Bildung in Bayern:Abitur auf Umwegen

Wer es nicht aufs Gymnasium schafft, der muss das Ziel Hochschulreife noch längst nicht aufgeben. Auch die Berufs- und Fachoberschulen haben sich als Sprungbrett an die Uni erwiesen. Drei Menschen und ihre Bildungsgeschichte.

Tina Baier

Immer mehr Menschen machen ihr Abitur nicht direkt am Gymnasium, sondern auf Umwegen. Die beliebtesten Alternativen sind die Fachoberschule (FOS) und die Berufsoberschule (BOS). In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der Absolventen dieser sogenannten Beruflichen Oberschulen von 35 700 auf 56 400 angestiegen. Sie vergeben in Bayern mittlerweile 42 Prozent der Studienberechtigungen. In der Landeshauptstadt München sind es sogar knapp die Hälfte.

Bildung in Bayern: Die verschiedenen Wege zum Abitur

Die verschiedenen Wege zum Abitur

(Foto: SZ-Grafik)

Voraussetzung für die Aufnahme an der FOS ist ein "Mittlerer Schulabschluss" nach der zehnten Klasse - also beispielsweise ein Realschulabschluss, ein Abschluss der Wirtschaftsschule, oder ein sogenannter M-Abschluss der Mittelschule. Seit vier Jahren können die Schüler der FOS überall in Bayern nicht nur das Fachabitur nach der zwölften Klasse machen, sondern ein weiteres Jahr dranhängen (FOS 13) und dann das Allgemeine Abitur ablegen. Dasselbe gilt im Prinzip für die BOS, mit dem Unterschied, dass dort nur Schüler mit Berufsausbildung aufgenommen werden.

Um Jugendlichen, die von der Mittel- oder Wirtschaftsschule kommen, den Sprung auf die FOS zu erleichtern, gibt es seit diesem Schuljahr in Altötting, Kitzingen und München sogenannte Vorklassen, in denen sich die Schüler ein Jahr lang auf die Anforderungen an der Fachoberschule vorbereiten können. Vom nächsten Schuljahr an soll es diese Möglichkeit in ganz Bayern an jeder zweiten staatlichen Fachoberschule geben. Auffällig ist, dass der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund an den Beruflichen Schulen mit zwölf Prozent doppelt so hoch ist wie an den Gymnasien (sechs Prozent). Neben FOS und BOS gibt es auch noch andere Wege an die Uni, beispielsweise über ein Kolleg oder ein Abendgymnasium. Auch Handwerksmeister haben seit einigen Jahren das Recht zu studieren.

Die Migrantin

Sezgi Yildirim, 19, Staatliches Berufliches Schulzentrum Neusäß

Bildung in Bayern: Sezgi Yildirim geht in die 13. Klasse und macht im Mai Abitur.

Sezgi Yildirim geht in die 13. Klasse und macht im Mai Abitur.

Eigentlich wäre ich nach der vierten Klasse gerne auf die Realschule gegangen, aber meine Grundschullehrerin hat meiner Mutter gesagt, ich hätte nicht das Potential. Dass diese Einschätzung falsch war, sieht man jetzt, da ich das Abitur auf der FOS mache. Das Urteil meiner Lehrerin hat mich einerseits frustriert und andererseits angespornt. Ich habe gedacht: "Eigentlich kann ich es schon."

Auf der Hauptschule habe ich mich dann ins Zeug gelegt. Ich wollte mich von Anfang an nicht mit einem Hauptschulabschluss zufriedengeben. Nach der sechsten Klasse bin ich in den M-Zweig und habe nach der zehnten den M-Abschluss gemacht, der gleichwertig mit dem Realschulabschluss ist. Danach habe ich mich entschlossen, auf die FOS zu gehen und Abitur zu machen.

Meine Eltern haben mich nie unter Druck gesetzt, aber sie haben mir vermittelt, dass es wichtig ist, einen guten Abschluss zu haben. Ich hatte auch Vorbilder in meiner Familie, an denen ich gesehen habe, dass man auch als Migrantin Abi machen kann. Einer meiner Onkel hat Betriebswirtschaft studiert, ein anderer Medizin. Der Übergang von der Hauptschule auf die FOS war nicht einfach. In der Hauptschule ist mir alles leichtgefallen. Ich habe kaum gelernt und hatte trotzdem gute Noten. In Mathe zum Beispiel war ich eine Einser-Schülerin, im ersten Jahr auf der FOS hatte ich eine Vier in Mathe. Das war deprimierend, aber mit der Zeit habe ich es in den Griff bekommen.

Ich bin jetzt in der 13. Klasse und mache im Mai Abitur. Hier im Beruflichen Schulzentrum in Neusäß sind viele Schüler mit Migrationshintergrund. Ich glaube, das liegt daran, dass die Kinder in der Grundschule selbst noch nicht wissen, wie wichtig ein guter Abschluss ist. Ihre Eltern können sie oft kaum unterstützen. Die Mütter vieler Kinder mit Migrationshintergrund sprechen kein Deutsch oder haben keine Erfahrung, wie das Schulsystem funktioniert. Deshalb können sie ihre Kinder nicht so fördern wie die deutschen Eltern. Wenn die Kinder älter sind, nehmen sie selbst die Verantwortung in die Hand. Für den direkten Weg über das Gymnasium ist es dann zu spät, deshalb gehen viele den Weg über die FOS oder die BOS.

