Naturschutz:Bartgeier sollen wieder über dem Watzmann kreisen

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Damit die imposanten Vögel wieder in den Alpen heimisch werden, wird im Frühjahr ein junger Bartgeier aus dem Tiergarten Nürnberg im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert.

Von Christian Sebald, Berchtesgaden

Mit fast drei Metern Spannweite zählen Bartgeier zu den mächtigsten Greifvögeln der Welt. Vor mehr als hundert Jahre sind die Tiere alpenweit ausgerottet worden. Nun sollen auch in Bayern wieder Bartgeier ausgewildert werden - im Nationalpark Berchtesgaden. Wenn alles klappt, macht im nächsten Frühjahr ein gerade mal 100 Tage altes Jungtier aus dem Tiergarten Nürnberg den Anfang. "Insgesamt wollen wir 2021 drei junge Bartgeier in die Freiheit entlassen", sagt der Vorsitzende des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer, "unsere Hoffnung ist groß, dass alsbald einer aus Franken seine Kreise rund um den Watzmann ziehen wird." Der LBV ist Träger des Projekts.

Wenn so ein Bartgeier hoch am Himmel durch die Luft gleitet, ist das ein spektakulärer Anblick. Aus der Nähe sehen die Tiere indes fast ein wenig furchteinflößend aus. Das liegt nicht nur an ihrer imposanten Größe, den rötlichen Brustfedern und dem hellen Kopf. Sondern vor allem an ihrem hakenförmigen Schnabel und den schwarzen Federn, die von ihm borstenartig nach unten abstehen. Von diesem Schmuck haben der Bartgeier (Gypaetus barbatus) seinen Namen. Die Tiere sind harmlos und ungefährlich. Sie fressen ausschließlich Knochen und Aas und sind keine Gefahr für Menschen und Nutztiere.

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Einst waren Bartgeier weit verbreitet in den Alpen. Doch den Aasfressern haftete seit jeher der Irrglaube an, sie machten Jagd auf Schafe und sogar Kleinkinder. So schrieb der Gelehrte Gotthilf Heinrich Schubert im 19. Jahrhundert in einen Lehrbuch für Naturgeschichte, der Bartgeier besitze eine "ungeheure Muskelstärke, sodass er mit Leichtigkeit Lämmer, Ziegen selbst Kinder in den Krallen von einem Berge zum anderen trägt". Deshalb wurden Bartgeier gnadenlos gejagt. 1906 wurde der letzte in Österreich abgeschossen, wenig später wurde die Population im italienischen Aostatal ausgerottet.

Erst in den Achtzigerjahren begann man mit der Wiederansiedlung von Bartgeiern in den Alpen. Dabei spielte der Alpenzoo in Innsbruck eine wichtige Rolle. Dort züchtete man junge Bartgeier heran, die ersten wurden 1986 im Nationalpark Hohe Tauern ausgewildert. In den Jahren darauf folgten Freilassungen im Mont-Blanc-Gebiet und am Ortler in Südtirol. Die Projekte waren sehr erfolgreich. Inzwischen leben wieder ungefähr 300 Bartgeier in den Alpen.

Nun also sollen welche im Nationalpark Berchtesgaden angesiedelt werden. Der LBV kooperiert dabei mit dem Tiergarten Nürnberg. Er gehört dem europäischen Bartgeier-Zuchtnetzwerk an. Es umfasst etwa 40 Zoos und Aufzuchtstationen und liefert gleichsam permanent Nachschub für Auswilderungen. Das Nürnberger Bartgeier-Paar hat bereits mehrfach erfolgreich gebrütet, ein Abkömmling von ihm lebt im Nationalpark Segura und Cazorla in Südspanien. Auch dieses Jahr ist man in Nürnberg guter Dinge, dass es klappt mit der Brut. "Wir haben schon die ersten Kopulationen beobachtet", sagt der Vize-Direktor des Tiergartens, Jörg Beckmann. "Nun werden die Vögel nach und nach Nistmaterial in den Horst tragen."

Auswilderung nach der Hacking-Methode

Es ist eine Besonderheit der Bartgeier, dass sie mitten im Winter balzen und brüten - in freier Wildbahn sogar bei minus 20 Grad hoch oben in den Felsregionen der Berge, wie Toni Wegscheider berichtet. Der Biologe hat seit 15 Jahren Erfahrung mit den Greifvögeln und leitet das Wiederansiedlungsprojekt. Doch die ungewöhnliche Brutzeit hat Sinn. Bartgeier legen ihre Eier im Dezember oder im Januar ab. Die Brut dauert gute sieben bis acht Wochen. Die Jungen schlüpfen im März. "Und dann brauchen sie sofort jede Menge Aas zum Fressen", sagt Wegscheider. "Genau das gibt es ab März, wenn die Schneeschmelze einsetzt. Dann werden die Kadaver von Gämsen und anderen Wildtieren freigelegt, die in Lawinen umgekommen sind."

Die Auswilderung selbst passiert nach der sogenannten Hacking-Methode. Dabei bleibt das Jungtier etwa hundert 100 Tage bei seinen Eltern im Gehege. "Dann ist es so groß wie ein erwachsener Bartgeier", sagt Wegscheider, "optisch unterscheidet es sich nur durch sein dunkles, schwärzliches Gefieder." Allerdings kann das Jungtier noch nicht fliegen. Dennoch wird es mit zwei weiteren Jungtieren zu einer möglichst einsam gelegenen Nische hoch oben auf einem Berg gebracht und dort freigelassen. "Die jungen Bartgeier kommen schon gut alleine zurecht", sagt Wegscheider. "Sie müssen nur noch regelmäßig gefüttert werden." Das übernimmt ein Team von Betreuern.

Der Biologe Toni Wegscheider hat seit 15 Jahren Erfahrung mit Greifvögeln. Er ist verantwortlich für das Projekt zur Auswilderung von Bartgeiern. (Foto: Florian Warnecke)

Alsbald unternehmen die Tiere die ersten Flugversuche, spätestens nach vier Wochen folgt der erste selbständige Flug. Ab dem Zeitpunkt suchen sich die Bartgeier auch immer eigenständiger ihr Futter. Die Hacking-Methode ist sehr bewährt. "Fast 90 Prozent der Jungvögel überleben das erste Jahr in Freiheit", sagt Wegscheider. "In den Jahren danach steigt die Rate sogar auf 96 Prozent." Das ist deshalb wichtig, weil Ansiedlungsprojekte immer auf fünf bis zehn Jahre angelegt sind.

So auch im Nationalpark Berchtesgaden. Wegscheider rechnet damit, dass dort bis 2030 alles in allem bis zu 30 Bartgeier freigelassen werden. "Und da die Tiere bis zu 50 Jahre alt werden, kann sich dort relativ schnell eine Population etablieren", sagt der Biologe. Das ist freilich noch Zukunftsmusik. In diesen Wochen geht es hauptsächlich darum, dass der Freistaat die Wiederansiedlung der Bartgeier im Nationalpark genehmigt. Das Verfahren dafür ist sehr aufwendig. Und das bedeutet viel Büroarbeit für Wegscheider.

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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