Bildung:Fusion gegen den schleichenden Tod

Staat und Kirche haben sich geeinigt: In Osterhofen sollen künftig Buben und Mädchen in einer Schule gemeinsam unterrichtet werden

Von Anna Günther, Osterhofen

Vom kommenden Schuljahr an werden die Mädchen der kirchlichen Realschule Damenstift in Osterhofen gemeinsam mit den Buben der staatlichen Landgraf-Leuchtenberg-Realschule lernen. Die kleineren Mädchen weinten, als Schulleiter Alfons Bauer ihnen die Neuigkeit überbrachte. Die älteren dagegen hätten es durchaus spannend gefunden, sagt Bauer, der auch einige Tage danach noch immer recht mitgenommen wirkt. Was nach Geschichten aus der Vergangenheit klingt, ist im Landkreis Deggendorf gerade hochaktuell - und womöglich ein Modell für ganz Bayern. Als solches jedenfalls sieht das Kultusministerium die erste Zusammenlegung einer kirchlichen mit einer staatlichen Schule im Freistaat.

Mit jeweils gut 300 Kindern wäre keine der Realschulen überlebensfähig gewesen. Weiter zu warten hätte den "schleichenden Tod" für beide Schulen bedeutet, sagt der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU). Die Zahlen kennt auch Bauer. Trotzdem habe ihn die Fusion sehr überrascht, sagt er. "Ich hätte nie gedacht, dass ich nach 158 Jahren der letzte Schulleiter sein werde." Seit 38 Jahren ist er Lehrer an der Realschule Damenstift, erlebte Englische Fräulein und die Maria-Ward-Stiftung als Träger. Die Schule zu schließen, das sei mental nicht einfach, sagt Bauer. Nächstes Jahr aber geht er in Pension, das dürfte bei der Zusammenlegung eine Rolle gespielt haben, vermutet er.

Wie in vielen ländlichen Regionen Bayerns, gibt es auch in der 11 600-Einwohner-Stadt Osterhofen immer weniger Schüler. Viele Landschulen kämpfen um jedes Kind. Der Landkreis Deggendorf ist keine Ausnahme. Von der Schule hängt auch die Attraktivität einer Kommune ab. Sehr kleine Schulen können weniger Wahlfächer oder Ausbildungsrichtungen anbieten, und weil sich die Lehrerstellen an Schülerzahlen ausrichten, werden Pädagogen schrumpfender Schulen im Zweifel wegversetzt. Die einfachste Lösung für Buben- und Mädchenschulen ist es, das andere Geschlecht zuzulassen. Das schloss Bernreiter aus: "Ohne Fusion hätten wir die Bubenschule für Mädchen öffnen müssen, das hätte massive Konkurrenz zum Damenstift bedeutet." Und das Ende beider Schulen beschleunigt. An der Fusion hängen zudem viel mehr als nur die Osterhofener Kinder, sagt Bernreiter. Fünf Schulen wären davon betroffen gewesen, die Schülerwanderungen hätten auch in Deggendorf und Plattling "Verwerfungen" ausgelöst. Mit der Fusion will Bernreiter das Gleichgewicht erhalten - auch weil der Landkreis gerade Millionen in neue Schulgebäude investiert.

Die Schulleiter fühlen sich überrumpelt, der Landrat kann das nicht nachvollziehen. Die Fusionsidee sei 2010 von der Maria-Ward-Stiftung gekommen und wurde kurz darauf zurückgezogen. Der Deggendorfer Kreistag beschloss 2011 trotzdem, dass beide Schulen irgendwann zusammengelegt werden, um wenigstens eine Realschule in Osterhofen zu erhalten. Im Sommer schlugen der Direktor der staatlichen Realschule und die Bezirksregierung Alarm. Entsprechend nimmt es Oliver Sailer, der Direktor der Bubenrealschule, leichter als sein Kollege Bauer: "Wir holen die Stärken der kirchlichen Schule zu uns, um für die Zukunft gerüstet zu sein." Neben dem christlichen Weltbild profitiere die Bubenschule vom musikalischen und kulturellen Engagement der Mädchen, während diese mehr Naturwissenschaften und Sport bekommen. Das nütze allen, durch die Fusion könne die Realschule in Osterhofen künftig drei Ausbildungsrichtungen anbieten.

Die Verschmelzung wird ein Kraftakt, denn alle Stellen sind doppelt besetzt. Zwar einigten sich Schulstiftung, Kultusministerium und Landkreis nach langen Verhandlungen, dass alle Angestellten übernommen werden und der Staat auch die Lehrer der Mädchen bezahlt. Aber wer welche Aufgabe übernimmt, müssen die Schulleiter entscheiden. Lernen sollen die Kinder künftig in der staatlichen Real- und der benachbarten Mittelschule. Mädchenschulrektor Bauer bedauert das sehr. Denn nach fast 1000 Jahren Kloster und 158 Jahren Damenstift sei ungewiss, was künftig mit den Gebäuden neben der Asam-Basilika passiere. Vor knapp einem Jahr verkaufte die Congregatio Jesu, wie sich der Orden der Englischen Fräulein mittlerweile nennt, das Kloster an einen Investor.

Alle Kinder dort zu unterrichten und Miete zu bezahlen, kommt für den Landrat nicht infrage. Die Gebäude müssen dringend saniert werden und Fachräume für Chemie oder Physik fehlten. Außerdem habe der Osterhofener Stadtrat beschlossen, dass die Realschule im Stadtzentrum liegen solle. Bernreiters "Masterplan" ist es stattdessen, eine neue Realschule zu bauen - wenn die Schülerzahlen stabil bleiben. Ob Mädchen und Buben sich vertragen werden, sorgt dagegen weder Landrat noch Direktoren: "Ich glaube nicht, dass die Burschen und Mädel heutzutage so weltfremd sind, dass das neues Terrain für sie ist", sagt Sailer.

Insgesamt gibt es in Bayern noch 85 Schulen nur für Mädchen und 34 nur für Buben.

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