Bericht des Verfassungsschutz:Neonazis radikalisieren sich weiter

Die rechtsextreme Szene in Bayern rückt von der NPD ab, weil ihr der Kurs der Partei zu gemäßigt erscheint. Der Verfassungsschutzbericht registriert zudem eine verstärkte Propaganda radikaler Islamisten.

Oliver Hollenstein

Die Neonazi-Szene organisiert sich neu und wird offensiver, Rockergangs haben massiven Zulauf und immer mehr Prediger des radikal-islamischen Salafismus verbreiten in bayerischen Moscheen ihre Propaganda. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat am Freitag in München den Verfassungsschutzbericht für das erste Halbjahr 2012 vorgestellt. Er kündigte an, vor allem die Köpfe der Rechtsextremisten in Zukunft stärker ins Visier zu nehmen - und bekam dafür Lob aus der Opposition: "Ich freue mich darüber, dass die Staatsregierung nicht mehr so blind auf dem rechten Augen zu sein scheint wie früher", sagte SPD-Extremismusexperte Franz Schindler. Die SZ dokumentiert die wichtigsten Erkenntnisse der Verfassungsschützer:

Polizei verhindert Rocker-Auseinandersetzung

Die Rockergangs Bandidos und Hells Angels üben derzeit offensichtlich eine gewisse Faszination aus.

(Foto: dpa)

Rechtsextremismus

Manchen Neonazis ist selbst die NPD nicht radikal genug", beschrieb Herrmann die Situation in der rechtsextremen Szene.

In den vergangenen Monaten hat die Partei nach Informationen der Verfassungsschützer viele Mitglieder an informell organisierte Kameradschaften verloren. Grund sei der Kurs des neuen Bundesvorsitzenden Holger Apfel, der die Partei mit seinem Plan der "seriösen Radikalität" von freien Neonazi-Gruppen distanzieren will. In der Oberpfalz und Franken seien daraufhin ganze Bezirksverbände aus der NPD ausgetreten, berichten die Verfassungsschützer. Unter anderem hätte sich kürzlich beispielsweise eine Gruppe um den Nürnberger Stadtrat Sebastian Schmaus von der Partei losgesagt.

Statt sich an den Strukturen der NPD zu orientieren, organisieren sich die Neonazis in Bayern laut Verfassungsschutz inzwischen zunehmend in überregionalen Netzwerken wie dem Freien Netz Süd, dem inzwischen bis zu 150 Neonazis angehören. Diese Kameradschaften würden sich häufig um eine Führungsfigur gruppieren, wie etwa den bereits mehrfach wegen Volksverhetzung und Bedrohung verurteilten rechtsextremen Aktivisten Martin Wiese, sagte Herrmann. Diese "markanten Köpfe" will der Verfassungsschutz deswegen künftig genauer beobachten. Dafür wurde im Verfassungsschutz ein eigenes Team gegründet.

Auch sonst wurde als Konsequenz aus den fünf Morden des Zwickauer Nazi-Trios in Bayern der Verfassungsschutz umorganisiert. So ist der Verfassungsschutz jetzt eine eigene Abteilung im Innenministerium, außerdem gibt es ein neues, gesondertes Referat zum Rechtsextremismus.

Nach Ansicht der Verfassungsschützer hat sich die Mordserie positiv für die rechtsextreme Szene ausgewirkt. Zum einen seien die Mitgliederzahlen der freien Kameradschaften in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Zum anderen trete die Szene in jüngster Zeit zunehmend offensiv auf und habe im Frühjahr Kundgebungen in mehreren Städten gehalten. Ein Lichtblick sei lediglich die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten: Sie blieb mit 23 fast auf dem Niveau des Vorjahres.

Rockerkriminalität

Zunehmende Eskalation der Gewalt

Mehr als 300 neue Mitglieder hat die bayerische Rockerszene in den vergangen sechs Monaten rekrutieren können. Insgesamt zählen die Verfassungsschützer nun 1500 Rocker bei den verfeindeten Motorradgangs Hells Angels und Bandidos sowie diversen Unterstützerclubs. "Die Clubs üben derzeit offensichtlich eine gewisse Faszination aus", sagte Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner im Hinblick auf die zunehmende Eskalation der Gewalt zwischen den Hells Angels und den Bandidos in Norddeutschland.

In Bayern sei die Situation aber noch weitgehend ruhig geblieben, betonten Hermann und Körner. In Bamberg wurde ein Mitglied der Bandidos von einem offensichtlich verfeindeten Rocker niedergestochen. In Fürstenfeldbruck schlugen zwei Bandidos ein Mitglied der Gringos MC brutal zusammen. Der Grund für die "relative Ruhe" sei, dass viele Mitglieder beider großer Clubs früher zur Rockergruppe Gremium MC gehört hätten, sagte Körner. "Die Leute kennen sich und das führt zu Hemmungen in der Konfliktsituation."

Derzeit gruppieren sich laut Verfassungsschutz aber zunehmend neue Mitglieder aus der Kampfsport- und Türsteherszene. Außerdem machen neue Gruppen wer Median Empire MC in Nürnberg und der Vendetta MC und rockerähnliche Gruppen den etablierten Clubs Gebietsansprüche streitig. Konflikte seien nicht auszuschließen, sagte Hermann. "Die potenzielle Gefahr ist uns bewusst."

Islamistischer Extremismus

Mit zunehmender Sorge betrachten die Verfassungsschützer auch die verstärkte Propaganda von radikalen Islamisten in Bayern. In den vergangenen Monaten hätten ultrakonservative, salafistische Prediger deutlich mehr Vorträge in Bayern gehalten, unter anderem in Moscheen in München, Augsburg, Regensburg und Bayreuth, sagte Hermann. Seit Herbst 2011 würden die Salafisten außerdem an Infotischen in Fußgängerzonen Koranexemplare verteilen.

Zwar sei die Missionierung an sich noch nicht strafbar, sagte Herrmann, aber oftmals würden die Prediger diese Situation zum Einstieg nutzen. "Die Indoktrination bei Salafismus-Veranstaltungen führt in vielen Fällen dazu, dass sich Teilnehmer massiv radikalisieren." Bei bisher bekannten Planungen und Anschlägen von Islamisten habe der Salafismus immer den "geistigen Nährboden" geliefert.

Derzeit werden in Bayern rund 450 Menschen der Bewegung zugerechnet. Auch bei gewalttätigen Übergriffen von Salafisten auf Polizisten in Bonn im Mai waren laut Verfassungsschutz bayerische Islamisten beteiligt. "Das betrachten wir mit zunehmender Sorge", sagte Körner.

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