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Bergsteiger Michi Wärthl:"Ich hatte immer das Quäntchen Glück"

Mit 24 hat er ohne künstlichen Sauerstoff den K2 bestiegen, jetzt bildet er Bergführer aus: Michi Wärthl gehört zu den besten Allroundbergsteigern der Welt - und kennt brenzlige Situationen.

Von Daniela Bode

Lebensgefahr? Das ist keine Angelegenheit, bei der Michi Wärthl besonders nervös wird. "Das kommt zwangsläufig, dass man in brenzlige Situationen gerät. Ich vergleiche das immer mit dem Autofahren, da passiert das genauso", sagt er. Michi Wärthl ist Extrembergsteiger und Bergführer - und eine brenzlige Situation sieht für ihn so aus: Kurz vor dem Gipfel eines Sechstausenders umzudrehen, weil das Seil nicht mehr reicht. Oder mit dem Abstieg zu warten, weil ein Gewitter aufzieht.

Diese richtige Mischung aus Optimismus und Realismus hat Wärthl weit gebracht. Er gilt als einer der besten Allroundbergsteiger der Welt. Als 24-Jähriger hat er ohne künstlichen Sauerstoff den K2, mit 8611 Metern der zweithöchste Berg der Welt, bestiegen. Bis heute war er nach eigener Aussage der jüngste Bergsteiger, dem das gelungen ist.

Kritische Situationen gehören dazu

Lange Haare, kräftige Hände, wie sie typisch bei Kletterern sind, dunkelblaues Kapuzen-T-Shirt. Der 45-Jährige sitzt am dunklen Holztisch in der offenen Küche seines Hauses in Neubiberg und erzählt, dass kritische Situationen in seinem Beruf immer wieder vorkämen. Er selbst sei in Chamonix zweimal in lebensgefährlichen Situationen gewesen. Einmal trat ein Bergsteiger über ihm einen Felsblock los, der nur knapp seinen Kopf verfehlte und ihn am Oberarm streifte. "Ich hatte immer das Quäntchen Glück oder habe die richtige Entscheidung getroffen", sagt er.

Als er als Leiter eine Gruppe auf den 7129 Meter hohen Baruntse in Nepal führte, wollten sie auf einer Höhe von mehr als 6000 Metern ihr zweites Lager aufstellen. "Es hatte ein paar Tage geschneit, es war mir zu gefährlich und ich entschied, dass wir absteigen." Eine andere Gruppe stieg nach einer Pause weiter auf - ein Teilnehmer verunglückte tödlich.

Einige der schwierigsten Berge der Welt bestiegen

Vor fast 30 Jahren hat Wärthl das Bergsteigen und Reisen als seine beiden Leidenschaften entdeckt. Er ging schon als Kind oft mit seinem Bruder und den Eltern in Österreich wandern. Richtig gepackt hat ihn die Leidenschaft dann mit 16 Jahren, als er mit der Sektion Hochland vom Deutschen Alpenverein (DAV) die Berge in der Türkei erkundete. Dann gab es kein Zurück mehr. Nach dem Abitur verbrachte er drei Monate in Südamerika, er bestieg seine ersten Sechstausender, den Nevado Illimani und den Huyna Potosí. Mit 24 Jahren, nach dem Abschluss seines Feinwerktechnikstudiums, folgte der K2. Heute hat er den Gasherbrum II, den Nanga Parbat, den Cerro Torre und viele andere Gipfel erklommen - einige der schwierigsten Berge der Welt.

Seit einiger Zeit besteigt Wärthl die Berge nicht mehr nur für sich selbst, er hat seine Passion zum Beruf gemacht. "Ich kann vom Bergsteigen leben. Ich hatte Glück", sagt er. Als Bergführer begleitet er Menschen auf Gipfel in der ganzen Welt. Und er hat Sponsoren, die ihn ausrüsten und unterstützen. Er begleitete Bergsteigergruppen beispielsweise mehrmals auf die Eiger-Nordwand und viele hohe Wände der Alpen.

2014 gelang ihm mit einem langjährigen Kunden eine der wenigen geführten Besteigungen des 6543 Meter hohen Shivling im Himalaja-Gebirge. Zudem bildet er beim DAV Bergführer und Trainer aus, bald auch für den Expeditionskader des DAV. Zu Hause in Neubiberg, wo er mit seiner Frau wohnt und bis zuletzt mit seinen beiden Söhnen - der Ältere ist nun zum Studieren ausgezogen - ist er nur an 100 Tagen im Jahr anzutreffen.

Regelmäßig hält er auch Vorträge über seine Expeditionen und gibt Teambuilding-Seminare für Firmen. Am Mittwoch, 25. November, beispielsweise wird er in der Grundschule Neubiberg die Zuschauer in einem Multivisionsvortrag an die schönsten und schwierigsten Gipfel der Welt wie den K2 und den Nanga Parbat entführen.

Mit den eigenen Ängsten umgehen

Warum er immer wieder den Nervenkitzel sucht? "Ich brauche es nicht besonders gefährlich", sagt er. "Aber es ist schon eine Herausforderung, mit den eigenen Ängsten umzugehen." Angst hatte er dabei schon einmal, als er den Gipfel bereits erreicht hatte. "Als ich auf dem K2 stand, wollte ich nur so schnell wie möglich wieder runter, weil es so fordernd war, und ich mir nicht sicher war, ob das abwärts wieder so gut geht. Es ist nur die halbe Miete, heil raufzukommen."

Erst als er auf seinem dritten Achttausender stand, dem Gasherbrum II, konnte er sich am Gipfel entspannen. Er hatte eine Gruppe mit zwölf Personen nach oben geführt. "Da ging es allen gut", sagt er.

Seine Familie hat sich mit seinem gefährlichen Beruf arrangiert. "Die Expeditionen sind speziell, sonst haben sie sich dran gewöhnt", sagt er. "Die Phase vor dem Gipfel und die Expeditionen sind schon immer besonders, daran kann man sich nicht gewöhnen", bestätigt seine Frau Simone. Eine Expedition wie zum K2 dauert mindestens zwei Monate. Wärthl steht dann per Satellitentelefon mit der Familie in Kontakt. "Normalerweise wissen sie, wann die heiße Phase beginnt und wann ich mich wieder melde", sagt er.

Der Traum vom Mount Everest

Im kommenden Jahr ist Wärthl bereits für eine Expedition gebucht. "Wenn sie stattfindet, bin ich im Mai auf dem Satopanth in Indien."

Privat unternimmt Wärthl momentan keine Expeditionen. "Je nach Ziel kostet das 10 000 bis 25 000 Euro. Außerdem habe ich ja eine Familie zu ernähren", sagt er. Einen Traum hätte er allerdings schon. Irgendwann den Mount Everest zu besteigen. Natürlich ohne künstlichen Sauerstoff.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2015/vewo
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