Süddeutsche Zeitung

Beckstein und Frankenberger im Interview:"Idealist? Absolut!"

Die Kluft zwischen Politik und Volk wächst. Volksentscheid-Initiator Frankenberger und Ex-Ministerpräsident Beckstein über ihren Antrieb, Konflikte mit der eigenen Partei - und den Toleranz-Prüfstein Claudia Roth.

S. Beck u. K. Stroh

Sebastian Frankenberger, 29, wechselte vor sechs Jahren von der CSU zur ÖDP. Für sie sitzt er im Stadtrat von Passau. Doch bekannt ist er, seit der maßgeblich von ihm vorangetriebene Volksentscheid für ein strenges Rauchverbot in Bayern im Juli Erfolg hatte. Günther Beckstein, 66, war lange Jahre Innenminister im Freistaat und von 2007 bis 2008 Ministerpräsident. Nun ist er nur noch einfacher Landtagsabgeordneter. Ein Gespräch über Politiker und ihr Verhältnis zum Bürger.

SZ: Braucht die Politik mehr Menschen wie Herrn Frankenberger?

Günther Beckstein: Er ist jedenfalls einer, der ohne eine große Organisationsstruktur Erstaunliches bewegt hat.

SZ: Ein mustergültiger Staatsbürger?

Beckstein: Wir haben in Bayern eine Demokratie mit plebiszitären Elementen. Davon hat er in perfekter Art Gebrauch gemacht und ein Problem gelöst.

SZ: Viele beklagen die wachsende Kluft zwischen Politik und Bürgern. Haben die Parteien das Zuhören verlernt?

Sebastian Frankenberger: Sie hören den falschen Leuten zu, sie lassen sich von der Wirtschaftslobby mehr oder weniger kaufen - auf das Volk hören sie nicht. Angesichts der Spenden von Konzernen an die Parteien liegt bei manchen Entscheidungen der Verdacht nahe, dass sie von der Wirtschaft beeinflusst worden sind.

Beckstein: Also ehrlich, wer der CSU Geld gespendet hat, das hat mich nie interessiert. Selbstverständlich braucht eine Partei Geld - genauso wie eine Organisation, die einen Volksentscheid auf den Weg bringt.

SZ: Während Ihrer kurzen Zeit als Ministerpräsident hieß es immer: Die CSU hat den Kontakt zur Wählerschaft verloren und steht deshalb so schlecht da.

Beckstein: Ich halte es für hoch problematisch, von der Wählerschaft zu sprechen. Früher gelang es uns, gleichzeitig Vertreter der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen sein. Heute verlieren die Bürger immer mehr das Vertrauen in die großen Organisationen - in die Parteien, die Gewerkschaften, aber auch zu den Medien. Ich finde, man sollte plebiszitäre Elemente stärken. Wir brauchen die Politiker, aber wir brauchen auch die Möglichkeit, dass das Volk Entscheidungen an sich zieht.

SZ: Als Sie 1974 in den Landtag kamen, galten Sie als junger Wilder. Finden Sie sich in Herrn Frankenberger wieder?

Beckstein: Ich hatte in den ersten Jahren ziemlich harte Auseinandersetzungen mit dem Establishment der CSU.

Frankenberger: Ich auch.

Beckstein: Ich galt als Linker in der CSU - auch wenn das für Sie unvorstellbar ist. Die Zeit war ja ungeheuer politisiert, im Wahlkampf gab es offene Feindschaft zwischen CSU und Junger Union.

Frankenberger: Ich war ja auch in der Jungen Union. Ich galt damals als V-Mann der Grünen. Zum Bruch kam es, als ich für ein Naturschutzgebiet demonstrierte. Man hat mir gesagt: Ich muss die Meinung der Partei vertreten und darf meine eigene nicht sagen.

Beckstein: Das haben Sie sich sagen lassen? Deshalb wäre ich nicht aus der Partei ausgetreten, ich hätte versucht, sie zu übernehmen.

SZ: Sind Sie Idealist?

Frankenberger: Absolut.

Beckstein: Selbstverständlich. Man wird mit den Jahren einer. Das haben Sie jetzt nicht erwartet, oder? Aber je länger man in der Politik ist, desto mehr will man auch Vorstellungen umsetzen, die man aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus für gut hält.

SZ: Sind die Wähler ungeduldiger geworden?

Beckstein: Ja und nein. Es gab Zeiten, in denen die Wähler viel politisierter waren. Wenn ich früher mit der Spitze des Bauernverbandes, mit Wirtschaftsverbänden, der Kirche und dem Lehrerverband gesprochen habe, wusste ich, was viele Menschen in Bayern denken. Wenn ich mich heute mit der Verbandsspitze auf etwas einige, kommt drei Tage später irgendein ein Teilverband und sagt: Alles Quatsch. Die Menschen lassen sich die Vertretung ihrer Interessen nicht mehr einfach von einem Verband abnehmen. Sie haben mehr Kommunikationsmöglichkeiten, da spielt das Internet eine ganz große Rolle. Daher ist es viel schwieriger geworden, Meinungen zu bündeln.

SZ: Wäre Ihr Erfolg ohne Internet möglich gewesen?

Frankenberger: Viel wichtiger waren die 80 Aktionskreise auf dem Land. Das Internet ist wichtig, aber dennoch muss man die Leute direkt ansprechen.

SZ: Als Sie anfingen, war die Kriegsgeneration an der Macht. Heutige Politiker sind im Wohlstand aufgewachsen. Wie prägt das den Diskurs?

