Bildung:Wie sieht die Zukunft des Gymnasiums aus - und wann kommt sie?

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Seit 2015 konnten Schüler am Gymnasium wählen, ob sie in acht oder neun Jahren zum Abitur wollen. (Foto: dpa)
  • Unter Lehrern, Eltern und Schülern herrscht Unklarheit darüber, wie genau die Schullaufbahn am Gymnasium in Zukunft aussehen soll.
  • Die Gymnasien sollen von 2018 an wählen können, ob sie das Abitur in acht oder neun Jahren anbieten wollen - oder beides parallel.
  • An 47 Pilotschulen läuft bereits seit 2015 der G-9-Versuch Mittelstufe Plus.

Von Anna Günther, München

Wie geht es mit dem Gymnasium weiter? Wann wird über die Ideen entschieden? Und was ist mit der Mittelstufe Plus? Diese Fragen treiben derzeit Lehrer, Eltern und Schüler an den bayerischen Gymnasien um. Die Antwort lautet stets: Die Dialogphase läuft noch, entscheiden wird die CSU-Fraktion um den Jahreswechsel herum.

Davon hängt alles ab. Und die Abgeordneten zelebrieren ihre Entscheidungsfindung. Die Gerüchte darüber, was hinter verschlossenen Türen besprochen wird, sind zahllos. Dabei stehen die Eckpunkte fest, hinter den Kulissen wird längst an den Details gefeilt. Die Gymnasien sollen von 2018 an wählen, ob sie das Abitur in acht oder neun Jahren anbieten oder beide Wege parallel organisieren.

An den Schulen aber herrscht Ungewissheit: "Was bedeutet denn die Dialogphase? Wir hören gar nichts, aber die Politik muss endlich liefern", sagt Bernd Amschler, Schulleiter am Annette-Kolb-Gymnasium in Traunstein, einer von 47 Pilotschulen, an der seit 2015 der G-9-Versuch Mittelstufe Plus läuft.

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Bereits jetzt fragten Eltern der Siebtklässler, ob ihre Kinder vom kommenden Schuljahr an mehr Zeit bekommen. Die Mittelstufe Plus sollte 2017 allen Gymnasien offenstehen, nun aber setzt Kultusminister Ludwig Spaenle auf einen Dialog. Die Reform soll erst im Herbst 2018 beginnen. Das ist seine Lehre aus der überstürzten Einführung des G 8 vor 13 Jahren.

Aber die Plus-Schulen fürchten zwei verlorene Jahrgänge. Endet der Pilotversuch im Sommer, hätten zwei Jahrgänge keine Wahl zwischen acht und neun Jahren. Denn laut Spaenles Konzept soll der Stoff erst ab der sechsten Klasse gedehnt werden, also zum Schuljahr 2019/2020. "Die Eltern erwarten aber, dass die Mittelstufe Plus weitergeht, alles andere wäre nicht zu vertreten", sagt Clement Utz, Leiter des Regensburger Albrecht-Altdorfer-Gymnasiums.

Die Informationsabende finden oft im Januar statt, Antworten müssten aber vor Weihnachten kommen. Ein Auslaufen des Versuchs war nur eine Option, falls dieser scheitert. Davon wollen die meisten Plus-Schulleiter nichts hören. Aber es sei erstaunlich, wie schnell das Konzept durch war, sagt Elke Hermann, die stellvertretende Schulleiterin des Pirckheimer Gymnasiums in Nürnberg.

Schwierig sei nur der Parallelbetrieb, sagt Utz, seine Schule stehe zu neun Jahren - wie offenbar die meisten Gymnasien in der Umgebung. "Schulen und Kommunen sind im Abstimmungsprozess viel weiter, als die Politik glaubt", bestätigt ein Direktor aus Oberbayern. Zumindest die Angst vor verlorenen Jahrgängen kann Staatssekretär Georg Eisenreich nehmen: Es werde keine Lücke an den 47 Gymnasien geben - vorausgesetzt die Fraktion stimmt der Reform zu.

Hört man sich im G-9-Lager um, ist sogar von konstruktiven Gesprächen die Rede, von Harmonie zwischen Ministerium und Verbänden. Die Zweifler in der Fraktion würden weniger, sagt einer, der nah dran ist. Auch die letzten G-8-Bastionen kippen: In München plant die Stadt bei Neubauten schon mit dem G 9 und die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft gibt nach. Dabei war das G 8 auch auf Druck der Wirtschaft eingeführt worden. Das Geld für die Reform muss aber vom Freistaat kommen, machte die kommunalpolitische Vereinigung der CSU kürzlich klar.

Trotzdem ist die Furcht vor der Sperrminorität in der Fraktion wohl so groß, dass der Kultusminister und seine Staatssekretäre in jedem Gespräch zur Reform des Gymnasiums ein "falls die Fraktion dem zustimmt" einschieben. "G 9" als Begriff ist tabu, stattdessen ist von "individueller Lernzeit" die Rede. Das Ergebnis dürfte am Ende identisch sein. Die meisten bayerischen Schüler werden wohl neun Jahre wählen.

Aber dieses Hin und Her ist nötig, denn die Fraktion ist offenbar gespalten: Ein Teil der Abgeordneten setzt sich mit den Wünschen der Eltern auseinander und sogar G-8-Verfechter wie CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer sollen mittlerweile über die Umsetzung der Reform nachdenken. Aber einzelnen Politikern reicht die Erwähnung eines "kommenden G 9", dass sie damit drohen, alles platzen zu lassen - und die Kollegen zurechtzustutzen, die Anlass zur Zuversicht gaben.

Dabei hatte Ministerpräsident Horst Seehofer im Sommer klargemacht, dass er das Gymnasium nicht als Wahlkampfthema haben will und noch heuer ein Konzept erwartet. Der Wunsch von Eltern und Schülern ist deutlich: 70 Prozent haben sich für die Mittelstufe Plus angemeldet, aber die Nachfrage dürfte noch höher sein, denn Direktoren der Pilotgymnasien mussten massiv fürs G 8 werben, der weiter existieren muss.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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