Betrug am Klinikum Erlangen:Der Schalterbeamte am Skalpell

Christian E. brillierte als Arzt am Erlanger Uniklinikum - obwohl er kaum die Realschule geschafft hat.

Olaf Przybilla

Am 6. September 2007, kurz vor zehn Uhr, hat Christian E. seinen großen Auftritt. Einmal im Jahr treffen sich die wichtigsten Gefäßchirurgen zum Gedankenaustausch. Und diesmal, im Congress Center Basel, ist der 28 Jahre alte E. mit von der Partie und stellt mit dem Erlanger Professor Werner Lang seine Forschungsarbeit vor.

Dreiländertagung der Gesellschaften für vaskuläre und endovaskuläre Chirurgie, Saal Singapore, das Wort hat ein junger Mann aus Erlangen. Er referiert über "Kombinierte gefäßchirurgisch-plastische Rekonstruktionen zum Extremitätenerhalt bei ausgedehnten Gewebedefekten". Ein großes Thema für einen wie Christian E., der mit Ach und Krach seinen Realschulabschluss geschafft hat.

Werner Lang hat viel Spott erleiden müssen in den vergangenen Wochen. Seit der Hochstapler Christian E. zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, muss Lang allerlei Fragen beantworten: Wie es sein kann, dass ein gelernter Bankkaufmann mehr als 190 Mal am Operationstisch mitwirkt? Wie sich einer mit zwei gefälschten Doktortiteln in den Forschungsbetrieb hat einmischen können? Warum jemand mit einer wissenschaftlichen Arbeit betraut wird, der zu ungeschickt ist, sich seine angeblichen Zeugnisse selbst zu schreiben, ohne Rechtschreibfehler. Jetzt sitzt der Professor in seinem Büro im Erlanger Universitätsklinikum und knetet die Hände.

Eine Stunde lang nimmt sich Lang Zeit, um Antworten zu formulieren. Er beginnt damit, dass Christian E. mit Hilfe eines gefälschten Abiturs immerhin ein paar Semester Medizin studiert habe - ohne Abschluss allerdings. Er erzählt, wie engagiert er den jungen Mann im Klinikalltag erlebt habe, wie ihn die Patienten mit Namen kannten, wie angesehen Christian E. auf der Station war.

Aber man merkt Lang an, dass er selbst weiß, wie unbefriedigend diese Antworten wirken müssen. Am Ende sagt der Professor, er sei sich "sicher, absolut sicher", dass Christian E. nicht mehr weiter gekommen wäre auf der Karriereleiter für Chirurgen. Zum Assistenzarzt hat es gereicht, okay. Eine Forschungsarbeit zu fertigen und unter der Obhut des Professors beim Dreiländertreff der Gefäßchirurgen vorzustellen, auch das war möglich. Unter Anleitung des Chefarztes ein Skalpell zu führen, das ging ebenfalls. "Aber irgendwann werden die Dinge in der Medizin zu kompliziert", sagt Lang, "dann brauchen Sie Verstand, um das zu bewältigen." Spätestens dann, sagt Lang, wäre Christian E. aufgeflogen, "ganz sicher". Es klingt wie eine Beschwörung.

Anonymer Brief

Tatsächlich ist der Hochstapler Christian E. nicht etwa aufgeflogen, weil jemand in der Klinik Zweifel hegte an seinem Können als Chirurg. Aufgeflogen ist Christian E. allein wegen eines anonymen Briefes an die Landesärztekammer. Vermutlich stammt das Schreiben von einem ehemaligen Kommilitonen, der sich in ironischem Ton darüber wundert, woher dieser Arzt ohne Abschluss auf einmal seine zwei Doktortitel habe - einen für Ökonomie und einen anderen für Medizin, aus Oxford.

Zwölf Monate, nachdem der Anonymus diese Frage aufgeworfen hat, ist Christian E. vom Landgericht Nürnberg zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, wegen Urkundenfälschung, Betrugs und Missbrauch von Titeln.

Tony Döring holt tief Luft. Dieser Artikel über den aufstrebenden Arzt Christian E. - den hat er geschrieben, ja. Erschienen ist das Porträt in einem Stadtmagazin, das im fränkischen Coburg und im thüringischen Sonneberg ausliegt. Döring betreibt dort eine Werbeagentur. Christian E. hat er kennengelernt, als der an der Erlanger Universität längst als Hochstapler aufgeflogen war. Nur wusste Döring nichts davon.

