Unfälle:Warum in Bayerns Bergen immer mehr Menschen sterben

Unfälle: Mitglieder der Bergwacht simulieren die Bergung eines verunglückten Mountainbikers an der Mittelstation der Jennerbahn in den Berchtesgadener Alpen.

Mitglieder der Bergwacht simulieren die Bergung eines verunglückten Mountainbikers an der Mittelstation der Jennerbahn in den Berchtesgadener Alpen.

(Foto: Uwe Lein/dpa)

Noch nie hat die Polizei so viele tote Bergsteiger registriert wie 2021. Auch in diesem Jahr sind schon zahlreiche Personen verunglückt. Die Unfallursachen sind oft banal.

Von Matthias Köpf

Es ist erst ein paar Tage her, dass bei Aschau im Chiemgau eine 81 Jahre alte Frau bei einer Bergtour Richtung Gedererwand 30 Meter tief über eine Bergflanke abgestürzt ist. Als der Notarzt und die Leute von der Bergwacht eintreffen, ist sie noch am Leben, aber retten können sie die Frau schließlich nicht mehr. Oder neulich drüben am Untersberg. Ein erfahrener Bergsteiger, allein unterwegs, rutscht ab und fällt 40 Meter tief. Auch für ihn kommt jede Hilfe zu spät.

Solche Unfälle ereignen sich immer wieder in Bayerns Bergen, ihre Zahl steigt mit der Zahl der Menschen, die es ins Gebirge zieht. Und immer öfter enden Unfälle tödlich. Allein von Januar bis Juni dieses Jahres sind im Gebiet des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, das von Berchtesgaden bis Garmisch-Partenkirchen reicht, 30 Menschen in den Bergen ums Leben gekommen. Im ganzen Jahr 2021 hat es in dem Gebiet 55 Bergtote gegeben - mehr als je zuvor seit 2009, als die Polizei begonnen hat, die Zahl systematisch zu erfassen. Die Auslöser dafür - ein schlichtes Ausrutschen, ein kurzes Stolpern - sind meistens banal. Die Gründe dahinter sind vielfältig.

Für Beppo Maltan fängt es oft schon bei der Sprache an. Maltan ist Vorsitzender der DAV-Sektion Berchtesgaden und mischt beim Alpenverein auch auf Bundesebene mit. "Wandern", sagt Maltan, das sei zum Beispiel, vom Bahnhof in Berchtesgaden zum Königssee zu gehen. Droben im Steinernen Meer unterwegs zu sein, das sei kein Wandern mehr, "das ist Bergsteigen". Wenn das schon mal klar wäre, dann käme es bei der "alpinen Auskunft" des Berchtesgadener Alpenvereins vielleicht nicht so oft zu Anfragen wie der eines Gruppenleiters, der mit seinen 17 Wanderern von St. Bartholomä aufs Ingolstädter Haus gehen und vorher wissen wollte, ob die kürzeste Route nicht über die Watzmann-Ostwand führe.

Kein rechtsfreier Raum

Sorgfältige Planung ist eine der Regeln für ein sicheres Bergerlebnis, die DAV-Mann Maltan aufzählt. Stolpern, Ausrutschen, Erschöpfung und Orientierungsverlust nennt er als häufigste Ursachen und Anlässe für Unfälle und Rettungseinsätze. Wer mit der ehrlichsten Selbsteinschätzung aufbreche, sagt Maltan, der gehe das geringste Risiko ein, schwer oder gar tödlich zu verunglücken.

Wenn doch etwas passiert, sind Menschen wie Nik Burger gefragt. Burger ist von Beruf Direktor des Amtsgerichts in Laufen und von Berufung außerdem Leiter der Bergwacht in der Region Chiemgau und Ausbilder für Bergwacht-Flugretter. Burger, der selbst immer wieder am Seil unter einem Helikopter hängt, um Verunglückte aus irgendwelchen Wänden zu holen, kann einen Rettungseinsatz in den Bergen genau beschreiben und analysieren. Am Dienstag hat er das am Jenner über dem Königssee unter anderem für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich getan. Die Minister waren dort Gäste des bayerischen Kuratoriums für alpine Sicherheit, einem Zusammenschluss zahlreicher mit den Bergen befasster Institutionen und Verbände.

Der Innen- und der Justizminister sind auch die obersten Vorgesetzten jener Menschen, die oft gleich nach der Bergwacht kommen: Die etwa 80 speziell ausgebildeten und bergerfahrenen Beamten der Alpinen Einsatzgruppen der bayerischen Polizei zum Beispiel, welche die näheren Umstände eines Bergunfalls aufklären müssen - zumal eines tödlichen, der dann regelmäßig auch spezialisierte Staatsanwälte wie den Leiter der Staatsanwaltschaft Traunstein, Wolfgang Beckstein, auf den Plan ruft. Die Berge könnten und sollten nicht sicherheitshalber überall mit Warnschildern versehen oder gleich ganz gesperrt werden, sagt Beckstein, aber sie seien eben auch kein rechtsfreier Raum. Wenn im Gebirge jemand tödlich verunglücke oder eine Leiche gefunden werde - laut Beckstein "meist kein schöner Anblick" - dann müsse die Staatsanwaltschaft ermitteln. Etwa wegen fahrlässiger Tötung, wenn jemand einen anderen schlecht gesichert oder einer oberhalb des Verunglückten durch Unachtsamkeit einen Steinschlag ausgelöst habe.

Die meisten tödlichen Unfälle haben aber auch aus Sicht des Staatsanwalts ganz banale Auslöser. Irgendwelche strafrechtlichen Konsequenzen hätten von den 55 tödlichen Bergunfällen im südlichen Oberbayern vom vergangenen Jahr vielleicht zwei oder drei gehabt, schätzt Beckstein. Juristisch schwieriger werde es eher bei Ski-Unfällen, wenn es darum gehe, wer an einem Zusammenstoß auf der Piste schuld sei.

Mountainbiker bleiben unauffällig

Sommerliche Bergradler sind nach Angaben der Deutschen Initiative Mountainbike nicht überproportional in der Unfallstatistik vertreten. In 94 Prozent der einschlägigen Unfälle stürzen die Biker demnach allein, und das meist eher in speziellen Bikeparks als in der freien Natur, nur elf Prozent der Unfallradler seien auf E-Bikes unterwegs gewesen. Zusammenstöße mit Wanderern habe man in den vergangenen 20 Jahren überhaupt nicht registriert.

Dagegen fällt die Zahl der Bergtoten auch im Vergleich mit anderen Todesarten durchaus ins Gewicht. Allein im Berchtesgadener Land sind laut Justizminister Eisenreich im vergangenen Jahr zwölf Menschen in den Bergen ums Leben gekommen - und insgesamt acht im Straßenverkehr. Das Kuratorium für Alpine Sicherheit hat vor einiger Zeit die Einführung einer grenzüberschreitenden Bergnotruf-App fürs Mobiltelefon in Bayern, Tirol und Südtirol vorangetrieben. Als Vorsitzender des Kuratoriums kündigte der Rosenheimer Landtagsabgeordnete Klaus Stöttner (CSU) an, dass "SOS-EU-Alp"-App bis Ende des Monats mit einer Trackingfunktion erweitert werde, die auf Wunsch die Route des jeweiligen Nutzers aufzeichnet und den Rettern so den Weg wenigstens bis zum letzten Standort mit Handy-Empfang weist.

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