Süddeutsche Zeitung

Behördenverlagerung:Vorwurf des ORH: CSU-Minister haben Gesetze ignoriert

Ungewöhnlich deutlich kritisiert der Rechnungshof die Verlagerung von Finanzbehörden ins schwäbische Höchstädt. Die Minister Fahrenschon und Söder sollen sich über Recht und Gesetz hinweggesetzt haben.

Von Stefan Mayr und Kassian Stroh

So eine Behördenverlagerung ist eine feine Sache: Da bringt ein Minister Arbeitsplätze aus dem fernen München raus aufs Land, im Gegenzug erntet er Sympathie bei Politikern wie Bevölkerung vor Ort. In diesem Jahr war niemand derart wohltätig wie Finanzminister Markus Söder (CSU): Vier Dutzend Ämterumzüge hat er sich im März vom Kabinett absegnen lassen. Doch einer davon könnte ihm nun mehr Ärger bereiten, als ihm lieb ist: Die Pläne, zwei Finanzbehörden ins schwäbische Höchstädt zu verlegen, hält der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) nicht nur für höchst bedenklich.

Er wirft Söder und seinem Vorgänger Georg Fahrenschon (CSU) auch vor, sich dabei über Recht und Gesetz hinweggesetzt zu haben - wohl um einem einflussreichen Parteifreund einen Gefallen zu tun. "Unseres Erachtens sind aber auch Staatsminister als Teil der Exekutive an das Haushaltsrecht und andere für die Verwaltung einschlägige Vorschriften gebunden", das schrieb der ORH am 9. November dem Finanzministerium. Der Brief liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Das Drängen führte zum Erfolg

Nun scheuen die Prüfer des ORH üblicherweise vor Konflikten mit den Ministerien nicht zurück, wenn sie Fällen von Missmanagement oder Verschwendung nachgehen. Doch dass sie nicht einer Behörde als ganzer, sondern einem Minister persönlich vorwerfen, Gesetze zu ignorieren, das ist außergewöhnlich. Aber das ist auch der Fall, um den es hier geht.

Im Mai 2010 entschied der damalige Minister Fahrenschon, die Bewertungsstelle des Finanzamts München-Stadt ins schwäbische Dillingen zu verlegen. Einige Zeit später trat der örtliche CSU-Abgeordnete Georg Winter auf den Plan und warb dafür, sie im benachbarten Höchstädt, seiner Heimat, anzusiedeln. Die Kleinstadt suchte damals nach einer Nutzungsmöglichkeit des alten Krankenhauses. Wie es einer Prüfungsmitteilung des ORH vom Dezember 2013 heißt, drängte Winter "massiv" auf diesen Standort. Mit Erfolg - auch wenn die zuständigen Stellen des Ministeriums seine Idee "problematisch" nannten. Im Oktober 2011 kaufte der Freistaat einen Teil des Höchstädter Areals.

Winter drängte weiter: Auch die Bewertungsstelle München-Land solle nicht wie geplant in den Bayerischen Wald, sondern nach Höchstädt ziehen. Zudem könne man hier 55 Unterkunftsplätze für die in Dillingen beheimatete Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) des Kultusministeriums schaffen.

ORH: Vorgaben sind ignoriert worden

Fahrenschon, der zu der ganzen Angelegenheit keine Stellung nimmt, war inzwischen Präsident des Deutschen Sparkassenverbandes geworden, sein Nachfolger hieß Söder. Und der entschied im März 2012, dass auch die zweite Bewertungsstelle nach Höchstädt kommt - auch wenn dies seine Steuerverwaltung zuvor "strikt abgelehnt hatte", wie der ORH schreibt. Auch Zimmer für ALP-Besucher sollten dort entstehen, wiewohl die ALP selbst gar keinen Bedarf an mehr Zimmern sah. Im Mai 2012 kaufte der Staat von der Stadt den Rest des Areals.

