Bezirkstage:Bayerns unterschätzte Parlamente

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Unter die vielen sozialen Aufgaben, um die sich Bayerns Bezirke kümmern, fällt auch die Frühförderung von Kindern mit Behinderung - hier in Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Am 14. Oktober werden auch die Bezirkstage neu gewählt, die maßgeblich die Sozialpolitik prägen. Die AfD könnte die Atmosphäre vergiften

Von Dietrich Mittler, München

Josef Mederer, der Chef des Bezirks Oberbayern und zugleich Präsident des Bayerischen Bezirketags, ist kein Mann prahlerischer Worte. In einem eher schlicht eingerichteten Konferenzzimmer hat er nun in München zu Wochenbeginn Bilanz gezogen: "Wir haben viel, sehr viel erreicht", sagte der 69-Jährige. Wer die Hintergründe kennt, weiß, dass selbst dieses Eigenlob tiefgestapelt war. Klar ist, Bezirke leisten per se viel für die Bürger im Freistaat - sei es nun für jene in finanziellen Notlagen, sei es für psychisch Kranke, sei es für Menschen mit Behinderung oder eben auch für Bayerns Kulturschaffende und Brauchtumsbewahrer, die auf Fördermittel angewiesen sind.

Klar ist aber auch, in den zurückliegenden fünf Jahren hat es oft und heftig hinter den Kulissen gekracht, denn Mederer und die Seinen legten sich für die sozial Schwachen und Benachteiligten auch massiv mit der Staatsregierung an. Beispiele dafür gibt es etliche: Sei es, dass sie für Drogenkonsumräume in Bayerns Ballungszentren plädierten. Sei es, dass sie mehr Geld für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge einforderten oder massiv und konfrontativ wie nie zuvor Änderungen im umstrittenen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz erstritten. Trotz all dieser Scharmützel gehen inzwischen aber auch die Größen der Landespolitik davon aus: Ohne die Bezirke geht es nicht. Im Gegenteil, ihnen werden stetig mehr Aufgaben übertragen - neuerdings auch die Zuständigkeit für den Bereich ambulante Pflege.

Grund genug eigentlich, sich kurz einmal zufrieden zurückzulehnen. Doch Josef Mederer wirkt an diesem Mittwoch ernst. Am 14. Oktober stehen nicht nur die Landtagswahlen an, Bayerns Bürger wählen dann auch ihre Bezirksräte. Und, was dem CSU-Mann Mederer Sorgen bereitet: Die AfD wird in den Bezirken nicht minder an Boden gewinnen wie im Landtag. Allein im Bezirk Oberbayern sind von den insgesamt 592 zur Bezirkstagswahl antretenden Kandidaten 31 von der AfD. Mederer kennt nur die wenigsten von ihnen persönlich. Und doch hat er Bauchgrimmen, wie er sagt. "Das Gedankengut, das im April Mitglieder dieser Partei im Bundestag offengelegt haben, ist verwerflich. Dass sie in einem ihrer Anträge einen Bezug zwischen Inzucht, Behinderung und Migration herstellten, das ist abstoßend", sagt er. Jeder wisse, dass es zu den Hauptaufgaben der sieben bayerischen Bezirke gehöre, sich um Menschen mit Behinderung zu kümmern und ihnen im Sinne der Inklusion ein gleichberechtigtes Leben zu ermöglichen. "Dass in den Bezirkstagen künftig auch Politiker sitzen werden, die unsere Klientel womöglich verachten, das bereitet mir ein schlechtes Gefühl", sagt Mederer. Aber, so betont er, darauf müssten Demokraten über Parteigrenzen hinweg eine Antwort finden.

Dass die AfD im Oktober bei den Bezirkstagswahlen hinter ihren Ergebnissen bei der Landtagswahl zurückliegen wird, wagen die Kommunalpolitiker der bislang in den Bezirkstagen vertretenen Parteien kaum zu hoffen. "Unsere Ergebnisse stimmten stets in etwa mit denen der Landtagswahl überein", heißt es da. Bei den blauen Wahlzetteln für die Bezirkstagswahlen, die erst nach der Landtagswahl ausgezählt werden, sei keine Überraschung zu erwarten. "Da die Arbeit der Bezirke nach außen kaum bekannt ist, bekommen wir Bezirkspolitiker die gesamtpolitische Stimmung voll ab", sagt Mederer - also auch den Zorn der Protestwähler. Wählerschelte sei aber fehl am Platz. Nur ein Rat: Die Bürger sollten sich informieren, für welche Werte die jeweiligen Kandidaten stehen. Denn: "Die Bezirke sind das soziale Gewissen der bayerischen Gesellschaft, unsere Aufgabe ist es, Menschen sozial aufzufangen."

Um dies einmal in Zahlen auszudrücken: Allein 2016 waren die Bezirke als überörtliche Sozialhilfeträger im Freistaat für rund 138 000 Menschen mit Behinderung zuständig, die Anspruch auf Eingliederungshilfe hatten, sowie für 43 000 Pflegebedürftige. Für die Unterstützung der Betroffenen wurden in den Bezirken brutto mehr als 3,8 Milliarden Euro aufgewendet. Allein dieser Betrag macht klar, dass der Sozialbereich den Löwenanteil der Arbeit ausmacht. Dazu zählen auch die Hilfen für Kinder im Schul- und Vorschulalter - wie etwa die Frühförderung, die integrativen Kindertagesstätten und Schulbegleitung. Oder eben auch die Suchtberatungsstellen für Erwachsene, die sozial- und gerontopsychiatrischen Dienste sowie die mehr als 60 vorwiegend im Bereich Psychiatrie tätigen Fachkrankenhäuser, die Tageskliniken. Und darüber hinaus: die forensischen Einrichtungen für psychisch kranke Straftäter.

"An den Bezirken geht kein Weg vorbei", sagt Josef Mederer. Seine Worte zielen nicht zuletzt auf jene, die vor Jahren noch die Auflösung der Bezirke gefordert hatten, darunter sind nicht wenige mit einem CSU-Parteibuch. Aber den Sinn der Bezirke anzuzweifeln, das hatte durchaus einmal Tradition. Legendär sind da die Vorstöße des früheren CSU-Parteivorsitzenden Erwin Huber, die ebenso legendär von Mederers Amtsvorgänger Manfred Hölzlein zurückgewiesen wurden.

Hölzlein schilderte einmal ein solches Gespräch: "Erwin, du, gib a Ruah! Die Abschaffung der Bezirke, des is a Schmarrn!", habe er zu Huber gesagt. Der Parteifreund, nicht minder bekannt für deutliche Worte, habe erwidert: "Des, was ihr macht, des können die Landkreise genauso." Was dieser Schlagabtausch unter Niederbayern nicht erahnen lässt: Als Landesvorstandsmitglied der Jungen Union hatte Hölzlein Anfang der 1970er Jahre noch selbst die Auflösung der Bezirke eingefordert. "Die sind so überflüssig", habe er gesagt.

Solche Worte, so versichert Josef Mederer, habe man von ihm nie gehört. Als im Sozialbereich engagierter Mensch habe er die Bezirke früh schätzen gelernt. Überdies seien die ja auch noch dazu da, die kulturellen Besonderheiten der einzelnen Landstriche zu erhalten und zu fördern. Da gehe es längst nicht nur um die Bezirksheimatpfleger, sondern auch um moderne Kunst, um Jazz, Pop und Rock. "Die Bezirke haben ganz klar ihre Berechtigung", sagt Mederer.

© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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