Süddeutsche Zeitung

Bestattungsrituale:Einer für alle

Um Platz zu sparen entstanden 1896 auf dem Schlossbergfriedhof in Marktoberdorf die ersten Doppelgrabstätten. Vor den insgesamt 231 Grabsteinen liegen meist die Eltern, dahinter Kinder oder Hausangestellte

Von Christian Rost, Marktoberdorf

Es wird geschnitten, gestutzt, gerecht und neu gepflanzt vor Allerheiligen, auch auf dem Friedhof in Marktoberdorf. Wie in allen katholischen Kirchengemeinden bereiten die Gläubigen die Grabstätten ihrer verstorbenen Angehörigen für das Hochfest und den obligatorischen Friedhofsbesuch vor, dessen Höhepunkt der Rundgang durch die Grabreihen ist - auch Gräberrallye genannt. Traditionell wird schon am 1. November, also am Tag vor Allerseelen, nicht nur der Heiligen, sondern aller Toten gedacht. Etwas Besonderes ist ein Besuch des Schlossbergfriedhofs in Marktoberdorf, der malerisch auf einem Hügel oberhalb der Kreisstadt im Unterallgäu liegt. Hier finden sich Grabstätten, die es nirgendwo sonst gibt: Sogenannte Doppelgräber, in deren Mitte ein Grabstein steht und an der Vorder- und Rückseite jeweils bis zu vier Särge Platz finden. Alternativ können an jeder Seite auch acht Urnen beigesetzt werden.

Stadtarchivarin Josephine Berger geht davon aus, dass diese speziellen Gräber aus einem profanen Grund angelegt wurden: um Platz zu sparen. Als im Jahr 1896 eine Neuordnung der Friedhofs erforderlich wurde, entstanden im Schatten der imposanten Barockkirche St. Martin die ersten Doppelgrabstätten. 231 sind es insgesamt geworden, und auch Prominenz wie der Traktoren-Fabrikant Xaver Fendt liegt in so einem Grab. Die von einer Engelsfigur bewachte Ruhestätte ist so groß, dass man als Grabbeigabe durchaus Fendts Meisterstück, das Dieselross, hätte mitbestatten können. Das wäre nichts Ungewöhnliches gewesen, jedenfalls in Marktoberdorf, wo sich schon 700 nach Christus alemannische Schwertträger zusammen mit ihren Pferden in Reihengräbern verscharren ließen. Eingeschränkt werden muss allerdings, dass die Pferde in den Gräbern keinen Kopf mehr hatten, dieser war an erhabener Stelle, etwa einem Hausgiebel, weithin sichtbar befestigt worden.

Der Tod und alles, was er mit sich bringt, ist in Marktoberdorf gut dokumentiert. So erfährt man von Josephine Berger und Carolin Beylschmidt, der Leiterin des Amts für öffentliche Sicherheit und Ordnung, bei einem Friedhofsbesuch so manche Kuriosität. Zum Beispiel die Geschichte vom ersten Leichenwächter des Ortes. Georg Angstwurm hieß er und sein Name war offenbar Programm, jedenfalls wollte er mit den Toten nicht viel zu tun haben. Als Wohnung war ihm ausgerechnet der erste Stock des Leichenhauses auf dem Friedhof zugewiesen worden, und zu seinen Aufgaben zählte, nicht nur an Sektionen teilzunehmen, wenn dies aus wissenschaftlichen Gründen erforderlich war. Angstwurm sollte auch darüber wachen, dass Scheintote als solche erkannt und nicht versehentlich bei lebendigem Leibe begraben wurden. Leider scherte er sich nicht groß um die Leichen, jedenfalls stellte der königliche Medizinalrat 1906 bei einer Visitation fest: "Das Leichenhaus ist sauber gehalten. Im Aufbewahrungsraum fehlen aber die üblichen Drähte und Läutvorrichtungen, welche an den Händen der Leichen befestigt zu werden pflegen, um etwaige Bewegungen als Zeichen des Wiedererwachens aus dem Scheintode zu melden." Tja, da wird im Jenseits so mancher den Herrn Angstwurm zum Teufel gewünscht haben.