E. wollte, dass Döring für ihn Visitenkarten entwirft. Nicht irgendwelche Kärtchen, sondern welche mit Goldrand. In Sonneberg solle schließlich eine große Privatklinik entstehen, so hat es E. erzählt. Der Name der Klinik stand schon fest: Mantuna werde sie heißen, benannt nach dem Kind, dem E. - angeblich als Arzt und Entwicklungshelfer - in Afrika das Leben gerettet haben will.

"Wie kann ein Mensch sich so etwas ausdenken?"

Praktischerweise druckt Döring nicht nur Visitenkarten, sondern auch ein Stadtmagazin. In diesem hat Döring dem Mann mit dem doppelten Doktortitel eine große Geschichte gewidmet. Der Artikel beginnt so: "Wie ihr wisst, schreiben wir über Themen, über die andere nur widerwillig schreiben. Zu diesen Themen gehört auch die folgende wahre Geschichte." Sie führt in den Kongo, wo E. im Auftrag der Vereinten Nationen das Waisenmädchen Mantuna vor Rebellen gerettet haben will. Zwei Wochen, bevor E. mit dem Kind Weihnachten in Deutschland feiern wollte, soll Mantuna auf offener Straße erschossen worden sein. Deshalb der Klinikname und deshalb das angeblich geplante Hilfsprojekt Mantuna e.V. So steht es im Artikel. "Wie bitteschön kann sich ein Mensch so etwas ausdenken?", fragt Döring.

Christian E. lächelt, wenn man ihn mit der Frage konfrontiert. Ja, da oben in Thüringen, da sei ihm wohl der Gaul etwas durchgegangen, erklärt er. Aber dafür müsse man Verständnis haben. Immerhin sei er kurz zuvor als Hochstapler aufgeflogen - und da sei "eine Welt zusammengebrochen" für ihn. E. hat Berufung gegen das Urteil des Nürnberger Landgerichts eingelegt, deswegen ist er noch auf freiem Fuß. In der Revision gehe es nur noch um die Höhe der Strafe, sagt sein Anwalt, seine Taten räumt E. vollumfänglich ein.

Bevor er aber in den Knast muss, möchte er gerne die Dinge aus seiner Sicht noch einmal darstellen, sagt E. Weil das Interesse an dieser Sicht groß ist, hat E. eine Agentur beauftragt, sich um die Anfragen zu kümmern.

Zwei besondere Funde

Dass es ihm um Geld gegangen sei, wie es ihm vor Gericht vorgeworfen worden ist - das sei "ja wohl ein Witz", schimpft E. Immerhin hatte er es längst zum Kundenbetreuer einer großen Bank geschafft, ehe ihm der Zivildienst die Augen geöffnet habe, "dass es im Leben um ganz anderes geht als um das große Geld". Deshalb seine Dienste beim Malteser-Hilfswerk, deshalb sein Wunsch, Mediziner werden zu dürfen und deshalb das gefälschte Abitur. Klar, er hätte das auch in der Abendschule nachholen können, räumt E. ein. Aber seine Eltern hätten das bestimmt nicht verstanden - wo er doch schon an der Realschule nur zum unteren Durchschnitt gezählt hatte.

Unterer Durchschnitt also. Reicht das für einen Auftritt auf einem internationalen Medizinerkongress? E. sagt, die Arbeit über die Rekonstruktionen zum Extremitätenerhalt wäre seine erste echte Doktorarbeit gewesen. Die hätte er auf jeden Fall geschafft. Denn wie weit die Arbeit schon fortgeschritten gewesen sei, merke man doch allein daran, dass sein Professor deren Resultate der Gesellschaft der Gefäßchirurgen offenbar nicht vorenthalten wollte.

Vor Abgabe der Arbeit ist dann der Brief des Anonymus' dazwischen gekommen. Aber mit seiner Vorarbeit, behauptet E., könne sich nun ein anderer brüsten. Professor Lang sagt, E. habe "vor allem Daten gesammelt". Hätte das für einen Doktortitel gereicht? Der Professor antwortet, einen wichtigen Teil der Arbeit hätte E. erst noch schreiben müssen.

Bei der Durchsuchung von E.s Wohnung haben die Ermittler zwei besondere Funde gemacht: Das Foto eines schwarzen Mädchens - E. hat das Bild an die Wand gepinnt und seiner Partnerin erzählt, das sei Mantuna. Und Notizen über den Klinikalltag, die E. mit "Wahnsinn in Weiß" überschrieben hat. Die Richterin, die E. verurteilt hat, hat die Notizen gelesen. Sie sagt, die Erlanger Universitätsklinik käme nicht gut weg dabei. In der Haft will E. die Skizzen zu einem Buch ausarbeiten. Und er will sein Abitur nachholen, um Arzt werden zu können. "Nein, das ist kein Witz", sagt Christian E.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: