Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Vogelwuid:Spanische Geier für Bayern

Noch sind die Küken BG 1112 und BG 1113 namenlos und gerade einmal so groß wie ein Huhn. Ihr Umzug in den Nationalpark Berchtesgaden könnte dort eine Bartgeier-Dynastie begründen.

Von Christian Sebald

Jetzt steht es fest: Die beiden ersten jungen Bartgeier, die in den bayerischen Alpen wiederangesiedelt werden, stammen aus Spanien. Genau gesagt: aus dem Bartgeier-Zuchtzentrum Guadalentín in Andalusien. Die beiden Küken, die bisher nur die Kurznamen BG 1112 und BG 1113 tragen, sind dort am 11. März und am 14. März geschlüpft. Auch der Zeitraum für die Auswilderung der beiden Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ist jetzt fix: Sie wird zwischen 8. und 12. Juni stattfinden, wenn die Jungtiere ziemlich genau hundert Tage alt sind.

Beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) ist die Freude über den Zuschlag riesig. "Wir machen nicht so oft eine Flasche Schampus auf", sagt der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer. "Aber da haben wir uns eine gegönnt und auf das freudige Ereignis angestoßen." Schließlich zählt die Wiederansiedlung der Bartgeier in den bayerischen Bergen zu den aktuell deutschlandweit spektakulärsten Naturschutzprojekten.

Und sie war bis zuletzt nicht komplett in trockenen Tüchern. In dem europäischen Bartgeier-Zuchtprogramm, aus dem sämtliche Jungtiere für alle Auswilderungsprojekte in Europa stammen, gab es dieses Jahr unerwartet wenig Küken. Deshalb war lange unklar, ob, und wenn ja, wie viele Vögel dieses Jahr für die Wiederansiedlung in Berchtesgaden zur Verfügung stehen. Doch nun hat der Chef des Zuchtprogramms, Alex Llopis Dell, dem LBV zwei junge Bartgeier zugeteilt.

Beide Jungtiere, die noch mit ihren Elterntieren in dem andalusischen Zuchtzentrum leben, sind sehr vital. Zumindest bei BG 1112 war das anfangs nicht so. "Das Küken war beim Schlupf sehr klein und schwach, es wog gerade mal 121 Gramm", berichtet der Biologe Toni Wegscheider, der das Ansiedlungsprojekt leitet. "Die Tierpfleger mussten ihm mit einer Pinzette aus dem Ei helfen."

Sechs Wochen nach dem Schlupf haben BG 1112 und BG 1113, der ursprünglich 159 Gramm gewogen hat, ordentlich zugelegt. "Die beiden wiegen jetzt jeder gut 500 Gramm und sind etwas größer als ein Huhn", berichtet Wegscheider. "Sie fressen gut, ihre Elterntiere haben viel zu tun. Schließlich werden sie ihr Gewicht bis zur Auswilderung noch einmal verzehnfachen." Unklar ist das Geschlecht der Jungvögel. Es ist in ihrem Alter nicht erkennbar und wird erst kurz vor der Auswilderung per Gentest ermittelt.

Bartgeier (Gypaetus barbatus) zählen zu den spektakulärsten Greifvögeln der Welt. Wenn so ein Bartgeier mit seinen bis zu drei Metern Spannweite hoch am Himmel durch die Luft segelt, ist das ein majestätischer Anblick. Aber auch aus der Nähe sind die Tiere sehr imposant. Das liegt vor allem an dem hakenförmigen Schnabel und den schwarzen Federn, die von ihm borstenartig nach unten abstehen. Von ihnen hat der Bartgeier seinen Namen. Die Greifvögel sind aber harmlos und ungefährlich. Sie fressen ausschließlich Knochen und Aas.

Gleichwohl sind die Bartgeier in den Alpen ausgerottet worden. Das hatte mit dem über Jahrhunderte gepflegten Irrglauben zu tun, dass sie Schafen und sogar Kleinkindern nachstellen und sie durch die Luft entführen. Deshalb wurden die Greifvögel gnadenlos gejagt. 1906 wurde der letzte in Österreich abgeschossen, wenig später wurde die Art im Aostatal ausgerottet. In den Achtzigerjahren startete die Wiederansiedlung in den Alpen. Die Projekte waren sehr erfolgreich. Aktuell leben wieder etwa 300 Bartgeier in den Alpen. Nun also wird der LBV welche im Nationalpark Berchtesgaden ansiedeln. In den kommenden zehn Jahren sollen in einer hoch über dem Klausbachtal gelegnen Felsnische jeweils bis zu drei Jungiere im Jahr ausgewildert werden - insgesamt etwa 30.

Das Zuchtzentrum Guadalentín, aus dem die ersten beiden Jungtiere für das Projekt stammen, ist eine von ungefähr 40 Zuchtstationen und Zoos im europäischen Bartgeier-Zuchtprogramm. Die Einrichtung liegt abgeschieden in einem riesigen Naturpark in Andalusien auf 1300 Metern Höhe und ist vor 25 Jahren gegründet worden - als man sich in Spanien an die Wiederansiedlung von Bartgeiern machte. Allein in diesem Jahr sind in der Einrichtung mit den weitläufigen Volieren zehn Bartgeier-Küken geschlüpft. Das ist Rekord, in keiner Zuchtstation sind jemals in einer Brutsaison mehr geschlüpft. Insgesamt leben in Guadalentín 27 adulte Bartgeier, darunter sechs Brutpaare und ein Nachwuchs-Paar. BG 1112 und BG 1113 bleiben bis kurz vor ihrer Auswilderung in Berchtesgaden in Guadalentín.

Auch im Nationalpark Berchtesgaden herrscht große Freude über die guten Nachrichten. Dort haben sie den Winter über an der Logistik für das Projekt gewerkelt und einen speziellen Beobachtungsstand gezimmert, das Futter für die Junggeier vorbereitet und eingefroren und jede Menge Bürokratie erledigt, die mit so einer Auswilderung verbunden ist. "Jetzt haben wir endlich die Gewissheit, dass wir im Juni loslegen können", sagt Nationalpark-Chef Roland Baier. "Das ist sehr schön."

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SZ vom 22.04.2021/vewo
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