Süddeutsche Zeitung

Bildung:In der Express-Spur zum Abitur

Schulminister Michael Piazolo präsentiert das neue Konzept des G 8 im neunjährigen Gymnasium: Schüler können, begleitet von Mentoren, eine Klasse überspringen.

Von Anna Günther

Mit der Überholspur im neunjährigen Gymnasium will die Staatsregierung nun alle zufriedenstellen: Ein G 8 im G 9 soll ehrgeizigen und besonders begabten Schülern schnelleres Lernen oder ein Auslandsjahr ermöglichen, während alle anderen Mädchen und Buben mehr Zeit zum Lernen oder für Hobbys haben. Individualität und Vielfalt sind die Schlüsselbegriffe für das neue Konzept mit dem klangvollen Namen individuelle Lernzeitverkürzung, das Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) am Mittwoch im Bildungsministerium vorstellte. "Ich bin überzeugt, dass Antwort auf die Vielfalt der Schüler nur Vielfalt lauten kann", sagte er und meinte die Möglichkeiten zum Abitur.

In dieser Überholspur bekommen Schüler in kleinen Gruppen zwei Stunden pro Woche Nachmittagsunterricht, dabei wechseln sich Deutsch, Mathe, Fremdsprachen und ein Profilfach ab. Dazu kommen Aufgaben, die in der "Studierzeit" selbständig bearbeitet werden. Begleitet werden Schüler von Mentoren. Wer überholen darf, empfehlen Lehrer in der 8. Klasse, Leistungsbereitschaft und Selbständigkeit sind Voraussetzungen für das Zusatzpensum bei bis zu 34 Wochenstunden Regelunterricht. Schulen beraten Kinder und Eltern, aber die Familien entscheiden, sagte Piazolo. Ob Schüler von der 10. Klasse in die 12. springen, können diese sich bis zuletzt offenhalten.

Dass die 11. Klasse übersprungen werden soll, die im neuen G 9 in politischer, beruflicher sowie digitaler Bildung Maßstäbe setzen soll, empfand am Mittwoch niemand als problematisch. "Jede Klasse des Gymnasiums ist ein Aushängeschild", sagte Piazolo, aber es komme auch auf die Reife der Kinder an. Nach der 10. Klasse haben sie zudem den mittleren Schulabschluss. Widerspruch war kaum zu erwarten, die Vertreter von Lehrern, Schülern, Eltern und Direktoren hatten das Konzept gemeinsam mit dem Ministerium erarbeitet.

Die Zufriedenheit ist offenbar groß: Philologenchef Michael Schwägerl sprach von einem "bundesweit einmaligen System" für leistungswillige Schüler im G 9. Die Starken seien im G 8 vernachlässigt worden. Ähnlich sieht es auch Walter Baier, Chef der Direktorenvereinigung: "Wir erwarten viel vom Modell", besonders das Coaching solle über Lernen für Noten weit hinausgehen. Mentoren, an die Schüler "sich vertrauensvoll" wenden, sind dem Landesschülerrat (LSR) sehr wichtig.

Der Sprecher Florian Schwegler hofft, dass die Überholspur Jugendlichen das Auslandsjahr wieder "schmackhaft" mache. Die Nachfrage war im G 8 deutlich zurückgegangen. Während die anderen Verbände von drei, fünf, zehn, 15 Schülern oder zehn Prozent pro Jahrgang sprachen, betonte Susanne Arndt, die Vorsitzende des Landeselternverbands Gymnasien, mehrmals, dass in keiner Gruppe mehr als neun Schüler sein sollten, damit kein Coach mehr als drei Kinder betreut. Nur so sei die intensive Förderung gewährleistet.

Der Wille, dieses Konstrukt gelingen zu lassen, ist groß: Fertig sei das Konzept erst nach Einarbeitung von Anregungen und Kritik der Schulen, sagte Adolf Präbst, Chef der Gymnasialabteilung im Ministerium. Spätestens im Februar 2021 sollen die ersten Schüler zur Überholspur beraten werden. Bis dahin muss das Konzept im Landtag beschlossen, eine Handreichung für Schulen erstellt und Lehrer zu Coaches fortgebildet werden. Für den Mehraufwand lockt Piazolo mit zusätzlichen Stunden, dafür sollen Direktoren bei Eltern und Schülern werben. Das Projekt dürfte teuer werden: Philologenchef Schwägerl schätzt, dass jedes der 430 Gymnasien eine halbe Lehrerstelle mehr bräuchte. Die Verantwortung gab Piazolo entspannt ab: Über die erforderlichen 215 Lehrer zusätzlich zu 1000 fürs G 9 eingeplanten entscheide Finanzminister Albert Füracker (CSU).

Dagegen fragen sich an den Schulen manche, wieso die Überholspur noch sein muss. Die CSU sei nicht mehr allein an der Macht. Die Überholspur galt vielen bei der Einführung des neuen G 9 als konstruierter G-8-Erhalt, um die kritische Landtagsfraktion umzustimmen. Der Blick zurück zeigt: Auch Piazolo forderte schon 2015 Wahlfreiheit für Schüler. Die Opposition sieht die Überholspur kritisch: "Erstaunlich finde ich schon, dass Herr Piazolo als Vorkämpfer für das G 9 jetzt doch ein Mini-G 8 einführt", sagte die Simone Strohmayr (SPD). Sie bezweifelt, dass zwei Stunden für intensive Förderung reichen, "um ohne Qualitätsverlust die 11. Klasse auszulassen".

Außerdem fordert sie Begabtenförderung für Kinder aller Schularten. "Die Billigversion des früheren CSU-G-8 ist ein ganz schwacher Aufschlag des FW-Kultusministers", sagte Thomas Gehring (Grüne). Beim Fokus auf die Kernfächer bliebe die breite Bildung auf der Strecke. Dagegen begrüßte Matthias Fischbach (FDP) das Modell grundsätzlich, forderte aber für alle Schulen ein Wahlangebot unabhängig von der Schülerzahl und mahnte, nicht die letzten klassischen G-8-Schüler aus dem Blick zu verlieren.

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SZ vom 13.12.2018/haeg
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