichtlich treibt ihn um, dass die Missbrauchsdiskussion des Jahres 2010 die katholische Kirche viel mehr in Bedrängnis gebracht hat als die evangelische. Aber das hat Gründe.

Die katholische Kirche muss das Vertrauen bei den Gläubigen erst wieder zurückgewinnen. Aber das schafft sie nicht mit Attacken auf die Protestanten." Auch der Münchner Abgeordnete Maget lebt die Ökumene im Alltag. In seinem Wahlkreis Milbertshofen gibt es zwei katholische Gemeinden, eine evangelische. Die arbeiteten so regelmäßig zusammen, dass man darüber gar nicht mehr rede. "Man nennt es nicht mehr Ökumene, es ist bloß noch normal", sagt Maget. "Die Kirche ist längst weiter als der Bischof."

Und Ulrich Wagenhäuser, katholischer Notfallseelsorger in Würzburg, sagt, ihn habe im Notfall noch nie jemand gefragt, "ob ich evangelisch oder katholisch bin".

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SZ vom 28.04.2011/bica
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