SZ-Serie: Vogelwuid:Zwei Geier auf Sendung

SZ-Serie: Vogelwuid: In der Luft war Wally an ihren individuell gebleichten Federn zu erkennen.

In der Luft war Wally an ihren individuell gebleichten Federn zu erkennen.

(Foto: Markus Leitner/LBV)

Die beiden Bartgeier werden mit aufwendiger GPS-Technik Tag und Nacht überwacht. Denn immer öfter entschwinden Wally und Bavaria bei ihren Flügen aus dem Sichtfeld der Wissenschaftler.

Von Christian Sebald, Ramsau

Manchmal treiben es Wally und Bavaria ein wenig bunt. Neulich, so erzählen sie es sich beim Landesbund für Vogelschutz (LBV), sind die beiden jungen Bartgeier-Weibchen knapp über zwei junge Frauen hinweg geflogen. Die Wanderinnen haben sich so heftig erschrocken, dass sie keinen Schritt mehr weitergehen wollten. Zwar haben ihnen Kundige versichert, dass Wally und Bavaria völlig harmlos sind - auch wenn Bartgeier mit 2,90 Metern Flügelspannweite zu den größten Greifvögeln weltweit zählen. Aber die Frauen haben sich nicht überzeugen lassen, sie haben ihre Tour im Nationalpark Berchtesgaden abgebrochen, wo sich die beiden Bartgeier-Weibchen gerade an ihr Leben in freier Wildbahn gewöhnen.

"Wally und Bavaria sind nicht nur sehr selbstbewusst geworden", berichtet Toni Wegscheider. "Auch ihr Aktionsradius wird immer größer." Neulich zum Beispiel, da ist Bavaria von dem Kerngebiet der beiden am Knittelhorn übers Klausbachtal hinweg zum Hochkalter geflogen. "Das sind einfach vier Kilometer Luftlinie", sagt Wegscheider. "Das war eine recht ordentliche Leistung."

Aber auch die Höhen, die sie erreichen, werden immer beachtlicher. "Wenn der Thermikschlauch passt und die Wolken nicht zu hoch hängen, dann verschwinden sie inzwischen schon mal in ihnen und tauchen erst nach einiger Zeit wieder an einer ganz anderen Stelle auf", berichtet Wegscheider. Außerdem halten Wally und Bavaria sich inzwischen oft stundenlang auf der Reiteralpe auf, gleich hinter den Felswänden an der Westseite des Klausbachtals.

Bartgeier (Gypaetus barbatus) haben ihren Namen von den schwarzen Federn, die von ihrem hakenförmigen Schnabel wie Borsten nach unten abstehen. Sie sind reine Aas- und Knochenfresser. Gleichwohl sind sie in den Alpen ausgerottet worden. Jahrhunderte lang glaubten die Bauern, dass Bartgeier Schafen und sogar Kleinkindern nachstellen. Deshalb wurden sie gnadenlos gejagt. Erst seit den Achtzigerjahren gibt es überall in den Alpen Wiederansiedlungsprojekte. Das neue in Berchtesgaden ist auf zehn Jahre angelegt und wird vom LBV betrieben. Es soll die Lücke zwischen den Populationen in den Ostalpen und auf dem Balkan schließen. Wally, die von der SZ begleitet wird, und Bavaria sind die beiden ersten Bartgeier, die in seinem Rahmen ausgewildert worden sind.

SZ-Serie: Vogelwuid: Jeder Sender mit Solarmodul wiegt nur 50 Gramm.

Jeder Sender mit Solarmodul wiegt nur 50 Gramm.