Der Stipendiat

Projekt Abi und Studium, München, Carmen Wolf

Jurij Vilisov studiert im 3. Semester an der TU München und ist Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes.

(Foto: Carmen Wolf)

Jurij Vilisov, 24, Waldkraiburg, Studiert in München

Ich war zehn Jahre alt, als ich aus Kasachstan nach Deutschland kam. In Waldkraiburg bin ich in die vierte Klasse gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu können. Das war eine schwierige Zeit. Es hat ein Jahr gedauert, bis ich mich sprachlich einigermaßen zurechtgefunden habe. Meine Mutter hatte in Kasachstan Deutsch gelernt und hat viel mit meinem Zwillingsbruder und mit mir geübt. Weder meine Mutter noch ich hatten eine Ahnung vom bayerischen Schulsystem und dass es in der vierten Klasse um den Übertritt auf weiterführende Schulen ging.

Als ich in die Hauptschule kam, hatte ich sprachlich eigentlich keine Probleme mehr. Meine Noten wurden immer besser. Deshalb bin ich dann auch auf die Realschule gegangen. Zu dieser Zeit hatte ich wenig Lust auf Schule, ich war Teenager und hatte alles Mögliche im Kopf. Meine Noten waren eher mittelmäßig. Ich wusste auch nicht recht, welche Ausbildung ich machen sollte. Bei einem Job-Test in der Agentur für Arbeit kam "Fluggerätemechaniker" heraus, dann habe ich das eben ausprobiert. Während der Ausbildung habe ich gemerkt, dass mir das Lernen eigentlich sehr leichtfällt. Deshalb habe ich mich entschlossen, auf die BOS in Altötting zu gehen und das Abitur zu machen.

Das war eine ganz andere Welt. Ich musste viel mehr lernen als auf der Berufsschule. Unser Lehrer hat ziemlich viel verlangt. Das war für mich ein Ansporn, gute Noten zu schreiben. Am Anfang war ich ein Zweierschüler, aber mit der Zeit habe ich mich bis zur Eins hingearbeitet. Nach der zwölften Klasse hatte ich das Fachabi, aber ich wollte unbedingt auch noch die dreizehnte Klasse und damit das Allgemeine Abitur machen. In den Prüfungen hatte ich dann einen Schnitt von 1,0. Die Schule hat mich deshalb für ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen. Ich wurde mit 50 anderen, von denen die meisten eigentlich viel besser waren als ich, zu einem Auswahlseminar eingeladen. Ich war sehr nervös. Ich konnte es kaum fassen, als ich erfahren habe, dass ich ausgewählt worden bin. Jetzt studiere ich im dritten Semester Luft- und Raumfahrt an der Technischen Universität in München.

Die Multi-tasking-Mama

Projekt Abi und Studium, München, Carmen Wolf

Petra Hirschmann besucht die 11. Klasse am Münchenkolleg.

(Foto: Carmen Wolf)

Petra Hirschmann, 43, Münchenkolleg

Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, die 15 und 17 Jahre alt sind. Mit 43 Jahren gehöre ich zu den älteren Schülern des Münchenkollegs, wo ich gerade das Abitur nachmache. Meine erste Schulzeit war problematisch. Eigentlich ging es schon am ersten Schultag los. Die Lehrerin sagte: "Hier wird nicht Bairisch gesprochen, sondern Hochdeutsch." Ich bin auf dem Land aufgewachsen und konnte einfach kein Hochdeutsch. Deshalb habe ich dann in der Schule gar nichts mehr gesagt. Danach bin ich irgendwie auf keinen grünen Zweig mehr gekommen.

Nach der neunten Klasse habe ich die Schule mit dem Qualifizierten Hauptschulabschluss verlassen. Trotz meines grottenschlechten Zeugnisses habe ich eine Lehrstelle als Arzthelferin bekommen. Anschließend habe ich zehn Jahre gearbeitet. Dann kamen die Kinder, und ich war 15 Jahre zu Hause. Als die Kinder immer selbständiger wurden, habe ich überlegt, was ich machen könnte. In meinem alten Beruf wollte ich nicht mehr arbeiten. Jetzt habe ich die Chance ergriffen, am Münchenkolleg mein Abitur nachzumachen. Es läuft richtig gut. Es ist für mich eine schöne Erfahrung, plötzlich zu den guten Schülern zu gehören.

Ich möchte auf alle Fälle studieren, am liebsten Linguistik oder Latein. Mein älterer Sohn ist gerade in der elften Klasse der Technischen FOS, was genau meiner elften Klasse entspricht. Manchmal müssen wir denselben Stoff lernen. Manchmal erklärt er mir etwas und manchmal ich ihm. Nächstes Jahr wird er mit mir gleichzeitig sein Abitur machen. Mein Mann ist Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik und unterstützt mich. Ich empfinde es als Luxus, dass ich ohne finanzielle Sorgen genau das machen kann, was mir Spaß macht. Manchmal ist es aber auch schwierig, weil mein Mann beruflich viel unterwegs ist. Deshalb bin ich während der Woche oft allein mit Schule, Kindern und Haushalt. Ich habe jeden Tag bis 15 Uhr Unterricht. Danach kümmere ich mich um den Haushalt und mache Abendessen. Meistens setze ich mich nach der Tagesschau noch einmal hin und lerne. Wenn der Tag drei Stunden mehr hätte, wäre alles optimal.

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