Zwischen 70 und 80 Prozent eines Schülerjahrgangs in Bayern besuchen berufliche Schulen. Dennoch fühlen sich Vertreter dieses Bildungssegments in ihrer Bedeutung unterschätzt, gesellschaftlich nicht genug wahrgenommen, stiefkindlich behandelt. "Wenn ich sage, wo ich arbeite, höre ich oft: Oh Gott, du Arme", erzählt Sophia Altenthan, stellvertretende Leiterin einer Berufsfachschule für Kinderpflege in Regensburg. "Aber warum? Das sind tolle junge Leute." In einer Online-Pressekonferenz brachen Vertreter des Verbandes der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern (VLB) deshalb wieder einmal eine Lanze für ihre Einrichtungen, als Ausbildungs- wie auch als Arbeitsstätte.
Viele Gymnasiasten, angehende Studentinnen oder auch Studienabbrecher, glaubt Altenthan, hätten vom System der beruflichen Schulen keine rechte Vorstellung, zögen es also gar nicht als Alternative in Betracht, obwohl dort sämtliche allgemeinbildende Abschlüsse möglich sind, bis hin zur Zugangsberechtigung für Hochschulen. Das System in Bayern ist stark ausdifferenziert, es reicht von den Berufsschulen einschließlich jenen zur sonderpädagogischen Förderung über Angebote zur Berufsvorbereitung, die Berufsfachschulen, Wirtschaftsschulen, Fach- und Berufsoberschulen bis hin zu den Fachschulen und Fachakademien. Insgesamt werden dort mehr als 400 000 junge Menschen in einer Vielzahl unterschiedlicher Bildungsgänge in den Fachrichtungen Wirtschaft, Technik, Bekleidung, Farb- und Raumgestaltung, Gesundheit und Körperpflege, Ernährung und Hauswirtschaft bis hin zur Agrarwirtschaft von rund 33 000 Lehrkräften unterrichtet. "Wir bilden die Fachkräfte von morgen für die Arbeitswelt aus", betont VLB-Landesvorsitzender Pankraz Männlein, zur Behebung des allseits beklagten Fachkräftemangels aber "müssen wir gut aufgestellt sein".
Mangel an Lehrkräften ist absehbar
Und da hapert es nach Ansicht der Verbandsvertreter an vielen Stellen, vom Zustand der Gebäude über die technische Ausstattung bis zum Personal; die Klagen ähneln denen aus anderen Schultypen durchaus. Zu wenig Lehrkräfte, nennt Siegfried Hummelsberger, VLB-Referent und Leiter einer Technikerschule, als eines der großen Probleme. Seit Jahren könnten manche Lehrkräfte kaum mehr ihren Pflichtunterricht stemmen, einer noch unveröffentlichten Studie zufolge werden in den kommenden Jahren deutschlandweit bis zu 6000 Lehrkräfte fehlen. An der Bezahlung kann es kaum liegen, ein Berufsschullehrer verdient dasselbe wie eine Gymnasiallehrerin. Mittlerweile gibt es zwar die Möglichkeit des Quereinstiegs für Beschäftigte aus der Wirtschaft, unter Umständen mit verkürztem Referendariat, aber die ideale Lösung sieht Hummelsberger darin nicht - "warum sollte sich jemand dann noch ein jahrelanges Lehramtsstudium plus Referendariat antun?", fragt er.
Auch die kontinuierliche Belastung mache den Lehrern zu schaffen. Sophia Altenthan fordert deshalb eine Lehrer-Reserve, die es bisher nicht gibt, sowie die Reduzierung der Pflichtunterrichtsstunden. Denn zum Kerngeschäft des Unterrichtens komme die Beratung der Schüler hinzu, zahlreiche Verwaltungs- und Organisationsaufgaben und natürlich - durch die Pandemie befeuert - die Fortbildung in digitaler Kompetenz. Dass die Corona-Krise den längst nötigen "digitalen Schub" gebracht habe, sei einerseits zwar erfreulich, merkt Hummelsberger an, aber es mangele an professioneller IT-Unterstützung und an Klarheit, wer die Kosten übernimmt. Gerade beim wichtigen Thema EDV-Betreuung seien die Zuständigkeiten zwischen den für den Sachaufwand zuständigen Kommunen und dem fürs Personal zuständigen Freistaat nicht klar geregelt. Das führe zu langen Beschaffungszeiten oder gar dazu, dass Mittel nicht abgerufen werden.
Die wenigen Prüfungstermine sind ein Problem
Wie alle Schulen hat Corona auch die beruflichen Schulen auf eine harte Belastungsprobe gestellt: Schüler, die aus fünf, sechs verschiedenen Landkreise zur Schule kommen, zu dreißigst in einer Klasse sitzen und dann wieder zurück in ihre Betriebe gehen - das sicher zu gestalten, sei schon "eine Herkulesaufgabe", merkt VLB-Sprecher Jörg Neubauer an. Vieles ist über Distanzunterricht gelaufen, aber in manchen Bereichen eben auch nicht - wie soll beispielsweise eine angehende Augenoptikerin ihrer Kundin digital eine Brille anpassen, eine künftige Kinderpflegerin nur am Bildschirm üben? Ein weiteres Problem sei die Leistungsbewertung. Der VLB begrüßt es, dass das Ministerium den Schulversuch "Prüfungskultur innovativ" auf den Weg gebracht hat. Leider seien die beruflichen Schulen dabei bislang nicht berücksichtigt. Pankraz Männlein verweist noch auf ein weiteres Problem. Die Abschlussprüfungen an den Kammern finden nur jedes halbe Jahr statt, Nachprüfungstermine werden nicht angeboten. Wer jetzt im Dezember verhindert ist, sei es wegen Corona oder aus anderen Gründen, müsse bis zum nächsten Juli warten.