Bei beiden Käufen, das ist der Kern der Kritik des ORH, seien reihenweise Vorgaben für staatliche Immobiliengeschäfte ignoriert worden. Man habe nicht geprüft, ob die Immobilie geeignet und zu sanieren sei, der Bedarf sei nicht begründet worden, man habe nicht nach Alternativen gesucht, die Wirtschaftlichkeit sei nicht verglichen worden, es gebe weder Betriebskonzepte noch eine Ermittlung der Gesamtkosten. Tatsächlich haben die beiden Käufe nur symbolische zwei Euro gekostet, an Bau- und Sanierungskosten kommen aber laut Rechnungshof womöglich mehr als 20 Millionen Euro auf den Freistaat zu. Und obendrein habe das Ministerium auch noch den Landtag falsch informiert.

Das alles haben die Prüfer Ende 2013 in einem 23-seitigen Schriftsatz an das Ministerium übermittelt, mit der Bitte um Stellungnahme. Die kam im Juli, nach geschlagenen eineinhalb Jahren. Darin heißt es, "dass es sich bei der Standortwahl Höchstädt um politische Entscheidungen des Staatsministers a. D. Fahrenschon und des Staatsministers Dr. Söder gehandelt habe, die von der Exekutive umzusetzen gewesen seien". Ist das eine Rechtfertigung des Vorgehens? Oder lässt es sich so interpretieren, dass auch die ausführenden Beamten unglücklich und gezwungen waren, Anordnungen von ganz oben umzusetzen?

Seine Stellungnahme macht das Finanzministerium nicht öffentlich, sie wird nur in Teilen in jenem Brief der ORH-Prüfer zitiert, den diese vor einem Monat als Erwiderung geschrieben haben - mit der Erinnerung an den Minister, dass Gesetze auch für ihn gälten. Auf SZ-Anfrage teilt Söders Sprecherin mit, dass die Behördenverlagerung "richtig und wichtig" sei, dass man haushaltsrechtliche Vorgaben beachtet habe und die Kritik des ORH nicht zutreffe. Im Juli erläutere Söders Staatssekretär Albert Füracker dem Landtag, dass in Höchstädt gar keine anderen Gebäude in Frage gekommen wären; selbst wenn man also die üblichen Verfahren "formalistisch" eingehalten hätte, wäre kein anderes Ergebnis herausgekommen.

Der ORH hingegen vermutet einen Kuhhandel als Motiv dafür, dass es in diesem Fall niemand so genau genommen hat. Laut einer Aktennotiz ging es um ein "Zugeständnis" an Winter, um sich dessen Ja zu einem anderen Projekt zu sichern: zu Umorganisation und Neubau des Münchner Finanzamts. Denn Winter war bis 2013 Chef des Haushaltsausschusses. Das ist nicht nur der mächtigste Ausschuss im Landtag, sondern für jeden Finanzminister der wichtigste, befindet er doch über alle Angelegenheiten seines Ressorts. Zum Vorwurf des Kuhhandels sagt Söder nichts und Winter nur, dass er ein ihm unbekanntes Schriftstück nicht beurteilen könne.

In Höchstädt ist vieles schon wieder ganz anders

Der CSU-Abgeordnete beteuert, es sei richtig, Behörden aufs Land zu verlagern - und es sei seine Aufgabe, sich für seinen Stimmkreis einzusetzen. Ersteres bestreitet der ORH nicht, zweiteres nennt er sogar "nachvollziehbar". Nur entbinde beides die Behörden nicht von der Pflicht, rechtliche Vorgaben einzuhalten, mahnt der ORH.

Zumal in Höchstädt inzwischen vieles schon wieder ganz anders ist. Für die Finanzamtsstellen wird derzeit gebaut. Den Plan, weitere Seminarunterkünfte für Lehrer zu schaffen, hat das Kultusministerium aber inzwischen fallen gelassen: Nun doch kein Bedarf. Wie der dafür vorgesehene Teil des Areals nun genutzt werden könnte, das überlegt das Finanzministerium gerade. Das Ergebnis möge man ihm bis zum 15. Januar mitteilen, fordert der ORH in seinem Brief vom November. Diesmal aber ganz korrekt: "mit aussagekräftiger Bedarfsanalyse und Wirtschaftlichkeitsrechnung für die künftige Nutzung".

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Quelle:
SZ vom 11.12.2015/bica
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