Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Die umstrittene Warnstufe Dunkelrot

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Die weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen löst heftige Diskussionen im Landtag aus. Ein Hotelier kündigt eine Klage gegen den Lockdown im Berchtesgadener Land an.

Von Andreas Glas und Matthias Köpf, München

Am Tag danach will Florian Streibl nichts sagen. Die Angelegenheit sei erledigt, lässt der Fraktionschef der Freien Wähler ausrichten. Zur Erinnerung: Am Mittwoch, unmittelbar bevor Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seiner Regierungserklärung eine zusätzliche "dunkelrote" Corona-Warnstufe ankündigte, hatte Streibl einige Journalisten im Landtag zum Gespräch geladen. Die neue Warnstufe der Corona-Ampel sei mit den Freien Wählern "nicht besprochen worden", sagte Streibl. Er sei da "etwas überrascht". Überhaupt, sagte Streibl, wenn man jede Woche neue Regeln aufstelle, "wird das nur noch mehr in die Verwirrung führen". Und jetzt? Alles schon wieder geklärt zwischen den Koalitionspartnern?

Ja, sagt Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der FW. Natürlich habe man als Koalitionspartner "den Anspruch, dass Inhalte von Regierungserklärungen vorab mit uns abgestimmt werden", sagt er. Aber Söders Vorschlag sei "inhaltlich richtig, sodass die Sache halb so wild ist". Die CSU ist ebenfalls um den Koalitionsfrieden bemüht. Staatskanzleichef Florian Herrmann teilt allerdings mit, dass die FW sehr wohl gleichzeitig mit der CSU-Fraktion über die neuen Ampelpläne informiert worden seien.

SPD-Fraktionschef Horst Arnold erneuert unterdessen seine Kritik an der dunkelroten Warnstufe, die an diesem Freitag in Kraft tritt und bei einer regionalen Inzidenz von 100 Infektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen Verbote von Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern und eine Sperrstunde bereits ab 21 Uhr vorsieht. Ein vorsichtiger Corona-Kurs sei richtig, aber im Sinne der Transparenz sei es "nicht hilfreich, eine Ampel mit vier Farben einzuführen", sondern "unsicherheitsstiftend". Ähnliche Stimmen gab es bereits am Mittwoch in den Reihen der Opposition.

Am Donnerstag reiht sich der Deutsche Städtetag in die Kritik ein. "Die Menschen müssen noch mitkommen, bei dem was wir tun. Das System der Regeln und Beschränkungen muss verständlich sein", sagt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Deutschen Presse-Agentur. Die Akzeptanz in der Bevölkerung dürfe nicht leiden. "Vor diesem Hintergrund sehe ich die neue zusätzliche Stufe in Bayern kritisch."

Der Streit zwischen Regierung und Opposition um mehr Mitsprache des Parlaments in der Corona-Krise hat sich derweil etwas beruhigt. Am Mittwochnachmittag, nach Söders Regierungserklärung, hatten die Abgeordneten noch heftig darüber debattiert. Am späten Abend, gegen 23 Uhr, einigten sich dann alle Landtagsfraktionen außer der AfD darauf, dass beim Infektionsschutzgesetz nachgebessert werden soll. In dem Bundesgesetz sollen konkrete Befugnisnormen für gravierende Grundrechtseingriffe verankert werden, etwa für Ausgangsbeschränkungen. Ziel ist ein bundeseinheitlicher Rahmen, den der Bundestag für Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung abstecken und beschließen soll.

Nun, da sich die Pandemie "über einen längeren Zeitraum hinzieht", brauche es klarere Vorgaben des Bundesgesetzgebers, sagte Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Fraktion. Es gehe ihm um Rechtssicherheit, sagte Reiß und sprach von einer "ausgestreckten Hand" an die Opposition, die seit Monaten fordert, das Parlament in der Krise zu stärken. Fabian Mehring sprach von einem "Schulterschluss" zwischen Exekutive und Legislative. Grüne, SPD und FDP stimmten einem entsprechenden Antrag von CSU und FW zwar zu, ihre Redner erinnerten aber daran, dass die Koalition ähnliche Anträge aus der Opposition monatelang abgelehnt hatte.

Im Corona-Hotspot Berchtesgadener Land wollen unterdessen mehrere lokale Wirtschaftsverbände und der Hotel- und Gaststättenverband im Landkreis gegen den dort seit Dienstag geltenden Lockdown klagen. Weil die Verbände dazu selbst nicht berechtigt sind, werde ein namhafter Hotelier spätestens am Montag eine Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht einreichen, kündigt Mike Rupin als Vorsitzender des Unternehmerforums Bad Reichenhall und als Vorstandsmitglied des regionalen Hotel- und Gaststättenverbands an. Dazu soll ein Eilantrag erwirken, dass die Allgemeinverfügung sofort außer Kraft gesetzt wird.

Es sei unverhältnismäßig, Hotels und Gastronomie komplett zu schließen, sagt Rupin. Man habe das Gefühl, die Staatsregierung setze die Existenz der örtlichen Wirtschaft aufs Spiel, nur weil sie am Berchtesgadener Land ein Exempel statuieren wolle. In Hotels und Gaststätten habe es praktisch keine Infektionen gegeben. Mit einer gerichtlichen Überprüfung der formal vom Landratsamt erlassenen Allgemeinverfügung wolle man nicht nur Rechtssicherheit für das Berchtesgadener Land schaffen, sondern für ganz Bayern.

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SZ vom 23.10.2020
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