Amtsgericht RosenheimFreispruch für Aktivistin für Gefangenenrechte

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Auch hinter dem Bernauer Gefängnistor sind offenbar meistens allerlei Drogen erhältlich. Substitutionspräparate soll es dort lange Zeit auch nur auf dem Hof gegeben haben.
Auch hinter dem Bernauer Gefängnistor sind offenbar meistens allerlei Drogen erhältlich. Substitutionspräparate soll es dort lange Zeit auch nur auf dem Hof gegeben haben. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Claudia Jaworski wollte ihrem drogenkranken Bruder in der JVA Bernau helfen, weil ihm dort von den Ärzten die Substitution verweigert wurde. Das hatte sie öffentlich angeprangert, und ein Satz brachte ihr eine Anklage wegen Verleumdung ein. Das Gericht sieht bei ihr kein Vergehen.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Geht es am Ende um einen einzelnen Satz oder um ein ganzes System? Darauf scheint sich in den Plädoyers vor dem Rosenheimer Amtsgericht am Dienstagnachmittag alles zuzuspitzen. Hat also Claudia Jaworski womöglich nicht ganz exakt und wortwörtlich zitiert, als sie öffentlich angeprangert hat, dass die Anstaltsärzte im Gefängnis in Bernau am Chiemsee ihrem Bruder eine Drogensubstitution vorenthalten und ihn stattdessen aufgefordert hätten, sich das, was er brauche, eben beim Hofgang zu besorgen? Nur darum gehe es, sagt die junge Staatsanwältin und fordert, Jaworski wegen Verleumdung der beiden Mediziner zu einer Geldstrafe zu verurteilen. Nein, es gehe nicht um einen einzelnen Satz, sondern um ein System, das drogenkranken Gefangenen die nötige Behandlung vorenthalten habe, sagen Jaworski und ihr Verteidiger, der Freispruch fordert. Der Richter spricht sie tatsächlich frei, doch ein Urteil über ein solches System spricht er dabei nicht.

Claudia Jaworski habe die Behauptung nicht einfach leichtfertig und nur aufgrund der Erzählungen ihres Bruders aufgestellt. So lässt sich die Urteilsbegründung des Richters zusammenfassen. Sondern sie habe recherchiert und habe sich kundig gemacht im Fall ihres Bruders und danach in vielen anderen, ähnlichen Fällen. Wenn sie eine Aussage, die in einem Gespräch nur zwischen ihrem Bruder und einem Anstaltsarzt gefallen sein soll, selbst beweisen müsste, dann hieße das für den Richter, das Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ außer Kraft zu setzen.

Für Claudia Jaworski ist so ein Freispruch eine neue Erfahrung. Erst vor einigen Monaten hat derselbe Richter ihren Bruder in derselben Sache zu einer Geldstrafe verurteilt. Demnächst wird sich das Landgericht Traunstein als zweite Instanz damit befassen müssen, so wie es auch den ursprünglichen Fall noch einmal aufrollen muss.

Der nahm auch im Amtsgericht Rosenheim seinen Ausgang. Hier wurde Jaworski, die über all dem zur Aktivistin für Gefangenenrechte geworden ist und deswegen auch als Angeklagte namentlich genannt werden will, 2021 zum ersten Mal zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie hat für ihren Bruder zwei Tabletten des Medikaments Subutex in die JVA Bernau geschmuggelt, um dessen Entzugserscheinungen zu lindern. Das Medikament hatte der Bruder zuvor in Freiheit schon erhalten, es sollte das Heroin ersetzen, nach dem er seit seinem 17. Lebensjahr süchtig war. Doch die Übergabe bei einem Besuch flog auf, und die Justiz machte sich an die Strafverfolgung.

Das Landgericht Traunstein hat den Rosenheimer Schuldspruch im Prinzip bestätigt, doch dagegen legten sowohl Jaworski als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das Bayerische Oberste Landesgericht gab beiden Anträgen statt und verwies die Sache zurück nach Traunstein. In dieser Situation sollte mit dem Verleumdungsprozess, den der Leiter der JVA Bernau durch eine entsprechende Anzeige losgetreten hatte, die Glaubwürdigkeit Jaworskis und ihres Bruders in Zweifel gezogen werden, so vermuten es Jaworski selbst und ihr Anwalt.

Die beiden inzwischen pensionierten Anstaltsärzte treten im Verleumdungsverfahren erstmals als Zeugen auf und lassen wenig Zweifel daran, dass sie der Substitution kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, so wie es lange die Linie war im bayerischen Strafvollzug. Nur einer von ihnen verfügte über die zusätzliche medizinische Expertise für solche Ersatztherapien. Er habe auch substituiert, wenn er es für notwendig und für langfristig aussichtsreich gehalten habe, sagt er als Zeuge. Eine grundsätzliche Verweigerung habe es nicht gegeben, und speziell der umstrittene Satz mit dem Hofgang sei nie gefallen.

Wie in vielen Gefängnissen haben auch in Bernau mehr als die Hälfte der Häftlinge ein Suchtproblem, sagt der andere Arzt, etwa ein Drittel seien von Betäubungsmitteln abhängig. Inzwischen wird auch in Bernau viel mehr substituiert als früher, die JVA hat dafür mittlerweile eigene Räume eingerichtet.

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