(Foto: Hansruedi Weyrich/LBV)

Je selbständiger Wally und Bavaria werden, desto wichtiger wird die Technik. Denn der Biologe Wegscheider, der das Wiederansiedlungsprojekt leitet, will Wally und Bavaria auch dann im Blick behalten können, wenn er die beiden Greifvögel nicht direkt sehen kann. Zum einen, weil die Bartgeier-Weibchen bei allem Selbstbewusstsein, das sie inzwischen haben, immer noch so unerfahren sind, dass schnell in eine Notsituation geraten können und Wegscheider und seine Mitarbeiter ihnen dann aus der Patsche helfen müssten. Zum anderen, weil das aufwendige Wiederansiedlungsprojekt wissenschaftlich dokumentiert wird und dafür alle möglichen Daten notwendig sind.

Deshalb tragen Wally und Bavaria hochmoderne GPS-Sender auf dem Rücken. Die Teile sind samt dem Solarmodul, von dem sie ihre Energie beziehen, klein wie eine schmale Zigarettenschachtel und wiegen nur 50 Gramm. Das ist weniger als ein Hundertstel des Körpergewichts von Wally und Bavaria. Die beiden Bartgeier-Weibchen haben die Hüftgurte samt den Sendern angelegt bekommen, kurz bevor sie vor zehn Wochen in die Auswilderungsnische am Knittelhorn gesetzt worden sind.

Die Gurte sitzen so gut, dass sie die Greifvögel nicht stören oder gar einschränken und zugleich der Sender sicher ist. Außerdem verfügen sie über eine Sollbruchstelle. Der Baumwollfaden, mit dem sie vernäht sind, wird unter dem Einfluss von Wind, Wetter und Sonne allmählich so porös, dass er irgendwann samt Sender abfällt. "Idealerweise nach etwa fünf Jahren, wenn die Bartgeier mit der Reviersuche beginnen", sagt Wegscheider. "Es sind aber auch schon welche früher abgefallen." Da die Sender meist noch intakt sind, ist es ein Leichtes, die Geräte zu bergen.

Wegscheider kann die GPS-Geräte von Wally und Bavaria von seinem PC aus steuern. Ihre zentrale Funktion ist natürlich, dass sie ihm möglichst jederzeit übermitteln, wo sich die Bartgeier-Weibchen gerade aufhalten. Den Zeittakt dafür kann er von wenigen Sekunden bis zu einigen Stunden variieren. Nur wenn der Sender zu wenig Energie hat - etwa weil der Himmel zu bedeckt ist, sodass ihn das Solarmodul nicht vollständig aufladen kann -, schaltet er in einen Sparmodus und sendet in größeren Zeitabständen. Außerdem übermitteln die Geräte die Körpertemperatur von Wally und Bavaria. Das ist ein wichtiger Indikator, ob die beiden fit sind.

Und dann haben die GPS-Geräte noch "eine Art Beschleunigungsmesser", wie Wegscheider sagt. Das sind Sensoren, die anzeigen, ob sich die Greifvögel Bewegungen eher nach links oder nach rechts, vorne oder hinten, oben oder unten machen. "Zeigen die Sensoren beispielsweise regelmäßige, kurze Bewegungen nach vorne und unten an, ist das ein Hinweis, dass Wally und Bavaria fressen", sagt Wegscheider. "Rührt sich längere Zeit gar nichts, bedeutet das, dass sie ruhen." Dank all dieser Daten wird Wegscheider Wally und Bavaria auch dann fest im Blick behalten, wenn sie sich irgendwann vom Knittelhorn aus auf große Reise begeben.

Bis dahin vergehen aber sicher noch einige Wochen. "Wally und Bavaria kommen sehr verlässlich an unsere Futterplätze beim Knittelhorn", sagt Wegscheider. "Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass sie schon irgendwo einmal außerhalb gefressen haben. Allein deshalb ist die Zeit noch nicht da, dass sie sich endgültig auf und davon machen." Außerdem übernachten die beiden nach wie vor in ihrer Auswilderungsnische. Jedenfalls fast immer. Wally hat kürzlich einmal eine Nacht auf dem Teufelskopf verbracht. Das ist ein gut 1300 Meter hoher Gipfel, der im Süden an das Auswilderungsgebiet anschließt.

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