BGH-Entscheidung:Allgäuer Islamistin kommt mit Bewährungsstrafe davon

  • Der Bundesgerichtshof hat die Bewährungsstrafe für eine Allgäuer Islamistin wegen Kindesentziehung bestätigt.
  • Dass die Frau in Syrien schießen lernte, um ihre Kinder vor Angreifern zu schützen, könne ihr nicht als sogenannte Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen werden, entschied der BGH.
  • Damit scheiterte die Bundesanwaltschaft, die ein wesentlich höheres Strafmaß gefordert hatte.

Von Lisa Schnell

Andrea B., die als Islamistin mit ihren zwei kleinen Töchtern aus dem Allgäu nach Syrien reiste, wird auf freiem Fuß bleiben. An diesem Dienstag bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Urteil des Münchner Landgerichts. Ende Februar verurteilten die Richter in München Andrea B. zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung, weil sie Anfang 2014 mit ihren Kindern, damals sieben und drei Jahre alt, nach Syrien in ein Kriegsgebiet reiste.

Der leibliche Vater wurde von ihr nicht informiert, er erstattete Anzeige. Eine schwere, staatsgefährdende Gewalttat habe Andrea B. aber nicht vorbereitet, urteilten die Richter in München. Die Staatsanwaltschaft sah das anders und legte Revision beim BGH ein.

Aus ihrer Sicht habe sich B. in Syrien am Kampf gegen Truppen der syrischen Armee beteiligen wollen. Im Haus, in dem Andrea B. als Zweitfrau bei einem selbst ernannten Gotteskrieger aus Hessen wohnte, waren Maschinenpistolen, Handgranaten und Sturmgewehre gelagert. Es gibt Fotos ihrer dreijährigen Tochter, wie sie mit einer Kalaschnikow um den Hals posiert. B. sagte aus, die Waffe regelmäßig gereinigt und geölt zu haben.

Auch hätte man ihr gezeigt, wo sie abdrücken müsse, um zu schießen und wie sie dabei die Waffe halten solle. Selbst geschossen habe sie aber nie, die Unterweisung habe nur der Selbstverteidigung gedient. Diese reiche nicht aus für eine Verurteilung wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, urteilten die Richter des BGH.

B. habe zwar mit einer terroristischen Vereinigung sympathisiert - ihr Zweitmann kämpfte für Jabhat al-Nusra, ein Ableger von al-Qaida, der in Syrien einen Gottesstaat errichten will - aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt habe sie sich aber nicht. Sie habe mit ihren Kindern sogar regelmäßig den Wohnort gewechselt, um nicht in Kämpfe verwickelt zu werden.

Auch wenn B. sich zeigen ließ, wie sie mit Schusswaffen umgehen soll und bereit war diese auch zu benutzen, etwa bei einem Angriff der syrischen Armee oder von Kämpfern gegnerischer Gruppierungen, hätten ihre Handlungen doch "primär defensiven Charakter" gehabt, heißt es in der Stellungnahme des BGH.

Von besonderem Belang sei, dass es B. allein darum ging, ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder zu schützen. Ihr Verhalten sei allenfalls "mittelbar gegen die staatliche Ordnung gerichtet" gewesen. Der Sinn und Zweck der Vorschrift zu staatsgefährdenden Gewalttaten bestehe darin, terroristische Einzeltäter zu verfolgen. Auf Andrea B., die an Kämpfen nicht aktiv beteiligt war, treffe das aber nicht zu.

"Der Paragraf ist eine absolute Katastrophe"

Der BGH mahnte außerdem an, den Paragraphen 89a, auf den sich die Münchner Staatsanwaltschaft berief, zurückhaltend anzuwenden. Insbesondere wenn es sich um einen lang andauernden Konflikt auf dem Gebiet eines ausländischen Staates handelte.

"Der Paragraf ist eine absolute Katastrophe", sagt Jochen Rüter, der Andrea B. in München verteidigte. Die Vorschrift sei so schwammig und weich formuliert, dass nicht klar sei, wann genau eine Straftat begangen sei und wann nicht. Er sei nicht der Einzige, der sie verfassungsrechtlich für bedenklich halte. Rüter begrüßt es deshalb, dass die Richter des BGH im Fall von Andrea B. die Voraussetzungen für eine staatsgefährdende Gewalttat nicht sehen. Seine Mandantin sei "keine Dschihad-Kämpferin, die mit Handgranaten durch Schützengräben läuft". Er freue sich, dass das Urteil nun rechtskräftig sei und Andrea B. eine freie Frau bleibt.

Wie sich B. radikalisiert hat

Sie soll sich derzeit in Süddeutschland aufhalten. Ihre zwei kleinen Töchter sind bei ihrem leiblichen Vater, der auch das Sorgerecht hat. Zum Islam konvertierte die 30-jährige Katholikin aus dem Allgäu im Jahr 2012. Im Internet lernte sie Nadine S. kennen, die ihr den Weg in die Radikalisierung wies. Vor Gericht sagte B. aus, sie sei nur aus humanitären Gründen nach Syrien gereist. Im Internet habe sie das Leid der Menschen dort gesehen und aufgrund ihres starken Glaubens helfen wollen. Erst nach ihrer Ankunft will sie erfahren haben, dass der Mann, bei dem sie lebte, einer terroristischen Vereinigung angehörte.

Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt die Zahl von Islamistinnen, die in Syrien einen selbst ernannten Gotteskrieger heiraten und dann nach Deutschland zurückkehren zu. Vor drei Monaten waren es noch annähernd 100 ausgereiste Frauen, jetzt sind es etwa 150.

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