Berghütte in Grainau:Die Hölle trägt jetzt Pultdach

Berghütte in Grainau: Schöne neue Hüttenwelt: So sieht sie also aus, die neu gebaute Höllentalangerhütte. Außen ist sie nun mit Lärchen-Schindeln verkleidet.

Schöne neue Hüttenwelt: So sieht sie also aus, die neu gebaute Höllentalangerhütte. Außen ist sie nun mit Lärchen-Schindeln verkleidet.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Sektion München des Deutschen Alpenvereins nimmt die komplett neu gebaute Höllentalangerhütte in Betrieb.
  • Die alte Hütte war baufällig und bei den Sanitäranlagen minderwertig ausgestattet.
  • Die Höllentalangerhütte ist kein Einzelfall. Viele der 326 Hütten der insgesamt mehr als 350 Sektionen des DAV haben ein ähnliches Alter.

Von Heiner Effern, Grainau

Thomas Gesell spricht nur von der Hölle, wenn er über seine Arbeit der vergangenen zehn Jahre erzählt. Er hat sie unterhalb der Zugspitze abreißen lassen, und er hat sie dort wieder neu aufbauen lassen. Am vergangenen Samstag hat er dann ein paar Tränen verdrückt, als er mit seinem Schwager den Fahnenmast aufgestellt hat, der allen potenziellen Gästen zeigt, dass die Hölle nun im Probebetrieb wieder geöffnet ist. An diesem Wochenende wird es nun offiziell: Die Sektion München des Deutschen Alpenvereins nimmt die komplett neu gebaute Höllentalangerhütte in Betrieb. Nicht nur Hüttenreferent Thomas Gesell ist am Ende eines langen Weges angekommen. "Zwischendurch gab es mal wenige Leute, die daran geglaubt haben, dass das noch was wird."

Bauen am Berg ist selbsterklärend kompliziert, für den Neubau mussten zum Beispiel etwa 650-mal Hubschrauber Material hinauffliegen. Wenn aber eine Sektion eine äußerst beliebte, mehr als 100 Jahre alte Hütte mit all ihrem Charme und ihrer Patina abreißt und dafür einen Neubau hinstellt, geht das nicht geräuschlos, sondern in etwa so tosend, wie sich der Hammersbach die Höllentalklamm hinabstürzt. Zu den Knallern gehörten zum Beispiel: ein Genehmigungsverfahren, das sich über Jahre hinzog. Eine Petition von Hütten-Traditionalisten, die den Neubau verhindern wollten. Ein vermeintlicher Umweltskandal beim Entsorgen von Bauschutt, den es jedenfalls strafrechtlich gesehen nicht gab. Den Vorwurf, ein Luxus-Berghotel zu bauen.

Es fehlt das klassische Satteldach

Doch nun liegt sie da im Kessel des Höllentalangers, die neue Hütte, auf 1387 Metern Höhe. Lang gestreckt duckt sie sich an den Hang, der von der Alpspitze herabreicht. Drei Geschosse ziehen sich treppenartig nach oben. Außen sind die Wände mit Lärchen-Schindeln verkleidet. Es fehlt nicht nur jede Lüftlmalerei, sondern auch das klassische Satteldach. Die obere Etage deckt ein flaches Pultdach. Die hintere Fassade wurde bis zum Hang aufgeschüttet. Nicht weil die DAV-ler Licht aus Dachfenstern so modern finden, sondern wegen des Lawinenschutzes. Der habe auch die ungewöhnliche äußere Form vorgegeben, sagt Architekt Stefan Zehl, der nicht als Revoluzzer rüberkommen will, der endlich mal den Hüttenstil der Vorfahren aufmischt. "Jedes Gebäude entsteht aus dem Bauort. Den muss man lesen."

Aus der Lektüre ist ein Bauwerk entsprungen, das die ersten Gäste jedenfalls begeistert. Wie zum Beispiel Stephan Gruber aus Schwaben, der an einem der neuen Holztische im großen Gastraum sitzt und sich nach der Brotzeit ein Getränk schmecken lässt. Schon lange Zeit kommt er jedes Jahr einmal auf die Hölle, wenn er weiter die Zugspitze besteigt oder als Wanderer die Klamm heraufkommt. "Das passt super, einwandfrei", sagt er. Gruber kannte auch die alte Hütte, "richtig urig war die", aber er findet: "Man darf auch mal was Neues machen."

Berghütte in Grainau: Gemütlich: der neue Gastraum.

