Berufsausbildung:Im zweiten Anlauf zur Karriere

Berufsausbildung: Sarah Maier (li.) wird den Frisiersalon von ihrer Chefin Bianca Koppauer (re.) übernehmen. Ursprunglich wollte sie Kinderpflegerin werden.

Sarah Maier (li.) wird den Frisiersalon von ihrer Chefin Bianca Koppauer (re.) übernehmen. Ursprunglich wollte sie Kinderpflegerin werden.

(Foto: Claus Schunk)

Im September beginnt das Ausbildungsjahr, noch immer sind in Bayern Tausende Lehrstellen unbesetzt. Dabei gibt es durchaus viele Jugendliche mit großem Potenzial, die trotzdem nicht eingestellt werden

Von Maximilian Gerl, Rosenheim/Kolbermoor

Anfangs lief alles gut. Die mittlere Reife hatte Stefan Misselhorn erst im zweiten Anlauf geschafft, aber die Ausbildung zum Mechatroniker gefiel ihm. Bis sich sein Chef mit einem Gesellen überwarf, diesem kündigte und Lehrling Misselhorn fortan alleine zum Kunden schickte. Dabei fehlte ihm das Können, die Erfahrung. Ging etwas schief, musste er als Sündenbock herhalten. Nach dem ersten Jahr hielt es Misselhorn nicht mehr aus. Er kündigte und versuchte, die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortzusetzen. Er schrieb 40 Bewerbungen. Die meisten Firmen machten sich nicht mal die Mühe, ihm eine Absage zu schicken.

Immer dann, wenn im September die Ausbildungssaison beginnt, werben Betriebe bis zum Schluss um Azubis. Diesmal waren Ende August bayernweit rund 32 000 Stellen offen. Die Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern befürchtet eine "Rekord-Bewerberlücke".

Eigentlich müsste es für junge Menschen leicht sein, einen Ausbildungsplatz zu finden. Trotzdem rutschen einige von ihnen durchs Raster, weil ihre Schulnoten nicht stimmen. Weil ein Abschluss fehlt. Weil der Lebenslauf Lücken aufweist. Weil sie eine andere Ausbildung abgebrochen haben. Wer auf dem ersten Arbeitsmarkt versagt, bekommt von der Wirtschaft oft keine zweite Chance.

Es sind relativ wenige, die durchs Raster rutschen. Aber schon das ist paradox

So wie Misselhorn. Niemand wollte ihn einstellen. "Ich wusste nicht mehr weiter", sagt der 22-Jährige heute. "Man fühlt sich als Verlierer abgestempelt." Die Arbeitsagentur schickte ihn schließlich in die Jugendwerkstatt Rosenheim, dort sollte er eine Ausbildung zum Fachpraktiker für Holzverarbeitung beginnen. Die Diakonie betreibt die Jugendwerkstatt, sie hat eigene Werk- und Schulungsräume. "Es sollte mehr solche Programme geben", sagt Misselhorn.

Laut der Regionaldirektion der Arbeitsagentur galten im Juli fast 58 000 junge Bayern zwischen 15 und 25 Jahren als arbeitssuchend. Allerdings gibt es jeden Sommer viele Schulabgänger, die kurzzeitig ohne Ausbildungsplatz oder Job sind. Tatsächlich arbeitslos gemeldet waren von den Arbeitssuchenden rund 26 000 Jugendliche. Von diesen wiederum hatten nur 12 633 Personen keine Ausbildung abgeschlossen. Es sind also relativ wenige, die durchs Raster rutschen. Aber schon das ist paradox, die Wirtschaft boomt und bräuchte die jungen Menschen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Und es ist paradox, weil die Arbeitsämter tatsächlich viel versuchen. Allein von Januar bis April haben fast 25 000 junge Menschen in Bayern eine sogenannte arbeitsmarktpolitische Maßnahme begonnen: So sollen sie die zweite Chance erhalten, die ihnen der freie Markt nicht gibt.

