Behördenverlagerung:Wo in Bayern der Pfeffer wächst

  • Von Regensburg nach Tirschenreuth, von München nach Fürth: Um den ländlichen Raum zu stärken, müssen viele bayerische Behörden umziehen.
  • Das Heimatministerium zog nun eine Zwischenbilanz: Mehr als 40 Prozent aller Verlagerungsprojekte haben bereits den Betrieb aufgenommen.
  • Die betroffenen Beamten sehen die Umzüge oft sehr kritisch, es ist die Rede von "total sinnloser Showpolitik".

Von Andreas Glas, Claudia Henzler und Lisa Schnell

Nicht jeder Beamte, der aufs Land versetzt wird, ist dort glücklich. Er sei "jeden Tag aufs Neue" froh, wenn er am Feierabend wieder aus Tirschenreuth rausfahre, sagt Karl Kofler (Name geändert). Er ist einer von rund 130 Beschäftigten des Oberpfälzer Amts für ländliche Entwicklung, das im Sommer 2013 von Regensburg in den 9000-Einwohner-Ort am nordöstlichen Rand des Freistaats umgesiedelt wurde. Fünf oder sechs Kollegen, schätzt Kofler, wohnten in Tirschenreuth, die Mehrzahl pendle täglich aus Regensburg oder sei, wie er selbst, ins näher gelegene Weiden gezogen. "Wenn man gern im Wald spazieren geht, dann ist man in Tirschenreuth gut aufgehoben", sagt Kofler, aber kulturell habe Tirschenreuth wenig zu bieten.

Auch viele Mitarbeiter des Landesamtes für Statistik hadern mit dem Beschluss, die Behörde von München nach Fürth zu verlagern. Der Umzug war schon vor dem Heimatplan von Heimatminister Markus Söder angekündigt worden, um die Stadt nach der Quelle-Pleite zu unterstützen, 2019 soll er abgeschlossen sein. Dann werden vor allem die Arbeitsplätze umgezogen sein, weniger die Mitarbeiter. Nur ein Fünftel der Belegschaft machte den Wechsel mit. Am neuen Dienstsitz ist die Stimmung inzwischen einigermaßen positiv, sitzen hier doch vor allem Profiteure der Verlagerung, die neu sind im Landesamt.

Niemand werde zum Umzug gezwungen, heißt es aus dem Heimatministerium, das am Donnerstag nach zwei Jahren eine erste Zwischenbilanz der Behördenverlagerung zog. Insgesamt sollen 2225 Arbeitsplätze und 930 Studenten in ländliche Regionen versetzt werden. Bis 2020 sollte der größte Teil geschafft sein, sagte Minister Markus Söder. Wo die neuen Behörden untergebracht werden, sei bereits für 90 Prozent der Projekte klar. 26 Behörden haben jetzt schon ihren Betrieb aufgenommen, und damit mehr als 40 Prozent der geplanten Verlagerungsprojekte.

"Das zeigt, dass die Staatsregierung ihren Worten Taten folgen lässt", sagte Söder. Bis Ende 2016 sind 340 Menschen an ihren neuen Standorten angekommen, je 170 an ihrem Arbeits- und 170 an ihrem Studienplatz. Bis 2018 sollen 1000 Menschen an den neuen Orten tätig sein. Bis jetzt gebe es noch keine Angaben zu den Gesamtkosten. "Ja, das kostet, aber Strukturförderung gibt es nicht zum Nulltarif", heißt es aus dem Ministerium.

Die Behördenverlagerung ist Teil von Söders Heimatstrategie, um den ländlichen Raum zu stärken. So werden in den strukturschwachen Bezirk Oberfranken 918 Stellen verlagert, davon 500 Studienplätze. Auch auf Orten wie Amberg, die unter dem Abzug der Bundeswehr leiden, liegt ein Schwerpunkt. Nach Amberg soll deshalb etwa eine IT-Stelle der Justiz verlagert werden. München werde als Beamtenstadt dennoch weiter wachsen, weil die Stadt und die Region als solche hohe Zuzugsraten verbuchten, sagte Söder.

Zuspruch bekommt Söder von Holger Magel, dem Präsidenten der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum. Behördenverlagerungen seien generell positiv zu bewerten, sagt er. Damit sie wirklich funktionierten, brauche es aber noch mehr. Er habe bemerkt, dass Söder stolz all die Studenten mit aufzähle. "Ich würde gerne eine Antwort bekommen, wie er die Hochschulabsolventen im ländlichen Raum halten will", sagt Magel. Eine Behördenverlagerung mache außerdem nur dann Sinn, wenn auch die Wirtschaft nachziehe.

Es brauche eine effizientere Wirtschaftsförderung statt "teure Symbolpolitik", wie Annette Karl (SPD) die Behördenverlagerung nennt. Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Claudia Stamm sagt: "Das sind jedes Mal wahnsinnig teure Maßnahmen." Manche Mieten kosteten mehr als 3000 Euro im Monat. Es habe oft mehr Sinn, das Geld direkt zu investieren, etwa in den öffentlichen Nahverkehr. Die Grünen fordern zudem eine Evaluierung, also eine Überprüfung, wie wirksam die Verlagerungen sind.

Die Freien Wähler befürworten Söders Pläne, zeigen sich aber verärgert über seinen Umgang mit den parlamentarischen Rechten: Im Herbst 2016 habe der Haushaltsausschuss von Söder eine Zwischenbilanz erbeten, die er für Anfang 2017 versprochen habe, sagt Alexander Muthmann. Dem Haushaltsausschuss sei aber nicht berichtet worden, der Presse schon. Das sei keine Art der Zusammenarbeit.

Können Pendler strukturschwache Regionen stärken?

Der Beamte Karl Kofler sieht die Behördenverlagerung freilich mehr aus der privaten und weniger aus der übergeordneten Perspektive: Besonders schlimm, sagt er, sei der Umzug nach Weiden für seine Kinder gewesen, die aus ihrem Schulumfeld und ihren Freundeskreisen gerissen worden seien. "Das war ein harter Einschnitt", sagt Kofler. Überhaupt hält er die vielen Behördenverlagerungen für "eine total sinnlose Showpolitik".

Die Idee, auf diese Weise strukturschwache Regionen zu stärken, sei ein Trugschluss. "Was bringen Tirschenreuth die vielen Pendler, die eh nicht dort wohnen?", sagt Kofler. Und was meint der Tirschenreuther Bürgermeister? Die genauen Zahlen kenne er nicht, sagt Franz Stahl (CSU), aber "ich traue mir zu sagen, dass gut 75 Prozent der Beschäftigten im Amt für ländliche Entwicklung im Raum Tirschenreuth wohnen". Die meisten hätten erkannt, "dass sie mit ihrem Verdienst hier wesentlich günstiger leben" als im relativ teuren Regensburg.

Insgesamt, sagt Stahl, sei die Behördenverlagerung eine "rundum gute Angelegenheit" gewesen. Vor allem wegen der neuen Ausbildungsplätze und Arbeitsstellen. Wenn Söder mal wieder eine Behörde nach Tirschenreuth verlagern wolle, sagt Stahl, dann jederzeit gerne.

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