Oberbayern:Ein Wolf geht um mitten im Ort

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Daran hatten sich viele Gemüter erregt: Der Wolf marschiert nachts durch den Ort Bergen und wurde dabei aus einem Auto heraus gefilmt. Nun ist er tot. (Foto: Quelle: Facebook)

Das Raubtier läuft durch Bergen im Chiemgau und greift wenig später in einem Stall eine Ziege an. Eine Filmsequenz zeigt den Wolf auf seinem Streifzug.

Von Christian Sebald, Bergen

Es war am Mittwochabend, kurz nach 21 Uhr. Christian Gutsjahr wollte eine Zigarette rauchen. Also ging der 26 Jahre alte Jungbauer auf den Balkon des elterlichen Hofs in Bergen (Landkreis Traunstein). Da bemerkte er, dass unter den Ziegen im Stall nebenan große Unruhe herrschte. "Ich wollte natürlich nachsehen, was los ist", berichtet Gutsjahr. "Ich hab eine Taschenlampe genommen und bin in den Stall."

In der Dunkelheit erkannte er in vielleicht 30 Meter Entfernung eine Ziege am Boden und über ihr ein großes graues Tier. "Ich hab gleich daran gedacht, dass das jetzt der Wolf ist, der in unserer Gegend unterwegs ist", sagt Gutsjahr. "Ich hab die Taschenlampe angemacht und auf die beiden Tiere geleuchtet. Da ist der Wolf weggelaufen." Die Ziege hat die Attacke überlebt. Gleichwohl wird der Vorfall den Streit um die Rückkehr der Wölfe nach Bayern abermals befeuern.

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Bergen ist eine ländliche Gemeinde mit vielen Bauernhöfen im Südosten des Chiemsees. Die Familie Gutsjahr bewirtschaftet ein alleinstehendes Gehöft, das etwas abseits nahe einem Waldstück liegt. Vater Josef, Mutter Elfriede und der Sohn Christian halten verteilt über fünf Ställe und weitläufige Weiden 300 Schafe, Ziegen und Hochlandrinder. Bergen, das am Fuße des 1674 Meter hohen Hochfelln liegt, ist auch bei Ausflüglern und Urlaubern beliebt.

Und aus dem hundert Kilometer entfernten München kommen sommers wie winters Wanderer und Bergsteiger heraus. Schließlich ist der 5000-Einwohner-Ort bequem über die Autobahn A 8 erreichbar. Die Einheimischen treibt freilich seit Wochen der Wolf um. Denn die Attacke auf die Ziege der Familie Gutsjahr ist ja nicht der einzige Vorfall in der Gegend.

Der Wolf läuft an einem weihnachtlich dekorierten Modeladen vorbei

Ebenfalls am Mittwochabend ist der Wolf in einem Gewerbegebiet gesichtet worden, berichtet Christian Gutsjahr. Wenig später ist er dann mitten durch den Ort gelaufen. Von Letzterem zeugt eine Filmsequenz, die vielfach im Internet verbreitet wird. Der Clip ist sechs Sekunden kurz und aus einem Auto aufgenommen worden. Er zeigt den Wolf, wie er an einem weihnachtlich dekorierten Modeladen vorbeiläuft. Menschen sind nicht zu sehen. Einmal wendet sich der Wolf kurz nach rechts, so als wollte er in die Auslage blicken. "Der Wolf ist offenbar von dem Gewerbegebiet durch die Ortsmitte zu unserem Hof gelaufen", sagt Christian Gutsjahr. "Der Modeladen liegt an der Hauptstraße direkt bei der Kirche." Außerdem habe man den Weg des Raubtiers in großen Teilen anhand der Spuren nachvollziehen können, die es im Schnee hinterlassen hat.

Es sind denn auch diese Bilder, die die Raubtierexperten am Landesamt für Umwelt (LfU) ziemlich sicher sein lassen, dass es ein Wolf und nicht etwa ein wildernder Schäferhund ist, der da in Bergen unterwegs ist. Die Behörde in Augsburg ist zuständig für das Wolfs-Management in Bayern. Die Fachleute haben inzwischen nicht nur die Filmsequenz begutachtet. Sondern auch die angegriffene Ziege, den Stall und die Weiden der Familie Gutsjahr. "Zwar wird es noch dauern, bis wir den genetischen Nachweis haben, ob es tatsächlich ein Wolf war", sagt ein LfU-Sprecher. "Aber wir halten es für sehr wahrscheinlich." Von dem Gentest erwarten sich die Experten auch die Klärung der Frage, ob der Wolf derselbe ist, der bereits Anfang November auf der Weide eines anderen Bergener Bauern fünf Schafe getötet hat.

Für den Traunsteiner Landrat CSU-Politiker Siegfried Walch ist der neuerliche Wolfsangriff denn auch die Bestätigung, dass er mit seiner Forderung nach einem möglichst schnellen Abschuss des Raubtiers richtig liegt. Walch teilt seit jeher die Überzeugung vieler Bauern, dass sich eine Wiederbesiedlung Bayerns durch Wölfe und die Weidehaltung von Rindern, Schafen und anderen Nutztieren ausschließen. Nach seinem Credo würden sich nämlich die Wolfsangriffe auf Nutztiere so häufen, dass die Weidetierhaltung über kurz oder lang vor dem Ende stünde. Aus der Sicht von Walch müssen Raubtiere zumindest von Oberbayern ferngehalten werden.

Ihr Abschuss ist nur in absoluten Ausnahmefällen möglich

Deshalb hat der Landrat schon Anfang November bei der Regierung von Oberbayern den förmlichen Antrag gestellt, den Wolf in seiner Region abschießen zu lassen. Am Freitag hat er die Forderung bekräftigt. Der Wolf sei "ein Sicherheitsrisiko, deswegen muss dringend was unternommen werden", sagte Walch. "Alles andere wäre völlig verantwortungslos und deswegen werden wir dafür kämpfen."

Für Walch ist es nachrangig, dass Wölfe zu den am strengsten geschützten Tieren zählen. Ihr Abschuss ist nach europäischem, deutschem und bayerischem Naturschutzrecht nur in absoluten Ausnahmefällen möglich. Dazu zählt in allererster Linie der Schutz von Leib und Leben von Menschen. Der bayerische "Aktionsplan Wolf" aus dem Jahr 2019 sieht denn auch hohe Hürden für die Entnahme eines Wolfs vor, wie der Abschuss im Bürokraten-Deutsch heißt. Die Bauernfamilie Gutsjahr treibt derweil die Sorge um ihre Tiere um. "Das Frühjahr und damit die nächste Weidezeit sind schnell da", sagt Vater Josef. "Wie sollen wir dann unsere Schafe und Ziegen schützen, wenn der Wolf noch in der Region ist."

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