Zahlreiche Sozialorganisationen aus Bayern und dem restlichen Bundesgebiet sind gegen den Versuch Bayerns Sturm gelaufen, die Jugendhilfe-Standards für viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu senken. Der Widerstand zeigte keine Wirkung: Die Regierungschefs der Bundesländer haben auf ihrer Jahreskonferenz in Rostock beschlossen, dem Vorschlag der Staatsregierung zu folgen. Es gehe darum, "die Steuerungsmöglichkeiten zu verbessern und die Kostendynamik zu begrenzen", sagt ein Sprecher der Staatskanzlei auf Nachfrage. Die Länder müssten die Möglichkeit bekommen, "die Kosten für die Jugendhilfe-Maßnahmen mit steuern zu können". Bislang seien ihre Einwirkungsmöglichkeiten "äußerst begrenzt".
Deutlicher bringt es Sozialministerin Emilia Müller auf den Punkt: "Wir wollen steuern können, welcher junge Mensch welche Hilfe vom Staat bekommt." Es gleicht einer Kampfansage, wenn sie sagt: "In vielen Fällen braucht es zum Beispiel keine heilpädagogische Rundum-Betreuung, andere Hilfsangebote sind passgenauer und weniger aufwendig." Übersetzt heißt das, die Staatsregierung geht offenbar davon aus, dass Jugendhilfe-Einrichtungen auch jenen jungen Flüchtlingen das teuere Vollprogramm zugute kommen lassen, die es gar nicht brauchen. Gegen diesen Verdacht, über dessen Grundlage offiziell nichts verlautbart wird, wehrt sich die Wohlfahrtspflege.
Nicht die Träger, sondern die Jugendämter bestimmten, wer welche Jugendhilfe-Maßnahme benötigt.
Evangelische und katholische Jugendhilfeträger haben hierzu bereits Zahlen vorlegt. Demnach finden sich unter ihrem Dach gut 4600 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge, davon 1793 in Wohngruppen mit erhöhtem Betreuungsaufwand. Fast 3000 indes seien bereits in Wohnformen untergebracht, in denen die Betreuungsleistungen gering und damit kostengünstig seien. Dies sei dem Sozialministerium bekannt. Das Ministerium aber bleibt dabei: "Ein junger Mensch, der Wochen, wenn nicht gar Monate oder Jahre selbständig unterwegs war, braucht eine völlig andere Form der Unterstützung als zum Beispiel ein Jugendlicher, der aus schwierigen sozialen Verhältnissen in eine Einrichtung der Jugendhilfe kommt."
Insbesondere diese Formulierung stößt bei den Grünen auf Widerspruch - bis hinauf in die Bundesebene. "Die Staatsregierung unterstellt geflüchteten Kindern und Jugendlichen, sie seien pauschal selbständiger und reifer, weil sie eine Flucht geschafft haben", sagt die oberbayerische Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer, und das sei "unmenschlich und zynisch". Gerade diese Kinder und Jugendlichen litten "überdurchschnittlich oft an fluchtbedingten Traumata und psychischen Problemen bis hin zur Selbstmordgefährdung". Folglich bräuchten sie "nicht weniger, sondern mehr Jugendhilfe". Letztlich sei das im Interesse der gesamten Gesellschaft.
Auch Sozialministerin Müller betont indes, ihr gehe es gar nicht darum, die Versorgung junger Flüchtlinge zu verschlechtern. "Allerdings muss unser Hilfeangebot schon auch zu den jungen Menschen passen, denen wir es anbieten", sagt sie. Ihnen müsse Unterstützung zuteil werden, die sie weiterbringe auf dem Weg in ein selbständiges Leben in der neuen Heimat. "Hinzu tritt aber auch, dass wir verantwortlich mit unseren Steuermitteln umgehen müssen." Im Klartext: "Der Staat, der für ein Angebot zahlt, muss auch Möglichkeiten haben, Einfluss darauf zu nehmen, was mit staatlichen Mitteln tatsächlich an Leistungen gewährt wird."