Besonderes Schulprojekt:Der lange Marsch zum See

Besonderes Schulprojekt: Rettungsdecken gegen die Kälte, und Magnesium, Elektrolyte sowie Eiweißpulver gegen die Erschöpfung.

Rettungsdecken gegen die Kälte, und Magnesium, Elektrolyte sowie Eiweißpulver gegen die Erschöpfung.

(Foto: privat)

100 Kilometer zu Fuß, ohne Essen, Geld oder Handy: Zwölf Jugendliche laufen zum Sylvensteinspeicher. Nicht alle halten durch.

Von Daniel Gözübüyük

Endlich da, endlich geschafft: Um Punkt 21.13 Uhr am Donnerstagabend haben die Schüler den letzten Berg erklommen - und stehen nun kurz vor ihrem Ziel: dem Sylvensteinspeicher südlich von Lenggries. Es ist ein Bild wie auf einer Ansichtskarte: Inmitten der alpinen Kulisse erstreckt sich der grün glänzende See mehr als zwei Kilometer durch das Tal. Doch nicht alle sehen diese Naturschönheit. Zu zwölft sind sie gestartet. Nur drei haben es bis hierhin geschafft.

Zwei Tage zuvor. Die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe des Wittelsbacher Gymnasiums haben drei riesige Tupperdosen voll mit von Restaurants gesponserten Nudeln und Reis aufgebaut, Pizzen und Getränke. Die Vorfreude ist groß. Einen Tag vor ihrer Reise treffen sie sich am Dienstagabend in der Schulbibliothek, um ihren Kohlenhydrate-Speicher aufzufüllen. "Nudelparty" nennen sie es, ein letztes Reinhauen vor dem Start. "Sie werden die Energie brauchen", sagt Simon Tschochner, Lehrer und Projektinitiator. Zusammen mit seiner Kollegin Mechthild Häberlein begleitet er die Schüler, aber nur als Helfer in der Not. "Sie sind auf sich gestellt. Sie entscheiden, wo und in welchem Tempo es voran geht, wann Pause gemacht wird."

Ihr Projekt heißt "Iron Run". Sie laufen 100 Kilometer weit, in drei Tagen, ohne Essen, Geld oder Handy. Dahinter steht ein erlebnispädagogisches Konzept, das dazu beitragen soll, sich und andere bei einer Grenzerfahrung besser kennenzulernen, über sich hinaus zu wachsen und Natur zu erleben. Im Zentrum stehe das Gruppenerlebnis, sagt Tschochner, "zu einer Einheit zu werden und Herausforderungen gemeinsam zu meistern."

Im Schneidersitz sitzen sie nun auf dem Teppichboden im Kreis, wählen Teamleiter, besprechen Routen, reden über Erwartungen, packen ihre Rucksäcke. Jeder bekommt einen Vorrat Eiweißpulver, frei mix- und nutzbar, dazu Gel-Elektrolyte und Magnesium-Shots, falls die Muskeln streiken. "Eigentlich bin ich wie ein Koala", sagt einer der Schüler auf die Frage, mit welchem Tier er sich vergleichen würde, "Ich brauche viel Ruhe." Ein anderer sagt, er sei ein Vogel Strauß, die laufen einfach drauf los, machen sich keine großen Gedanken. Anschließend geht es ins Bett. Ein letztes Mal in einem warmen Raum, mit einem Dach über dem Kopf, kuscheliger Decke und Kissen.

"Jo, wirf mir mal Anselm rüber!", ruft ein Schüler. Sie toben entlang der Isar, an der sie die nächsten 70 Kilometer entlang laufen werden, werfen sich eine leere Eiweißpulverdose hin und her, die sie nach einem Schüler benannt haben, der kurzfristig absagen musste. An der Zoobrücke klettern sie Streben entlang, lachen, haben Spaß, springen ins Wasser. Im geregelten Zyklus, 15 Minuten Laufen und fünf Gehen, bewegen sie sich vorwärts.

Eine ständige Begleiterin ist die Hilfe der Menschen unterwegs. Mal schenkt ihnen eine Kundin in einem Supermarkt spontan zwanzig Euro, mal versorgt sie ein Wirt oder ein Spaziergänger mit Getränken und Snacks. Am Straßenrand hält ein Autofahrer, kurbelt sein Fenster runter und fragt: "Seid ihr nicht die, über die ich in der Zeitung gelesen habe?" Der Mann von den Isar-Piraten, einem Sportgeräteverleih, bietet der Truppe an, dass sie für die Rückfahrt von Bad Tölz nach Wolfratshausen seine Boote nutzen können, kostenlos. Von dort geht es dann mit der Bahn weiter. "Mit so viel Zuspruch hätte ich nicht gerechnet", sagt Tschochner. Bis Geretsried ist die Stimmung prächtig. Dann verläuft sich die Gruppe.

Besonderes Schulprojekt: Viel durften die zwölf 16- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schüler auf ihren Fußweg zum Sylvensteinspeicher nicht mitnehmen.

Viel durften die zwölf 16- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schüler auf ihren Fußweg zum Sylvensteinspeicher nicht mitnehmen.

(Foto: privat)

"Ihr seht total erschöpft aus"

"Wir müssen hier rüber!" "Nein, das ist zu gefährlich." Die Schüler müssten eigentlich den Fluss überqueren, um auf Kurs zu bleiben. Doch die Strömung ist zu stark, die Isar zu tief. Sie entscheiden sich, am Ufer ihr Lager aufzuschlagen. Über dem Feuer brutzeln sie Würste, bis die Nacht hereinbricht; ein Wirt aus Ascholding hat sie ihnen spendiert. Schlafenszeit.

An Ruhe ist aber kaum zu denken. Es ist kalt, die dünnen, goldenen Rettungsdecken, auf denen die Schüler liegen, bieten keinen Komfort. Um 7 Uhr geht es weiter, sie sind müde, kaputt, schlapp. Einige schlurfen nur noch hinterher, mittlerweile haben sich zwei Gruppen gebildet. Die ersten können nicht mehr. Die Pausen werden länger, die Laufabschnitte kürzer.

Da hält eine Frau mit ihrem Auto neben der Gruppe. "Geht's euch gut?", fragt sie. "Ihr seht total erschöpft aus". In Absprache mit dem Team verlassen fünf Schüler die Gruppe, werden von der Frau nach Bad Tölz, später von einem Vater zum Sylvensteinspeicher gefahren. Zwischen Bad Tölz und Lenggries verläuft sich die Gruppe erneut, sie müssen ein großes Stück des Wegs zurücklaufen. In Winkel geben die nächsten auf, sie werden abgeholt.

Übrig bleiben zwei Jungen und ein Mädchen. 21.13 Uhr. Nach einem Gang durch einen letzten schmalen, dunklen Bergtunnel erblicken die drei Schüler den Stausee. Für einen kurzen Moment ist der Knieschmerz, sind die lahmen Beine und die Erschöpfung vergessen. Da ist nur noch die Freude, das Gefühl, es geschafft zu haben. Nur wenige Schritte weiter treffen die drei auf den Rest ihrer Gruppe, der bereits Schlafplätze und Essen organisiert hat. Wieder sitzen sie im Schneidersitz im Kreis. "Die anderen haben echt was verpasst", sagt einer. "Jede Entscheidung wurde respektiert, wir haben immer zusammengehalten", sagt ein anderer.

Am Morgen danach geht es um 7 Uhr knapp 30 Kilometer zurück nach Bad Tölz. In den gesponserten Booten warten Essen und Trinken auf die Schüler, die Fahrt wird ein Highlight der Tour. In Wolfratshausen steigen sie in die Bahn. Es ist das Ende ihrer Reise und doch ein neuer Anfang: Aus den Schülern, die sich vor dem "Iron Run" größtenteils nicht kannten, ist eine Einheit geworden. Schon jetzt planen sie den nächsten Trip: 2019 wollen sie fünf Tage mit Booten auf der Isar paddeln. Dann aber mit Essen, Geld und Handy.

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