Bedrohter Dialekt:Wenn's das Dradiwaberl nicht mehr gibt

Dialektschützer und Unesco prophezeien den Tod der Mundarten. Doch Sprachforscher warnen vor Schwarzmalerei.

Hans Kratzer

Als die Weltbildungsorganisation Unesco vor kurzem ihren "Weltatlas für bedrohte Sprachen" vorgestellt hat, rief dies in Bayern großes Erstaunen, vereinzelt sogar Entsetzen hervor. 13 Regionalsprachen in Deutschland seien vom Aussterben bedroht, sagt die Unesco, und eine davon ist das Bairische.

Bedrohter Dialekt: Bairisch, der erotischste Dialekt Deutschland, ist um Aussterben bedroht.

Bairisch, der erotischste Dialekt Deutschland, ist um Aussterben bedroht.

(Foto: Foto: AP)

Ausgerechnet jener Dialekt also, der im Kino eine bemerkenswerte Renaissance erlebt, der laut einer Umfrage des Magazins Playboy der erotischste Dialekt Deutschlands sein soll und der trotz der massenhaften Zuwanderung von Nordlichtern nach wie vor von Millionen Bayern in bunten Nuancen gesprochen wird.

Sepp Obermeier, Chef der Sektion Donau-Wald im Förderverein Bairische Sprache und Dialekte, sieht sich durch die Unesco-Studie in seinem Kulturpessimismus voll und ganz bestätigt. "Dass wir Bayern in einer Reihe mit Ostfriesisch (10.000 Sprecher) und Sorbisch (20.000 Sprecher) stehen, ist ein Armutszeugnis", schimpft der Dialektschützer, der nicht zuletzt der Politik, den Medien und den Pädagogen vorwirft, den Sprachentod nach Kräften zu fördern.

Namhafte Sprachkenner geben ihm diesbezüglich recht, etwa der frühere Literaturchef des Bayerischen Rundfunks, Reinhard Wittmann, der beklagt, das Bairische sei in den Medien nur noch folkloristisches Beiwerk. Im Bayerischen Rundfunk gelte die "Nordlautung" als Ausdruck von intellektueller Überlegenheit.

Solche Überheblichkeit wirft Obermeier auch den Politikern vor, die vergessen hätten, dass die bayerischen Schüler laut Artikel 131 der Bayerischen Verfassung in der Liebe zur Heimat zu erziehen seien. "Auf den Dialekt scheint sich diese gesetzlich verankerte Liebe nicht zu beziehen", mosert Obermeier.

In ihren Sonntagsreden lobten die Politiker den Dialekt über den Schellenkönig, sie selber mieden aber das Bairische, "weil sie glauben, dann nimmt sie keiner mehr ernst." Die Mundarten gelten als soziales Stigma, bestätigt Wittmann.

Nach Kräften bekämpft

Darauf gründet sich auch die populäre Überzeugung, dass Kinder, die Mundart sprechen, schlechtere Bildungschancen hätten. Tief sitzt die Sorge vieler Eltern, der Dialekt hemme die spätere Karriere. Immer noch wird in vielen Kindergärten der Dialekt nach Kräften bekämpft. "Welch eine Dummheit", sagt Obermeier, denn Mundarten seien die beste Grundlage für Mehrsprachigkeit. Das Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Sprachebenen erleichtere das Erlernen von Fremdsprachen und das allgemeine Denkvermögen.

Bayern gilt zwar immer noch als ein ausgeprägtes Dialektland, in dem so herrliche Wörter wie Dradiwaberl oder Pritschhaferl zu hören sind, aber viele Kinder reden trotzdem nur noch Hochdeutsch.

Nach einer Untersuchung des Dialektologen Bernhard Stör sprechen nur noch 1,2 Prozent der Münchner Gymnasiasten Bairisch. Laut Unesco gilt eine Sprache als gefährdet, wenn sie Kindern nicht mehr täglich begegnet. Sepp Obermeier regte deshalb in einem Kindergarten in Denkendorf an, bairisch sprechende Kinder mit dialektfreien und Migrantenkindern zu mischen. "Da haben norddeutsche, kubanische, und russische Kinder ganz nebenbei und kostenlos einen Dialekt gelernt", sagt Obermeier.

Diese Integrationsmaßnahme verlief jedenfalls erfolgreicher als das dilettantisch anmutende Vorgehen des Kultusministeriums. Dieses ließ eine Lehrerhandreichung an 5000 Schulen verteilen, allerdings ist an den meisten Schulen bis heute nicht bekannt, dass es das Dialekt-Material gibt. In den meisten Lehrerzimmern vergilbt es unbeachtet.

Seit zehn Jahren liegen keine neuen, wissenschaftlich gesicherten Zahlen über den Zustand des Bairischen mehr vor. Mathematiker aus Amerika haben ausgerechnet, dass in diesem Jahrhundert 90Prozent aller Sprachen sterben werden. Die Dissertationen der bayerischen Dialektologen Bernhard Stör und Alexander Mang bestätigen diese alarmierende Botschaft.

Der Sprachwissenschaftler Anthony Rowley sieht dagegen nicht so schwarz. Er erstellt mit einer Arbeitsgruppe das große Bayerische Wörterbuch. Rowley sagt, er könne nicht erkennen, wie die Unesco-Studie zustande gekommen sei. Gleichwohl seien die Mundarten in Bayern noch stark verankert. Lediglich in den Städten und Ballungsräumen sei der Sprachwechsel unübersehbar. Die Vorgänge seien aber komplex. "Ich bin optimistisch, dass die bairischen Dialekte nicht so schnell aussterben", sagt Rowley.

Obermeier und Stör werfen ihm eine "fahrlässige Beschwichtigungspolitik" vor, er streue der Öffentlichkeit Sand in die Augen. "Rowley ist der Totengräber des Bairischen", sagen seine Kritiker.

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