Die Programme geben keine Garantie auf Erfolg, aber den Jugendlichen eine Perspektive

Wie das funktioniert, kann man in Rosenheim beobachten. Die Arbeitsagentur teilt die Jugendlichen verschiedenen Trägern zu. Dort treffen sie auf Menschen wie Cathrin Bruck vom Beruflichen Fortbildungszentrum der Bayerischen Wirtschaft. Sie entscheidet, welche Form der Ausbildung am besten geeignet ist. "Viele brauchen anfangs noch einen geschützten Rahmen", sagt sie. In der integrativen Ausbildung absolvieren die Jugendlichen daher ihr erstes Lehrjahr im hauseigenen Ausbildungsbetrieb, wo es neben Ausbildern auch Pädagogen gibt. Ab dem zweiten Lehrjahr werden sie langsam an die Arbeit in den Betrieben herangeführt. Die zweite Variante nennt sich kooperative Ausbildung: Die Jugendlichen verbringen dabei ihre gesamte Ausbildung in verschiedenen Betrieben und Berufen.

So war das auch bei Sarah Maier. Mit 16 Jahren ging sie ohne Abschluss von der Schule ab, "ich wusste nicht, was ich machen wollte", sagt die heute 22-Jährige. Ein erster Berufswunsch, Kinderpflegerin, zerschlug sich, weil Maier zwei Jahre lang auf einen Platz an der Berufsschule hätte warten müssen. Zu lange. Über einen Träger absolvierte sie Praktika in mehreren Berufen, immer einen Monat lang, sie sollte herausfinden, was ihr Spaß macht. Mit dem Gedanken, in einem Friseursalon zu arbeiten, konnte sie sich anfangs schwer anfreunden. Inzwischen ist sie geprüfte Friseurin. "Die Ausbildung war manchmal richtig anstrengend", erzählt sie, "aber jetzt ist das mein Traumberuf, ich mache den mit Leidenschaft." Ihre Chefin Bianca Koppauer sagt, Sarah hänge sich in die Arbeit rein. "Der Anfang war ein bisschen holprig. Aber jetzt würde sie auch abends um zehn noch im Laden stehen."

Die Arbeitsagentur Rosenheim und ihre Träger sind mit dem Ergebnis ihrer Mühen zufrieden: Allein dieses Jahr haben sie rund 50 jungen Menschen, die der Markt schon abgeschrieben hatte, einen Abschluss ermöglicht. Die Arbeitsagentur finanziert die Mühen gern, schließlich wäre die Alternative, dass die Jugendlichen in die Dauerarbeitslosigkeit abrutschen. "Es zeigt sich immer wieder, dass Schule nicht jedermanns Sache ist", sagt Geschäftsführer Jakob Grau. "Aber wenn es dann in die Praxis geht, funktioniert es plötzlich." Gerade das Handwerk biete viele attraktive Berufe, auch finanziell: "Es gibt Handwerker, die verdienen mehr als so mancher Akademiker."

Manche scheitern auch bei ihrer zweiten Chance. Arbeitsämter und Träger können nur helfen, wenn sich die jungen Menschen helfen lassen wollen, wenn sie zum Beispiel nicht ständig die Berufsschule schwänzen. "Man muss den Jugendlichen verdeutlichen, dass die Berufsschule genauso wichtig ist wie die praktische Arbeit", sagt Bruck: Beide seien Bestandteile der Ausbildung und würden am Ende geprüft. "Nur so führt die Ausbildung zum Erfolg. Eine abgeschlossene Ausbildung ist ein guter Start in die Zukunft."

Die Förderprogramme geben keine Garantie auf Erfolg, aber immerhin eine Perspektive. Bestenfalls geht alles gut aus. Stefan Misselhorn wechselte nach seinem ersten Lehrjahr in die anspruchsvollere Schreinerausbildung. In einer Abschlussprüfung holte er 100 von 100 Punkten. Sein Ausbilder sagt: "Das ist eigentlich unmöglich." Misselhorn hat jetzt einen festen Arbeitsvertrag in der Tasche und wird zukünftig Boote reparieren.

Maiers Chefin will mehr Zeit für die Familie haben und ihren Salon verkaufen. "Ich habe lange überlegt, wem ich das Geschäft übergeben soll", sagt Koppauer. Es gab mehrere Bewerber, einem hatte sie schon zugesagt und sagte wieder ab. Dann war sie sich sicher: Maier soll ihre Nachfolgerin werden. Von Oktober an wird sie den Laden führen. "Sarah war die ganze Zeit da, sie kennt unsere Kunden und weiß, wie alles funktioniert. Sie hat es verdient."

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