Wenn man sich posthum überhaupt noch ärgern kann, hat dies sicher auch der 1812 verstorbene und in Marktoberdorf begrabene Kurfürst Clemens Wenzeslaus getan. Schon im Alter von 25 Jahren war er Bischof von Regensburg und Freising, später dann Erzbischof von Trier und Fürstbischof von Augsburg. Selbst als er nach der Französischen Revolution seine weltlichen Ämter verlor und sich nach Augsburg zurückzog, war er gesellschaftlich noch ein Schwergewicht. In Marktoberdorf verbrachte er im Schloss, direkt neben St. Martin gelegen, die Sommermonate und förderte Kunst und Kultur. Er hatte sich gewünscht, nach seinem Tod in einem schlichten Grab beigesetzt zu werden. Die Tafel, die an der Außenmauer der Marktoberdorfer Kirche an ihn erinnert, ist tatsächlich einfach gestaltet. Allerdings ließen seine Schwester, Prinzessin Maria Kunigunde von Sachsen, und seine Nichte, Herzogin Maria Amalie von Pfalz-Zweibrücken, elf Jahre nach seinem Tod direkt vor der Grabplatte eine Kapelle errichten, die alles in den Schatten stellt, vor allem des Kurfürsten Grab. Und weil die Damen sich mit ihrer Investition auch selbst adeln wollten, ließen sie über dem Eingang ihre Initialen MK und MA anbringen. So uneigennützig also können Verwandte sein.

Weil Tote sich nicht mehr wehren können, hat man sich in früheren Zeiten mit Leichnamen auch weniger Umstände gemacht, als dies heute der Fall ist. Wer starb, wurde vom Leichenomnibus abgeholt. Dieser Omnibus - das Wort leitet sich vom Lateinischen "für alle" her - war ein sargähnlicher Kasten mit aufklappbarem Deckel zur Beförderung der Toten. Dann wurden die Leichen in Leintücher gewickelt und auf einem Brett in eine Grube befördert. "Er hat Brettl rutschen müssen", hieß das im Volksmund. Bis 1886 gab es diese Form der Bestattung in Bayern, zuletzt noch in der Gegend von Reichenhall, dann kamen die Särge in Mode, die mit ihrem geschlossenen Deckel die Toten noch besser an einer Wiederkehr hindern sollten.

Über die Jahrhunderte hat sich die Tradition gehalten, dass man nach einem Begräbnis ins Wirtshaus zum Leichenschmaus geht. Der Autor Anton Herz aus Rettenbach am Auerberg hat den Verlauf einer solchen Zusammenkunft im Ostallgäu einmal treffend beschrieben: "Oft blieben die Trauergäste bis zum Abend in lärmender Lustigkeit vereint, die Blaskapelle spielte zum Tanz auf oder eine Rauferei bildete den Schluss des Tages."

Was sich ebenfalls nicht geändert hat: Die Menschen sind auch nach ihrem Tod nicht gleich, das ist allerorten an der Ausstattung der Gräber zu sehen. Auf dem Schlossbergfriedhof in Marktoberdorf finden sich neben schlichten, geschliffenen Grabsteinen aufwendig gefertigte Figuren, die hoch über die Ruhestätten aufragen. Auf einem besonders großen Doppelgrab, unter dem sich eine Gruft verbirgt, steht ein Jesus, der beschützend die Hände über die Verstorbenen hält. "Näher mein Gott zu Dir", steht auf dem Grabstein - viel näher geht es tatsächlich nicht. Doch wer liegt eigentlich in den Doppelgräbern? Stadtarchivarin Berger hat herausgefunden, dass die meisten als Familiengräber angelegt wurden: auf der einen Seite die Eltern, auf der anderen Seite die Kinder. In einem Grab durften neben einer Bauernfamilie auch der Knecht und die Magd ihre letzte Ruhe finden. Oft wurden die Doppelgräber aber auch für Flüchtlinge oder Evakuierte genutzt. 1944, als es wieder einmal eng wurde auf dem Schlossbergfriedhof und nur noch 30 freie Grabplätze zur Verfügungen standen, ordnete der damalige Pfarrer an: "Nach Aufbrauch der noch vorhandenen Grabplätze werden die auf den Familiengräbern rückwärts gelegenen, meist unbenutzten Grabplätze verwendet. Es wird bei Grab Nr. 1 angefangen."

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Quelle:
SZ vom 30.10.2017
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