Gemütlich: der neue Gastraum.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Wir versuchen zu sanieren, wo es möglich ist"

Man musste sogar. Die alte Hütte war so baufällig und bei den Sanitäranlagen so minderwertig ausgestattet, dass sie nicht mehr zu retten war. Am 16. September 2013 wurde mit dem Abriss des 1893 erbauten Hauses begonnen. Doch die Hölle ist kein Einzelfall. Viele der 326 Hütten der insgesamt mehr als 350 Sektionen des DAV haben ein ähnliches Alter. "Wir versuchen zu sanieren, wo es möglich ist. Ein Ersatzbau ist allein von der Umweltbilanz immer die letzte Option", sagt Xaver Wankerl, Architekt und Hüttenexperte in der Bundesgeschäftsstelle. Er sieht die einzelnen Sektionen vor einer enormen Herausforderung. "Jedes Jahr müssen insgesamt etwa zehn bis zwölf Millionen Euro in die Hütten investiert werden."

Nicht jede Sektion ist so potent wie die Sektionen München und Oberland, die sich unter dem Label DAV Plus zusammengeschlossen haben. Mehr als 150 000 Mitglieder bringen sie in eine Position, auch die etwa zwei Millionen Euro für den Neubau stemmen zu können. Weitere zwei Millionen zahlt der Landesverband und noch einmal zwei Millionen Kredit steuert die Bundeszentrale bei. Hüttenreferent Gesell glaubt, dass die Sektionen gerade bei Bauten und Sanierungen komplett neu denken müssen. Weg von der "Warzenarchitektur", wie er den immer neuen Anbau und Umbau der Hütten nennt. Hin zu mutigen Sanierungen bis zu Neubauten. "Der DAV schiebt bei den Hütten insgesamt einen Investitionsstau von 190 Millionen Euro vor sich her", sagt Gesell. Auch weil das Gebäudemanagement unzureichend sei. Der Alpenverein baue seit 150 Jahren Hütten im Gebirge, "weiß aber immer noch nicht, wie das geht. Nicht weil die Leute es nicht können, sondern weil es keinen Wissenstransfer gibt. Jeder bastelt für sich hin".

Erste lobende Worte von Gästen

Das liegt auch daran, dass die Sektionen extrem selbständig sind. Sie können sich als Bauherren von der Zentrale beraten lassen, müssen aber nicht. Und wenn die Münchner und Oberlandler Weisheiten von sich geben, kommt auf dem Land gerne Misstrauen auf, dass diese Großkopferten am liebsten alles selbst machen wollen. Und im Zweifel auch dem Kommerz nicht abgeneigt sind. Deshalb freuen Hüttenreferent Gesell die ersten lobenden Worte von Gästen. Er und Architekt Zehl mussten sich einiges anhören. Tenor: Hier sind die Totengräber der Hüttengemütlichkeit am Werk. Etwa 5000 Menschen unterschrieben eine Online-Petition. Heute mag die Initiatorin dazu nichts mehr sagen.

Berghütte in Grainau: Die neuen Mehrbettzimmer sind ebenso wie der Gastraum in hellem Fichtenholz gehalten.

Die neuen Mehrbettzimmer sind ebenso wie der Gastraum in hellem Fichtenholz gehalten.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn Gesell und Zehl ihr Werk zeigen, kommt vielleicht auch deshalb auffällig oft das Wort funktional vor: im Untergeschoss, in das Bergsteiger und Wanderer direkt von draußen kommen, in zwei Trockenräumen ihre Kleidung aufhängen und im Schuhraum die Bergschuhe gegen DAV-Schlappen tauschen können. Im Erdgeschoss mit den zwei hellen, wie das gesamte Haus in Fichtenholz gehaltenen Gasträumen, die 165 Besuchern Platz bieten.

Energie kommt vom Wasserkraftwerk

Im Obergeschoss in den zwei Matratzenlagern und in den Sechs- oder Achtbettzimmern. Die Energie kommt nicht mehr vom Dieselmotor, sondern von einem Wasserkraftwerk. Die Duschen seien kein Luxus, sagt Gesell, sondern deren Abwasser sogar wichtig für die Kläranlage. Wo das Gebäude die Erde berührt oder gegen den Hang absichert, wurde Beton verbaut. Der sei an vielen Stellen zu sehen. Nüchtern, ehrlich.

Zwei Fragen seien im Vordergrund gestanden, sagt Gesell: "Wo bin ich und wo will ich hin?" Herausgekommen ist eine große Hütte mit einer Terrasse für 400 Personen. Bis zu 1500 Tagesgäste aus der Klamm und auch die ambitionierten Bergsteiger sollen hier verköstigt und beherbergt werden. Pächter Thomas Auer, der im Winter, wenn die Hölle zugesperrt ist, Hotelier im Pitztal ist, findet seinen neuen Arbeitsplatz fast unglaublich. Eine Küche, die seinem Hotel gut stehen würde, Kühlräume, Arbeitsräume, im Gegensatz zu früher alles getrennt von den herumlaufenden Gästen. Die Kreuzschmerzen vom ständigen Herumwinden im engen Schankraum seien verschwunden, sagt er. Der Bauchansatz wegen der vielen Lauffreiheit auch, scherzt seine Frau Silvia. Sie nennen die neue Hölle "eine gewaltige G'schicht".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: