Bildungspolitik:Es muss nicht immer Mathe sein

Bildungspolitik: Wald in Gelb und Grün: Konrad Schmid erklärt den Kindern im Unterricht die Technik des Zwei-Farben-Holzschnitts.

Wald in Gelb und Grün: Konrad Schmid erklärt den Kindern im Unterricht die Technik des Zwei-Farben-Holzschnitts.

(Foto: Tobias Köhler)

In Passau hat sich eine Kunstgrundschule etabliert. Sie soll auch ein Gegengewicht zur Dominanz naturwissenschaftlicher Fächer bilden. Im neuen Schuljahr wird das erfolgreiche Modellprojekt auf andere Regierungsbezirke ausgeweitet

Von Anna Günther, Passau

Ist das jetzt Unterricht oder mutwillige Zerstörung? Mit konzentrierter Miene zerreißt der Bub sein selbstgemaltes Bild und schmiert Kleister drauf. Er blickt zufrieden zu seinem Tischnachbarn und wieder auf die Kleister-Papier-Masse vor sich. Reißen und schmieren lautet sein Auftrag an diesem Tag. Die Schüler der Passauer Grundschule Haidenhof gestalten Fische aus Pappmaschee für ein Kunstprojekt. Da kann man die eigenen Bilder schon mal opfern. Die bekleisterten Fetzen drücken die Kinder in eine Tonform und kleben Zeitungspapier darauf. Der Kirchenkünstler Leopold Hafner hat die Fisch-Formen aus Ton gemacht, jeder der 220 Grundschüler wird seinen Fisch gestalten. Der Schwarm soll als Mobile zum Jubiläum der Pfarrei St. Peter in der nahen Kirche aufgehängt werden.

An der Grundschule Haidenhof machen die Kinder in diesem Jahr 13 Projekte und lernen dabei verschiedene Techniken wie Radierung, Bildhauerei oder Druck kennen. Sie stellen pantomimisch berühmte Gemälde nach und setzen sich mit Malern und Epochen auseinander. Ein Großteil der Kinder bleibt am Nachmittag an der Schule oder geht in die Ganztagsklassen, das bringt Zeit. Bildende Künstler aus Passau und dem Umland kommen für Workshops, arbeiten mit Lehrern, Kindern und teilweise auch mit den Eltern. Der gestalterische Gedanke ist Theresia Licata wichtig. Seit sie die Schule vor vier Jahren als Rektorin übernommen hat, gehen Künstler in dem Bau aus den Sechzigerjahren ein und aus. Im ganzen Haus sind die Kunstwerke verteilt, es gibt mehr zu sehen als Wasser- und Wachsmalfarben. Zwischen Radierungen und Holzdrucken stehen Gipsfiguren oder Skulpturen.

Offiziell darf die Kunstgrundschule Haidenhof ihre Ausrichtung seit Januar 2014 auch im Namen tragen. Die Passauer sind in Niederbayern Vorreiter und Modellprojekt für ein Konzept, das im neuen Schuljahr an sechs weiteren Grundschulen in den anderen bayerischen Bezirken umgesetzt wird. Von September an dürfen auch die Grundschulen Gräfelfing, Cham, Großheubach, Wertingen, am Schlosspark in Konradsreuth und in Fürth an der Rosenstraße mit Fördergeldern des Kultusministeriums rechnen. Damit legen sie den Schwerpunkt auf kreatives Arbeiten und Kooperationen mit örtlichen Orchestern, Theatern und Museen.

Mit Kunst, Musik und Schauspiel will Theresia Licata einen Kontrapunkt zur Fixierung auf naturwissenschaftliche Fächer setzen. Die Kinder sollen lernen, Kultur zu verstehen, Kunst zu lesen und zu leben. Den größten Beitrag leistet die Kreativität wohl beim Brückenbauen: Im Einzugsgebiet der Passauer Grundschule liegen ein Villenviertel und ein vergleichsweise armer Bezirk, dort leben viele Familien, in denen kein Deutsch gesprochen wird. Diese Unterschiede müssen die Lehrer jeden Tag ausgleichen. Und dann sind da noch die Übergangsklassen, in denen Kinder von Flüchtlingen unterrichtet werden. Einige waren noch nie einer Schule und können weder lesen noch schreiben. Wenn sie basteln oder malen, können sich auch diese teils traumatisierten Kinder ausdrücken. Im Werkraum blickt die Schulleiterin Licata auf den Buben im Karohemd und sagt fast erstaunt: "Eigentlich ist er verhaltensauffällig, aber hier sind sogar diese Kinder konzentriert."

2011 bewarb sich die Passauer Grundschule Haidenhof gemeinsam mit Hubert Huber, dem Vorsitzenden des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) in Niederbayern, beim Kultusministerium für ein Modellprojekt. Huber entwickelte das Konzept Kunstgrundschule, mit dem Placet aus München ging ein Traum für ihn in Erfüllung. Seit 30 Jahren macht der Bildhauer Projekte mit Kindern und versucht, ein Bewusstsein für die Arbeit seiner Zunft zu schaffen. Nur zwei Prozent der Künstler in Deutschland könnten von ihrer Arbeit leben. Huber möchte drei oder vier Prozent daraus machen. Die Künstler an der Grundschule Haidenhof werden für ihre Projekte bezahlt. "Wir können nicht nur in unseren Ateliers sitzen und jammern, wir müssen bei den ganz Kleinen anfangen", sagt Huber. Kinder und auch deren Eltern sollten doch wissen, was ihre Heimat kulturell zu bieten hat.

Der Bildhauer steht an diesem Schultag in einer vierten Klasse und hilft Konrad Schmid beim Zwei-Farben-Holzschnitt. Draußen ist es warm, die Fenster sind offen, beiden Männern stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Die Kinder stehen um die Tische herum und warten, bis sie an der Reihe sind, in der Hand halten sie Holzbrettchen und ein Blatt Papier. Das Thema heißt "Wald", auf die Brettchen haben sie Tiere, Bäume und Blumen gezeichnet. Mit dem Schnitzmesser schneiden sie Formen aus dem Pappelholz. Konrad Schmid ritzt die Linien mit einem Teppichmesser vor, und hilft, wenn es hakt, damit alle Kinder drankommen. "Das Messer immer von euch weg schieben", erklärt der Pockinger Künstler etwa 200 Mal an diesem Morgen. Geduld ist Grundvoraussetzung für die Arbeit mit den kleinen Kreativen. Seit 20 Jahren versucht Schmidt, Kinder an die Technik des Holzschnitts heranzuführen. Diese Methode sei den meisten Menschen heute gar nicht mehr geläufig, sagt Schmid, "aber wenn einen die Kinder nach zehn Jahren noch "Hallo Künstler" rufen, kann man sicher sein, dass das in Erinnerung bleibt." Die Viertklässler werden zappelig, er wendet sich wieder den Schülern zu, mischt grüne Druckfarbe auf einer Platte und ruft zur nächsten Runde. Gelb bedruckte Blätter und Brettchen in der Hand, reihen sich die Kinder auf und warten. Wie es geht, wissen sie jetzt schon: Mit der Rolle Farbe auf das Holzbrett streichen, dieses dann aufs Papier legen und fest mit einer Gummirolle drüberwalzen, vorsichtig abziehen - und voilà. Die Rahmen-Sammelbestellung ist schon in Arbeit, diese Drucke werden nicht am Kühlschrank unter Magneten enden.

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