Beckstein: Wer das Dritte Reich erlebt hatte, der wusste natürlich auf einer ganz anderen Ebene, was Politik bedeutet, welchen Wert der Rechtsstaat hat. Mich hat die deutsche Teilung geprägt. Wir haben jedes Jahr an der Grenze Sonnwendfeuer gemacht, die man auch in der DDR gesehen hat. Wenn ich kirchliche Gruppen in der DDR besuchte, dann ging das weit tiefer als der Nichtraucherschutz oder der Bau eines Bahnhofs.

SZ: Also Herr Frankenberger, Sie betreiben "Politik light"?

Frankenberger: Nein, mir schwebt eine Politik vor, die an den gesamten Planeten und künftige Generationen denkt. Natürlich redet sich darüber einfacher, wenn man bereits ein gewisses Level an Wohlstand erreicht hat. Aber meine Generation muss jetzt andere Probleme angehen. Wir haben definitiv große Auseinandersetzungen. Die Frage, wie man mit der Dritten Welt umgeht, die Globalisierung, die Klimakatastrophe.

SZ: Sie sind ein Schwarzgrünroter. Ist das der neue Typus des Politikers?

Frankenberger: Der neue Typus des Politikers sollte sich immer wieder in Frage stellen und seinem Gewissen verpflichtet sein. Er sollte wie ein Indianerhäuptling einen Eid bis auf die siebte nachfolgende Generation ablegen.

Beckstein: Es ist selbstverständlich, dass man nicht die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellt, sondern verantwortungsbewusst handelt, auch gegenüber den Kindern und Enkeln. Die Gerechtigkeit gegenüber der Dritten Welt definiere ich auch genauso. Trotzdem: Auseinandersetzungen waren früher härter und viel grundsätzlicher.

SZ: Auf Parteiversammlungen haben nur Angepasste Erfolg.

Beckstein: Was Herr Frankenberger macht, das gleicht der normalen Laufbahn eines CSU-Abgeordneten: Erst ist er bei der JU, dann fällt er durch eigene Gedanken auf, tritt allerdings nicht aus, sondern macht in den Gremien weiter und kommt irgendwann in den Landtag.

Frankenberger: Dann hat er seinen Idealismus komplett verloren und sich der Parteiräson untergeordnet.

Beckstein: Das ist Ihre Unterstellung. Man sollte den anderen schon auch guten Willen zubilligen. Ich halte auch Claudia Roth aus, über deren Entscheidungen ich mich bisweilen ärgere. Trotzdem bin ich mit ihr befreundet, sie ist für mich der Prüfstein für Toleranz! (lacht)

SZ: Fühlen Sie sich wohl in der außerparlamentarischen Opposition? Oder wollen Sie auch ins Parlament?

Frankenberger: Für mich persönlich ist dafür jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt. Dass man erfolgreiche Politik auch außerhalb des Landtags machen kann, habe ich ja schon bewiesen.

SZ: Aber Sie wollen doch ÖDP-Bundesvorsitzender werden?

Frankenberger: Das ist richtig. Die ÖDP hat großes Potenzial, sie spielt die Rolle eines pragmatischen und zielstrebigen Philosophen in der Politik.

SZ: Ist die Politik ein Geschäft, das Menschen deformiert? Politiker leiden unter Einsamkeit, Alkoholproblemen. Sie müssen anderen misstrauen.

Beckstein: Natürlich gibt es diese Gefahr. Das fängt schon damit an, dass man sich davon abhängig macht, ob man in den Medien präsent ist. Man braucht jemanden, der einem nicht nach dem Munde redet. Für mich war es immer wichtig, dass mich meine Berater auch knallhart kritisierten. Meine wichtigste Kritikerin aber war und ist meine Frau.

Frankenberger: Ich habe Respekt vor jedem Berufspolitiker, da braucht man sich nur deren Terminkalender anzusehen. Deshalb will ich mein Standbein als interaktiver Kostümtheater-Stadtführer und mein ehrenamtliches Engagement als Notfallseelsorger beibehalten. Das tut mir gut, weil es eine andere Welt ist.

Beckstein: Wenn Sie Bundesvorsitzender der ÖDP werden, dann werden Sie keine Zeit mehr für etwas anderes haben. Für einen jungen Menschen ist die Politik ein erhebliches Risiko: Die nächste Wahl ist immer die Kündigungsfrist. Auch bei der CSU wird man nicht mehr für 20 Jahre gewählt. Unter Umständen steht man mit 45 Jahren da und ist aus seinem Beruf draußen. Trotzdem ist Politik unheimlich faszinierend.

SZ: Ihr Rat für Frankenberger?

Beckstein: Er braucht starke Persönlichkeiten in der Nähe, und starke Grundsätze. Ich habe immer versucht, als evangelischer Christ zu leben: Ich weiß, dass ich dem Herrgott verantwortlich und nicht selbst der Allerhöchste bin.

SZ: Wenn Sie 2013 den Landtag verlassen, werden Sie ihm 40 Jahre angehört haben. Wird es solche Lebensläufe künftig noch geben?

Beckstein: Seltener, aber es ist nicht ausgeschlossen. Und es kommt ja auch darauf an, was genau man aus seinem Lebenslauf macht. Ich habe mich in 40 Jahren Landtag immer weiterentwickelt und neue Ämter übernommen. Ich hätte es mir nicht vorstellen können, 40 Jahre lang im Rechtsausschuss zu sitzen.

Frankenberger: 40 Jahre im Parlament, in München, das wäre mir definitiv zu lange. Da will ich noch was anderes.

SZ: Wäre er ein guter Innenminister?

Beckstein: Jemand wie Frankenberger ist durchaus in der Lage, unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2010/tob
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